Literatur: Achtzig Jahre danach

Im März 1944 – die deutsche Wehrmacht hat Norditalien besetzt – wird der 35-jährige Schreiner Giuseppe im Grenzdorf Cremenaga verhaftet, weil er Verfolgten zur Flucht in die Schweiz verholfen haben soll. Die Nazis bringen ihn ins KZ Mauthausen, wo er mit Glück und dank seines handwerklichen Könnens überlebt. Nach der Befreiung durch die US-Armee findet er, sechzehn Monate nach seiner Verhaftung und gesundheitlich schwer angeschlagen, zu Fuss zu seiner Frau Concetta und seinen zwei kleinen Kindern zurück.
«Sechzehn Monate», der preisgekrönte neue Roman des Tessiners Fabio Andina («Tage mit Felice»), beruht auf der Geschichte seiner Grosseltern mütterlicherseits. Alternierend erzählt der Autor von Giuseppes Gedanken und dem grausamen Überlebenskampf im Konzentrationslager, dann wieder vom Alltag Concettas und der Kinder im besetzten Landstrich bei Varese, der geprägt ist von Angst und Armut, aber auch von Zusammenhalt. Fabio Andina hat akribisch nach Dokumenten und Spuren geforscht, doch das meiste, was er von seinem Grossvater Giuseppe schildert, musste er erfinden – dieser hatte nach der Rückkehr nichts von dem erzählt, was ihm widerfahren war.
In der für ihn charakteristisch schlichten, mal kargen, mal poetischen Sprache gelingt es Andina, die Geschichte einer grossen Liebe und des grossen Unheils, das gewöhnliche Menschen damals traf, behutsam und bewegend zu vergegenwärtigen. Der permanente Wechsel der Perspektive, von Giuseppes Leiden zu Concettas Bangen und Hoffen, schafft Spannung und raffinierte Überblendungen. Ohne falsche Dramatisierung stellt Andina Szenen von kaum beschreiblicher Brutalität im Lager neben beinahe idyllische Momente mit den Kindern in der Natur. Sein an Cesare Pavese und Beppe Fenoglio erinnerndes Buch stellt sich der Gewalt und dem Schmerz, verzichtet freilich auf grosse Gesten oder Worte. Gerade so, durch Verdichtung und einfühlsame Genauigkeit, weckt es starke Emotionen – achtzig Jahre danach, in Zeiten neuer Kriege.