Film: Im Gefängnis geboren

Nr. 16 –

Man könnte sich betrogen fühlen, wenn man erfährt, dass sich unter den Gefangenen im Film «107 Mothers» auch eine Schauspielerin befindet. Dabei gibt der slowakische Regisseur Peter Kerekes von Anfang an Hinweise darauf, dass er hier Dokumentarisches mit gespielten Szenen mischt, liegt doch schon über den ersten Aufnahmen, die das Frauengefängnis in Odesa mit seinem alten Mauerwerk, den rissigen Kacheln und dem bröckelnden Putz zeigen, ein Hauch von Verfallsromantisierung – was nur ein anderes Wort dafür ist, dass hier ein Ort mit einer Geschichte versehen, mithin zum Sprechen gebracht wird.

Im Frauengefängnis von Odesa sitzen auch Schwangere ein, erklärt der Film einführend. Nach der Geburt dürfen die Kinder vier Jahre lang bei der Mutter bleiben. Danach landen sie, wenn sich keine andere Lösung findet, im Waisenhaus. Wärterin Iryna (die Gefängniswärterin Iryna Kiryazewa, die hier sich selbst spielt) rät deshalb der Insassin Lesya (Maryna Klimowa), den Kontakt zu ihrer zerrütteten Familie zu verbessern – damit dem Sohn, den sie gerade zur Welt gebracht hat, später das Heim erspart bleibt. Lesya sagt dazu nichts. Verurteilt wurde sie wegen Mord an ihrem Ehemann.

Die Frauen um sie herum – authentische Figuren und Gesichter – sitzen wegen ähnlich schwerer Delikte. «Eifersucht» gibt eine ältere Insassin als Grund dafür an, dass sie die Liebhaberin ihres Gatten erschlagen habe. Ein ähnliches Motiv suggeriert der Film auch für Lesya, die fiktive Gestalt in diesem dokumentarisch gefilmten Milieu, die so ein typisches Schicksal repräsentieren soll.

In der zweiten Hälfte macht der Film mit Lesya einen Zeitsprung, mit dem sich die Situation von Mutter und Kind verschärft. Wird ihr kleiner Junge wirklich heimlich fortgeführt werden, wie man es in einem anderen Fall sieht? Oder findet Lesya noch eine einigermassen wohlwollende Unterbringung für ihn? Auf einmal ist es nebensächlich, was echt und was gespielt ist – Hauptsache, dem Kleinen wird es gut gehen.

107 Mothers. Regie: Peter Kerekes. Ukraine/Slowakei 2021