Autoritärer Umbau in der Slowakei: Keine Zeit für faule Hundstage!
Eine rechtsextreme Ministerin treibt in der Slowakei den kulturellen Kahlschlag voran. Tausende gehen dagegen auf die Strasse, auch der Schriftsteller Michal Hvorecký.
Es war eine extreme Woche in der Slowakei. Nicht nur hat man 39,7 Grad in der Hauptstadt Bratislava gemessen, auch die gesellschaftliche Stimmung war höchst dramatisch. Alles hatte am Dienstag zuvor, dem 6. August, begonnen. Die Kulturministerin Martina Šimkovičová entliess Matej Drlička, den Generaldirektor des renommierten Slowakischen Nationaltheaters, und am Tag darauf die langjährige Chefin der Nationalgalerie, Alexandra Kusá, mit sofortiger Wirkung. Sie warf beiden finanzielles Missmanagement und «politischen Aktivismus» vor. Sie hätten den Ruf ihrer Einrichtungen beschädigt.
Das Gebäude der Nationalgalerie am Donauufer ist nach 23 Jahren endlich fertig saniert. Die umfangreiche Sammlung von der mitteleuropäischen Gotik bis zur Gegenwartskunst verzeichnete 2023 mehr als 134 000 Besucher:innen. Auch das Nationaltheater weist nach schwierigen Coronajahren neue Rekordzahlen aus. Das Publikum liebt die Aufführungen, die Auslastung lag in der letzten Spielzeit bei neunzig Prozent.
Am Montag, dem 12. August, forderten Tausende auf dem Platz des Widerstands in Bratislava den Rücktritt der Kulturministerin Šimkovičová, die seit Oktober 2023 im Amt ist. Sie hat in der vierten Regierung von Robert Fico von Anfang an deutlich gemacht, dass es im Land ihrer Meinung nach «nur rein slowakische und keine andere Kultur» geben soll. Für den «Genderwahn» und eine «LGBTI-Agenda» solle es künftig keine öffentlichen Fördermittel mehr geben.
Die Führungen mehrerer anderer staatlicher Kultureinrichtungen waren schon im Frühjahr ausgewechselt worden. Das Kinderkulturzentrum Bibiana etwa leitet seit zwei Monaten eine Nachbarin und enge Freundin Šimkovičovás, die vorher bei einer IT-Firma und als Yogalehrerin gearbeitet hatte. Der neue Chef der Nationalgalerie, ein Investmentmanager und Experte für esoterische «Selbstmassage», musste beim ersten Treffen mit den Mitarbeiter:innen zugeben, er habe «keine Ahnung von Kunst». Sein erstes Vorhaben: vor dem Haupteingang einen sehr hohen Mast für die blau-weiss-rote Nationalflagge zu errichten. Die Empörung war gross.
Bei der Demonstration am Montag habe ich die Reden auf der Bühne moderiert, organisiert wurde die Kundgebung von der Initiative «Otvorená kultúra» (Offene Kultur), in der sich rund 300 Einrichtungen aus dem ganzen Land zusammengeschlossen haben. Vierzig Grad auf der Bühne und laute, engagierte Stimmung trotz der Hitzeschlacht. Keine Zeit diesen Sommer für die Faulheit der Hundstage! Auch viel Polizei war vor Ort, weil es sich um den ersten grossen Protest handelte, der seit dem Attentat eines Einzeltäters auf den Premierminister Fico am 15. Mai stattgefunden hat. Die rechtspopulistische Regierung bezeichnet den Mordversuch als einen gezielten Angriff der skrupellosen Opposition und verunglimpft jede Kritik als «progressivistische Hetze», die zu weiteren Gewalttaten führe.
Die Öffentlichkeit liess sich davon nicht einschüchtern, fast 10 000 Menschen sind gekommen. Eine Schauspielerin, die gerade in der männlichen Hauptrolle in einer Inszenierung von Thomas Bernhards «Theatermacher» grosse Erfolge feiert, las unter Beifall einen Aufruf der unabhängigen Kulturschaffenden vor. Auch tschechische Kolleg:innen haben über den Fluss Morava hinweg einen Aufruf zur Solidarität beigesteuert. Fast als gäbe es sie noch, meine alte Heimat, die Tschechoslowakei.
Aus Protest haben in den letzten vierzehn Tagen ausserdem rund 185 000 Slowak:innen eine Onlinepetition unterzeichnet, die ich gemeinsam mit drei Kolleg:innen initiiert habe. Sie fordert den Rücktritt der Kulturministerin – es ist schon der zweite solche Aufruf, nachdem der erste, letzten Winter von der «Offenen Kultur» lanciert, von Šimkovičová ignoriert und als «Fake» bezeichnet wurde.
Am Dienstagabend haben dann zwei Oppositionsparteien zu einer weiteren Demonstration am gleichen Ort aufgerufen. Diese richtete sich gegen die gesamte Regierungskoalition. 18 000 Bürger:innen fanden sich auf dem Platz des Widerstands ein, wo seit der Samtenen Revolution 1989 die rege Zivilgesellschaft ihre Meinung äussert und diskutiert: in den neunziger Jahren über die Regierung des Rechtspopulisten Vladimír Mečiar, später über die Gorilla-Affäre, einen Korruptionsskandal in der Amtszeit von Mikuláš Dzurinda (1998–2006), danach über den brutalen Mord am Journalisten Ján Kuciak 2018. Die Slowakei kommt nicht zur Ruhe.
Ich glaube, die Entlassungen in der Kulturpolitik sind auch ein raffiniertes Ablenkungsmanöver des erfahrenen Machtmenschen Fico. Er hat sich rasch vom Attentat erholt und verfolgt derzeit eine radikale Justizreform. Letzte Woche wurde der ehemalige Sonderstaatsanwalt Dušan Kováčik auf direkte Anordnung des Justizministers nach nur zwei Jahren aus dem Gefängnis entlassen – er war im Mai 2022 wegen Korruption zu acht Jahren Haft verurteilt worden. Fico äusserte sich dazu sofort auf Facebook: Er halte diesen Schritt für «gerecht und rechtmässig».
Die beiden Demonstrationen hat der Premierminister als vom Ausland gesteuert bezeichnet. Er sei sich sicher, es werde als Folge davon weitere Attentate geben. Seit Jahren kontaminiert Fico den Diskurs mit sprachlicher Gewalt, verbreitet Verschwörungstheorien, Lügen und Halbwahrheiten, beschimpft politische Gegner:innen und kritische «Presstituierte». Fico hat sich zum politischen Influencer gewandelt. Seine Monologe dominieren auf fast allen Onlinekanälen, während seine Regierung die öffentlich-rechtlichen Medien rasant zu Propagandasendern umbaut.
Ähnlich grosse Affinität zum Internet wie Fico bewies in den letzten Jahren auch seine Kulturministerin Šimkovičová. Nachdem die einst populäre Fernsehmoderatorin 2015 vom Privatsender Markíza wegen rassistischer Hetze entlassen worden war, startete sie eine neue Karriere als Star der neuen Rechten. Im Netz konnte sie ihr völkisch-nationales Gedankengut frei präsentieren, ihre Youtube-Botschaften erreichten immer mehr Follower:innen: «LGBTQ-Ideologie» als Grund für den Niedergang Europas und das Aussterben der «weissen Rasse», Kremlpropaganda über den Euromaidan und Wolodimir Selenski, lautstarker Antiamerikanismus.
2023 setzte Andrej Danko, der Vorsitzende der Slowakischen Nationalpartei (SNS), Šimkovičová zusammen mit weiteren obskuren Onlinestars aus dem ultrarechten Spektrum auf die Wahlliste seiner schwachen und korrupten Partei – in der Hoffnung, so den Wiedereinzug ins Parlament zu schaffen. Das hat, wenn auch äussert knapp, geklappt: Die SNS wurde zur Koalitionspartei und die unwahrscheinlichste aller Ministerinnen ins Amt gehoben.
Ihre Geschichte zeigt, was für ein riesiger Fehler es war, den slowakischen Faschismus als ausschliesslich historisches Phänomen zu begreifen. Unser Faschismus (1940–1945) war religiös, katholisch, zweifellos eine Diktatur, aber er war nicht durchgehend totalitär – nicht weil er milde gewesen wäre, sondern wegen der Schwäche seiner Ideologie. Der Rechtsruck der Slowakei liegt auch an der fehlenden kritischen Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit, vor allem der weitverbreiteten Kollaboration mit zwei Diktaturen – dem Hitler-Regime und dem Stalinismus.
Jahrzehntelang war vor allem der Operngesang der kulturelle Exportartikel der Slowakei. Doch die Szene ist facettenreicher, bunter, vielfältiger sowie höchst aktuell, regional unterschiedlich und so solidarisch wie noch nie. Auch international macht sie Schlagzeilen. Vor allem österreichische Museen zeigen Arbeiten von Künstler:innen wie Július Koller, Mária Bartuszová oder Jaro Varga. Slowakische Literatur wird vermehrt in Fremdsprachen übersetzt, slowakische Musik weltweit gespielt. Das Schauspielhaus Wien bereitet gerade eine Koproduktion mit dem Slowakischen Nationaltheater vor. Die neuen Stimmen der Kultur sind lauter, politischer, kritischer geworden – auch als Antwort auf die rabiat nationalistische Kulturministerin.
Solidaritätsbekundungen kamen auch aus dem Ausland. Der Schweizer Autor und Theaterregisseur Milo Rau und mit ihm die gesamte Leitung der Wiener Festwochen halten die aktuellen Entlassungen in der Slowakei für «völlig unverantwortlich, im Inhalt und in der Konsequenz undemokratisch, in der Form für respektlos und unprofessionell und daher eines Mitgliedstaats der Europäischen Union für völlig unwürdig».
Martina Šimkovičová hat aber auch zahlreiche Anhänger:innen. Die AfD zum Beispiel lobt sie als «Kämpferin gegen Wokeness». Der EU-Parlamentarier Maximilian Krah glaubt, dass «die mutige Frau» den Linken die Kulturinstitutionen wegnehme und als einzige europäische rechte Politikerin «die Kultur zurück zur Normalität» bringe, wie er auf X schrieb. Die Weltanschauung der slowakischen Ministerin deckt sich über weite Strecken mit dem Kulturprogramm der AfD, die eine grundsätzliche Neuausrichtung der Kulturpolitik mit dem Ziel der Verteidigung der deutschen Identität fordert: «Die aktuelle Reduktion kultureller Identität auf eine Schuld- und Schamkultur» soll durch positive Bezugspunkte nationaler kultureller Identität korrigiert werden, um die «aktive Aneignung kultureller Traditionen und identitätsstiftender Werte wieder in den Vordergrund zu rücken».
Šimkovičová ist ein Symptom eines gesamteuropäischen, eines globalen Problems. Wie es der österreichische Reporter Martin Pollack klar formulierte: «Was derzeit an kulturpolitischem Kahlschlag in der Slowakei passiert, geschieht gegen uns alle, es geht uns alle an. Er wirkt sich auf uns alle aus.»
Michal Hvorecký (48) lebt als Schriftsteller in Bratislava. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Auf Deutsch erschien von ihm zuletzt «Tahiti Utopia» bei Klett Cotta.