Slowakische Seilschaften: BäuerInnen steigen auf die Barrikaden
Der ermordete Journalist Jan Kuciak hat zuletzt vor allem zu Betrugsfällen in der Ostslowakei recherchiert. Eine Spurensuche.
Im Besprechungszimmer haben sich die BäuerInnen versammelt. Sonnengegerbte Gesichter, schwielige Hände. Jedes Auto, das vorfährt, und jeder Gast, der seinen Kopf zur Tür reinstreckt, wird beargwöhnt. Schnell füllt sich der Raum mit dem Dampf der elektronischen Zigaretten. Der Vorhang ist zugezogen.
Es ist kein gewöhnlicher Plausch, zu dem sich die BäuerInnen getroffen haben. Seit einiger Zeit gehe es hier in Sobrance mit dem Teufel zu, sagt der Bauer Marian Micko. Es sind viele Schicksale, die geschildert werden. Von Landraub und Erpressung. Von tatenlosen PolizistInnen und körperlicher Gewalt. Aber alle Geschichten gleichen sich in einem: Sie drehen sich um einflussreiche Unternehmen, bis weit in die Politik vernetzt, die die KleinbäuerInnen der Region bedrohen.
Sobrance ist die östlichste Stadt der Slowakei. Ein 6000-Einwohner-Nest, an dessen Hauptstrasse sich Lagerhallen aneinanderreihen. Bis zur ukrainischen Grenze sind es nur wenige Kilometer. Eine von Landwirtschaft geprägte Region, die seit dem EU-Beitritt der Slowakei 2004 vor allem von EU-Agrarförderungen lebt. «Der wilde Osten», wie ihn der Aktivist Daniel Tiza von der Bürgerinitiative Zemplin halb im Scherz, halb im Ernst nennt.
Ein korruptes System
Der Osten spielte auch in den Recherchen des Journalisten Jan Kuciak, der Ende Februar mit seiner Verlobten Martina Kusnirova ermordet wurde, eine prominente Rolle. Die letzte Story, an der er arbeitete, handelt von den Verbindungen der italienischen Mafia mit der lokalen Politik und dem Betrug bei EU-Förderungen in der Ostslowakei. Ein korruptes System der Unberührbaren aus Politik und Wirtschaft bis hin zu hohen Amtsträgern der sozialdemokratischen Regierungspartei Smer. Lange blieb das System im Verborgenen. Doch mit dem Journalistenmord ist der Damm gebrochen. Seit Wochen protestieren Tausende «für eine anständige Slowakei», von Bratislava über Banska Bystrica bis nach Kosice. Die Proteste haben bereits den Rücktritt von Premier Robert Fico und Innenminister Robert Kalinak erzwungen. Und sie gehen weiter.
Auch die BäuerInnen in der Region um Sobrance haben sich dem Protest angeschlossen. Sechzig von ihnen unterstützen die Initiative Zemplin. Unter dem Motto «Gebt uns unser Land zurück» sind sie zuletzt in der Stadt Humenne auf die Strasse gegangen. Sie erzählen von gut vernetzten Geschäftsmännern, die sich die Grundstücke der BäuerInnen unter den Nagel reissen. Micko gehört zu den beliebtesten Rednern. Mit seinem wallenden Bart, seiner stämmigen Statur und seinem Pullunder aus grobem Strick wirkt er nicht unbedingt wie ein Revolutionär. Ein Kleinbauer, der Wein und Getreide anbaut und ein paar Ziegen hält.
Micko holt weit aus. Seit vier Jahren hat er keinen Zugang mehr zu der Lagerhalle, die er vor zehn Jahren gekauft hat. Ein Geschäftsmann, vernetzt in die höchsten Kreise, erhebt auch Anspruch auf die Halle und das Grundstück. Einen Rechtsstreit hat Micko zwar durch alle Instanzen gewonnen, doch der Zutritt wird ihm von Sicherheitsleuten verwehrt, und das Urteil wird von der Polizei ignoriert. Kein Wunder, sei doch die lokale Polizeichefin die Nichte einer Smer-Politikerin, die viele hinter den Machenschaften vermuten, so Micko. Es ist dieser eine Satz, den Micko auch in seinen Reden immer wieder sagt: «Die Oligarchen haben die Kontrolle über den Staat übernommen.»
Mickos Fall ist eine Geschichte, beispielhaft für viele, die man sich dieser Tage in der Slowakei erzählt. 500 Kilometer weiter im Westen, in Bratislava, sitzt Gabriel Sipos von Transparency International in seinem Büro. Er beschreibt eine Symbiose aus Behörden, Geschäftsmännern und der Politik, die sich seit 2006, dem Beginn der Regierungszeit der Partei Smer, herausgebildet hat. «Die Polizei und die Staatsanwälte haben keine freie Hand, um unabhängig zu ermitteln», sagt Sipos. Der offenkundigste Beleg: In der jungen Geschichte der Slowakei ist noch kein einziger hochrangiger Politiker wegen Korruption verurteilt worden. «Der prominenteste Fall betraf einen Bürgermeister einer Stadt mit 20 000 Einwohnern.»
Dabei hat sich in punkto Korruptionsbekämpfung seit dem EU-Beitritt der Slowakei einiges bewegt. Zuletzt wurde eine Justizreform durchgesetzt, und öffentliche Aufträge werden jetzt transparenter über ein Onlineportal abgewickelt. Auch die Medien können relativ frei über Korruption berichten. «Korruptionsfälle werden zwar dokumentiert, aber nicht geahndet», sagt Sipos. Das sei auch ein Grund, warum sich so viel Frust in der Bevölkerung angestaut habe, der sich nun in der Protestwelle entlade: «Der Mord an Kuciak hat das Fass erst zum Überlaufen gebracht.»
Die Slowakei galt lange als Musterland in einer schwierigen Region. Die internationale Autoindustrie hat in dem 5,4 Millionen EinwohnerInnen zählenden Staat viel investiert. Seit 2009 zahlt man hier mit dem Euro, als einzigem Land unter den Visegrad-Staaten. Die Regierung vertrat sogar – im Gegensatz zu vielen anderen osteuropäischen Ländern – eine etwas sanftere Position bei der Flüchtlingsfrage und hat zumindest einige Flüchtlinge aufgenommen. Doch hinter den Kulissen wurde ein System aufgebaut, das wenig mit dem Selbstverständnis der EU zu tun hat. «Die Slowakei versucht, ihre oligarchische Demokratie mit starken EU-Verbindungen zu kaschieren», schrieb zuletzt die «World Politics Review».
Mächtiger als die italienische Mafia
Der Ostslowakei kommt dabei eine besondere Rolle zu. Dass die Kontrollen hier, im äussersten Osten der EU-Aussengrenze, immer lax gewesen seien, habe dem Betrug Tür und Tor geöffnet, sagen die lokalen AktivistInnen. Dass hier auch die italienische Mafia beim Abzweigen der EU-Förderungen ihre Finger im Spiel haben soll, hat zwar für Schlagzeilen gesorgt, ist aber für viele ExpertInnen nur eine Randnotiz. «In Wirklichkeit ist die slowakische Mafia viel mächtiger», sagt Sipos.
Für die BäuerInnen von Sobrance steht fest, dass der Mord an Kuciak mit dessen Recherche im Osten zusammenhängt. Es sind gemischte Gefühle, mit denen sie über den Mord sprechen: Da ist die Trauer, dass zwei Menschen ermordet wurden, und die Hoffnung, dass sich dadurch etwas verändert und endlich viele SlowakInnen ihr Schweigen über die herrschende Rechtlosigkeit brechen. «Die ganze Welt verfolgt unseren Kampf für eine würdige Slowakei», schrieb zuletzt Peter Bardy, Chefredaktor der Onlinezeitung «Aktuality.sk», für die Kuciak arbeitete.
Auch Micko, der Bauer mit dem wallenden Bart, hat Hoffnung, dass die Proteste etwas verändern könnten: «Der tragische Mord an Kuciak hat die Regierung geschwächt und uns Bürger gestärkt», glaubt er. Aktivist Tiza sagt: «Wir konnten einfach nicht mehr länger schweigen.»