Konflikt um Rohstoffe: «Und da soll ich der Eindringling sein?»

Nr. 28 –

Der Krieg im Ostkongo prägte David Maenda Kithokos Kindheit. Heute macht sich der Aktivist in Frankreich gegen die Ausbeutung seines Herkunftslands stark – und für jene, die beim Klimaschutz und der Energiewende vergessen werden.

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Portraitfoto von David Maenda Kithoko
«Sie verbreiteten xenophobe Parolen mit Smartphones, in denen kongolesische
Mineralien steckten – der Grund, warum wir geflohen sind»: David Maenda Kithoko.

Als die Gewalt im Osten der Demokratischen Republik Kongo Anfang des Jahres erneut zunahm, habe er einen Monat lang kaum schlafen können, sagt David Maenda Kithoko. Ständig sei er in Gedanken in seinem Herkunftsland gewesen. Damals hatte die Rebellenmiliz M23, die die kongolesische Regierung stürzen will, die Millionenstädte Goma und Bukavu eingenommen. Hunderttausende von Menschen wurden vertrieben, Tausende getötet. «Da war Wut, Schmerz, ein Gefühl der Machtlosigkeit», sagt er.

An einem Nachmittag Ende Juni sitzt Kithoko in einem Büro im Pariser Vorort Grigny. Das Gespräch findet per Videoschalte statt. Immer wieder unterbricht er es, beantwortet einen Telefonanruf oder öffnet Leuten, die im Bürokomplex ankommen, die Tür. Er sei gerade dabei, das Geschäft zum Laufen zu bringen, entschuldigt er sich, er habe «alle Hände voll zu tun».

Seit kurzem leitet Kithoko den neuen Standort einer Firma, die elektronische Geräte repariert und so deren Lebensdauer verlängert. Was nach einem gewöhnlichen Job klingt, steht für ihn in direktem Zusammenhang mit seinem Herkunftsland – und dem Engagement, dem er sich verschrieben hat. «Woher kommt der Konflikt im Kongo? Die bewaffneten Gruppen tummeln sich dort, wo Rohstoffe in der Erde liegen. Rohstoffe, die in unseren Smartphones und Computern landen. Ohne die Ausbeutung der Ressourcen gäbe es im Kongo nicht diese Gewalt.»

Kindheit am Tanganjikasee

Der Konflikt im Osten des Kongo zählt zu den brutalsten weltweit – und zu jenen, die vergleichsweise wenig Beachtung finden. Mehr als sechs Millionen Menschen sind seit seinem Ausbruch in den 1990er Jahren laut Schätzungen ums Leben gekommen. Das Land ist so reich an Bodenschätzen wie kaum ein anderes. In den Minen holen Arbeiter:innen Gold, Diamanten, Coltan, Kobalt und Kupfer aus der Erde. Benötigt werden die Mineralien zur Fertigung von Smartphones und Computern, aber auch von Batterien für Elektroautos, die einen wichtigen Pfeiler der Energiewende darstellen. Dass der Ressourcenreichtum die Gewalt im Ostkongo befördert, ist schwer zu bestreiten. Die mehr als hundert Rebellengruppen, die dort ihr Unwesen treiben, finanzieren sich unter anderem durch den Schmuggel von Mineralien: indem sie Minen unter ihre Kontrolle bringen und Zölle auf Verkauf und Transport der Rohstoffe erheben. Die M23 kontrolliert seit dem Frühjahr 2024 im Ostkongo eine der grössten Coltanminen der Welt. Laut einem Uno-Bericht verdient sie dadurch monatlich mindestens 800 000 US-Dollar.

Kithokos Geschichte ist eng mit dem Konflikt verbunden. Er kam 1995 an der Grenze zu Burundi zur Welt, seine Familie war zu dem Zeitpunkt auf der Flucht. Die Kindheit verbrachte er am Ufer des Tanganjikasees, des zweitgrössten Sees Afrikas. Zunächst lebte er in der kongolesischen Stadt Uvira. «Wenn die Gewalt uns einholte, flohen wir über die Grenze nach Burundi», sagt er – und wenn es dort ungemütlich wurde, wieder zurück. Seine Erinnerungen drehen sich um den See, an dem die Kinder mit Steinen spielten, Boote entladen halfen und Fische fingen. Aber da sind auch Erinnerungen an das Geräusch von Kugeln, «Körper, aus denen das Leben wich, Blut».

Als die Gewalt im Ostkongo wie auch in Burundi überhandnimmt, flieht Kithokos Familie nach Ruanda. Doch sein Vater, der sich für die Rechte der Geflüchteten einsetzt, habe sich dort Feinde gemacht, «eines Tages war er verschwunden». Jahre vergehen, bis er die Familie wieder kontaktiert: vom französischen Überseegebiet Mayotte aus, einer Inselgruppe vor Ostafrika. Schliesslich erhält er dort den Flüchtlingsstatus – und kann die Familie nachholen. Als Kithoko als Teenager in Mayotte ankommt, steht er vor neuen Herausforderungen: «Wir erlebten viel Xenophobie, fühlten uns nicht sicher.» Als gesundheitliche Probleme seiner Mutter hinzukommen, reist die Familie weiter nach Lyon.

Auch in Frankreich ist der Anfang hart: Täglich rufen die Eltern bei der Stelle für Notunterkünfte an, um eine Bleibe für die Nacht zu finden. Häufig ist nichts frei. Anfangs kommen sie im Hotel unter, doch dann geht das Geld aus. Als der Vater eine Stelle bei einem Sicherheitsdienst findet, zieht die Familie in einen Sozialbau der Vorstadt Villeurbanne, im Brennpunktviertel Buers. Dort beginnt sich Kithoko, der Soziologie, Internationale Beziehungen und später Sozialökonomie studiert, zu politisieren. Die Ankunft vieler Geflüchteter aus Syrien im Jahr 2015 und die Zunahme fremdenfeindlicher Diskurse prägen ihn. «Die Leute verbreiteten xenophobe Parolen mit ihren Smartphones, in denen kongolesische Mineralien steckten – also ein Teil meiner Geschichte, der Grund, warum wir geflohen sind. Und da sollte ich der Eindringling sein?»

Den Vorwurf, dass für westliche Technologien kongolesisches Blut fliesst, gibt es schon lange. In den nuller Jahren lenkten US-NGOs internationale Aufmerksamkeit auf das Problem der Mineralien aus Konfliktgebieten, die auf dem Weltmarkt landen. Zertifizierungsmechanismen sollten dies darauf verhindern. Doch bis heute dürften sich kongolesische Konfliktmineralien in westlichen Geräten befinden. Dabei spielt auch Ruanda eine Rolle. Denn ein Teil der Rohstoffe wird in das kleine Nachbarland geschmuggelt, das die Rebellengruppe M23 laut Uno massgeblich mit Waffen und Truppen unterstützt. In einem Bericht vom Dezember 2024 dokumentieren die Uno-Expert:innen, wie die M23 den Transport von Coltan an die ruandische Grenze organisiert. Dort würden die Mineralien mit Rohstoffen aus ruandischer Produktion gemischt und weiter exportiert – unmöglich, ihre Herkunft zurückzuverfolgen.

Erste Verbindungen zwischen dem Rohstoffreichtum und der Gewalt in seiner Heimat habe er relativ früh erkannt, sagt Kithoko. «Fragte ich meine Eltern als Kind, warum wir fliehen mussten, sagten sie mir oft: weil unser Land reich ist.» Ihm geht es aber nicht nur um Konfliktmineralien – das Problem sei das «extraktivistische System» als Ganzes. «Selbst wenn es im Kongo keinen Krieg gäbe, würde der Bergbau unsere Erde zerstören.» Als Student beginnt er, sich für Umwelt- und Klimaschutz zu engagieren – und für jene, die dabei oft vergessen werden, im Kongo wie in Frankreich. «In Villeurbanne, wo ich lebte, war alles, was für die Gemeinde zählte, dass wir unseren Müll richtig trennten. Dass wir dort, in der Nähe der Ringautobahn, den Autoabgasen am stärksten ausgesetzt waren, kümmerte niemanden.»

Kritik an der EU

2017 gründet er mit Freund:innen den Verein Génération Lumière. Im Kongo organisieren die Aktivist:innen zunächst Aktionen wie das Pflanzen von Bäumen. In Frankreich lancieren sie Diskussionsrunden, nehmen an Konferenzen teil – und tragen ihre Forderungen in die EU. Kritik übt Kithoko unter anderem am europäischen Grünen Deal, der die Dekarbonisierung durch Elektroautos, Wind- und Solarenergie vorantreiben will. «Was ist das für eine Energiewende, wenn dadurch Konflikte geschürt werden und die Erde anderswo vergiftet wird? Wenn wir an einem Ort CO₂-neutrale Blasen schaffen und an einem anderen die Umwelt verdrecken?», fragt er.

Er sei nicht gegen ein Umstellen auf Elektroautos, «aber warum arbeitet man nicht daran, dass Autos in unserer Gesellschaft allgemein viel weniger gebraucht werden? Wir müssen umdenken, reduzieren. Und die Lebensdauer elektronischer Geräte verlängern, damit weniger Rohstoffe benötigt werden.» Manche Bereiche, findet Kithoko, müssten grundlegend infrage gestellt werden. Etwa die künstliche Intelligenz, in die Frankreich in den kommenden Jahren 109 Milliarden Euro stecken will. «Es gibt bisher keinen Beweis dafür, dass diese einen Mehrwert für den Planeten bringt.»

Marsch nach Strassburg

Im Sommer 2024 marschierten Kithoko und ein Dutzend Mitstreiter:innen rund 230 Kilometer von Besançon bis zum Europaparlament in Strassburg. Dort brachten sie einen Resolutionsvorschlag ein. Unter anderem appellierten sie ans Parlament, ein Anfang 2024 zwischen der EU und Ruanda unterzeichnetes Mineralienabkommen zu beenden. Die EU will sich damit eine «nachhaltige» Versorgung mit Rohstoffen aus Ruanda sichern – und das Land im Gegenzug beim Ausbau seiner Rohstoffversorgungskette und seiner Infrastruktur finanziell unterstützen.

Kritiker:innen wie Kithoko sehen darin eine Art Freifahrtschein für «das ruandische Vorgehen im Kongo». Als die M23-Rebellen im Februar 2025 immer weiter vorrückten, handelte das EU-Parlament im Sinn der Aktivist:innen und forderte die Kommission und den Europäischen Rat auf, das Abkommen mit Ruanda sofort auszusetzen. Bindend ist die Aufforderung allerdings nicht. In einem nächsten Schritt wollen sich Kithoko und seine Mitstreiter:innen daher direkt an die Kommission wenden.

Doch auch an einem Friedensabkommen, das der Kongo und Ruanda Ende Juni unter Vermittlung der USA unterzeichnet haben, üben sie Kritik. Die Übereinkunft sieht unter anderem einen Rückzug der ruandischen Soldat:innen aus dem Ostkongo vor. Auch soll die Rebellengruppe FDLR entmachtet werden, die Ruanda als grösste Bedrohung für seine Sicherheit sieht. Sie war Anfang der 2000er Jahre von Hutu-Offizieren und mutmasslichen Völkermördern gegründet worden, die nach dem Genozid an den Tutsi in Ruanda 1994 in den Kongo geflohen waren. Parallel dazu soll die kongolesische Regierung in Katar mit den M23-Rebellen über eine Abrüstung verhandeln.

Kithoko verspricht sich von all dem nichts: «Das ist bei weitem nicht das erste Friedensabkommen. Bisher sind alle gescheitert. Trotzdem wird mit denselben Gruppen verhandelt wie in der Vergangenheit. Wie kann man da auf einen anderen Ausgang hoffen?» Wenig erstaunt ihn auch, dass die USA sich laut Präsident Trump durch die Vermittlung des Abkommens kongolesische Rohstofflizenzen sichern wollen. «Alle wollen einen Teil vom Kongo. Es ist immer dasselbe – eine Fortsetzung des extraktivistischen Systems.»