Licht im Tunnel: Stay the fuck home

Nr. 13 –

Michelle Steinbeck über Reisen in die USA

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«Unbedingt lesen – vor allem wer vorhat, in nächster Zeit noch in die USA zu reisen.» Etwa so klingt ein Post, bei dem ich kürzlich hängen bleibe. Verlinkt ist ein Artikel im «Guardian»: Der kafkaeske Bericht von Jasmine Mooney, einer Kanadierin, die trotz gültigen Arbeitsvisums unerwartet verhaftet und in ein ICE-Detention-Center verfrachtet wurde. Neben fünf anderen Frauen liegt sie auf eiskaltem Betonboden in eine Alufolie gewickelt, mit täglich 24 Stunden künstlichem Licht und unerbittlicher Ungewissheit. In den folgenden zwei Wochen erlebt sie verschiedene Gefängnisse der Einwanderungsbehörde: «Es fühlte sich an, als wären wir […] in ein krankes psychologisches Experiment geworfen, das uns das letzte bisschen Kraft und Würde rauben sollte.»

Mooney freundet sich mit anderen festgehaltenen Frauen an, beschreibt die rettende Wärme und Solidarität untereinander und erzählt die absurd anmutenden Geschichten von deren Verhaftungen. Es ist klar, dass sie als Kanadierin mit Anwält:innen und Freund:innen mit Medienkontakten, die alle Hebel in Bewegung setzen, um sie frei zu kriegen, bald entlassen werden wird. So geben ihr die Frauen, die teils seit Monaten aussichtslos in diesem Limbo ausharren, Briefe für ihre Familien mit.

Mooney schliesst ihren Bericht mit der Erkenntnis: «ICE-Detention ist ein Business.» Die Gefängnisse werden von privaten Firmen betrieben, die pro Inhaftierte:n staatliche Subventionen bekommen, weshalb sie für immer noch striktere Immigrationsgesetze lobbyieren. «Je mehr Festgehaltene, desto mehr Geld machen sie. Es liegt auf der Hand, dass diese Unternehmen keinen Anreiz haben, Menschen schnell zu entlassen.»

Jüngst erleben auch Europäer:innen diesen Albtraum. Da ist der junge deutsche Tourist, der wegen mangelnder Englischkenntnisse die Frage nach seinem Wohnort falsch beantwortete: Er nannte stattdessen sein Reiseziel Las Vegas, woraufhin er mehrere Wochen in ICE-Detention kam. Die deutsche Tätowiererin, die verhaftet wurde, nachdem sie angab, ihre amerikanische Freundin unentgeltlich tätowieren zu wollen: Auch sie wurde mehrere Wochen festgehalten, so wie ein seit Jahren in den USA lebender Deutscher mit Greencard. Der französische Forscher, der für eine Konferenz in die USA reiste und auf dessen Handy Trump-kritische SMS gefunden wurden, wurde immerhin direkt zurückgeschickt.

Die Praktiken der ICE-Behörde und die Zustände in den Detention Centers sind längst bekannt. Neu ist nur, dass es nun offensichtlich alle treffen kann – auch weisse Europäer:innen. Und eine wie ich sich zum ersten Mal ernsthaft fragen muss: Werden sie mich überhaupt reinlassen? Und was, wenn nicht? Einige europäische Staaten haben in den letzten Tagen ihre Reisehinweise für die USA angepasst. Das schweizerische EDA tut das, wenig verwunderlich, nicht. In der Schweiz, eine Bundesrätin macht es vor, duckt man sich öffentlichkeitswirksam und übt sich in vorauseilendem Gehorsam. Etwa wenn UBS, Roche und Novartis gemäss neuem Trump-Gesetz ihre Diversity-Programme streichen – auch in der Schweiz.

Und ich? Durchsuche meine Texte: Wo habe ich wie über Trump geschrieben? Ist es eh schon zu spät? Oder könnte ich anfangen, aktiv zu schweigen und zu hoffen, dass ich schon irgendwie durchkomme? Bin ich also willens, mich zu zensieren? Oder bedeutet die Angst vor den Konsequenzen in diesem Fall nicht vielmehr, dass ich darüber schreiben muss?

Michelle Steinbeck ist Autorin. Auf sie wartet ein Schreibstipendium in New York.