Kost und Logis : Danke, Sauerkraut!
Ruth Wysseier sorgt sich um das Tier- und Pflanzenwohl

Stellen Sie sich vor, Sie spazieren an einem Sonntag übers Land und erzählen Ihrer Begleitung von einer Kollegin, die Sie nicht mögen. Diese sei eine dumme Kuh, werden Sie möglicherweise sagen. Sie denken sich gar nichts dabei, sehen nicht, dass da eine Kuh am Waldrand steht, sehen nicht, wie sie zusammenzuckt, sich umschaut, ob noch eine andere Kuh in der Nähe steht, die gemeint sein könnte, und dann in schwere Selbstzweifel verfällt und voller Scham aus dem Bild läuft.
Tiere müssen dauernd solche Herabsetzungen hören, weil wir gedankenlos daherreden. Wo bleibt unsere Achtsamkeit, wenn wir reden, wie uns der Schnabel gewachsen ist? Wenn wir sagen: «Jemand watschelt wie eine Ente», ist dies Bodyshaming auch für das Tier, das fürsorglich seine Jungen betreut und so schnell schwimmen und elegant tauchen kann. Damit nicht genug: Wir nennen den schrecklichsten Tanz, der je erfunden wurde, Ententanz. Und den Vögeln, speziell den Meisen, unterstellen wir, dass sie in unserem Oberstübchen nisten und uns verrückt machen.
Warum machen wir die Menschen schlecht, indem wir sie mit Tieren vergleichen? Wir schimpfen sie Ratte, sturer Esel, blöder Affe, Hornochse, Drecksau oder falsche Schlange. Bei genauerem Hinschauen respektive Hinhören fällt auf, dass wir drei Gründe haben, Tiere schlechtzureden: Die einen wollen wir essen. Es leuchtet ein, dass es einfacher ist, Tiere zu schlachten, wenn wir sie nicht als Gleichgestellte sehen. Vor anderen – Ratte, Schlange – fürchten wir uns. Indem wir sie abwerten, halten wir sie auf Distanz, was uns ein trügerisches Gefühl der Überlegenheit gibt. Und die dritten kennen wir nicht. Dazu gehören ausgerechnet die Affen, die doch so nahe mit uns verwandt sind. Eigentlich wissen wir genau, dass Affen nicht blöd sind, aber wir möchten möglichst nicht wissen, wie ähnlich wir ihnen sind.
Verräterisch ist schliesslich, vor welchem Tier wir eindeutig Respekt haben. Wir sagen: «Gut gebrüllt, Löwe», und hoffen, dass der sich an das Kompliment erinnert, wenn wir ihm mal versehentlich zu nahe kommen. Doch selbst der Löwe ist heute in Gefahr, nicht nur durch die Jagd, sondern wegen der KI. Seit drei Jahren ist das Gebrüll des Metro-Goldwyn-Mayer-Löwen, das uns im Kinosessel wohlig erschauern lässt, computergeneriert.
Wenn wir schon beim Spracheaufräumen sind, sollten wir uns auch anschauen, wie wir Pflanzen und Früchte behandeln. Wir veräppeln und verkohlen jemanden, finden etwas birnenweich, wenn es unsinnig ist, beleidigen die blöde Zwetschge und die dumme Nuss. Haben Pflanzen etwa keine Würde?
Im Zweiten Weltkrieg nannten die US-Militärs die deutschen Soldaten «krauts» oder «krautheads». Die Propagandaabteilung der Armee förderte dies, sie betrachtete die Begriffe als geeignet für eine besonders würdelose Darstellung des Feindes, wie Wikipedia weiss. Danke, Sauerkraut, dass du den Alliierten geholfen hast, die Nazis zu besiegen.
Ruth Wysseier ist Winzerin am Bielersee.