Italiens neue Regierung: Vor allem heisse Luft

Nr. 44 –

Giorgia Meloni hat ihr Amt als Regierungschefin angetreten. Bisher betrieb sie vor allem Symbolpolitik – im Geist ihres ideologischen Vorbilds Benito Mussolini.

Im Studio einer Fernsehsendung: Ignazio La Russa, von Giorgia Meloni flankiert
Oben angelangt: Ignazio La Russa (Mitte), von Giorgia Meloni flankiert. Foto: A. Masiello, Getty

Nein, sie glaubt nicht, sich irgendetwas vorwerfen zu müssen – nicht einmal Jugendsünden. Diese Überzeugung führte Giorgia Meloni schon in ihrem 2021 erschienenen Bestseller «Io sono Giorgia» auf mehr als 300 Seiten aus. Und sie war auch Kernaussage ihrer ersten Rede nach der Vereidigung als Regierungschefin, die sie am 25. Oktober vor der Abgeordnetenkammer hielt. Sie dauerte siebzig Minuten, etliche Unterbrechungen durch rauschenden Beifall der rechten Mehrheit mitgezählt. Nichts vorzuwerfen habe sie sich etwa, weil sie nie «Sympathie für oder Nähe zu antidemokratischen Regimes, den Faschismus eingeschlossen», gehabt habe, so Meloni.

Idole und Idioten

Das ist gelogen. Benito Mussolini sei ein «guter Politiker» gewesen und habe viel für Italien geleistet, sagte sie 1996. Da war sie schon Vorsitzende der neofaschistischen Azione Studentesca. Als sie 2008 Ministerin der Regierung Berlusconi wurde, war der «Duce» in ihren Augen immerhin noch ein «grosser Staatsmann». Und im zurückliegenden Wahlkampf warf sie ihm, und auch das erst auf Nachfrage, nur gerade drei «Irrtümer» vor: die Abschaffung der Demokratie, die antisemitischen «Rassengesetze» und das Bündnis mit Adolf Hitler. Die Schlussfolgerung überliess sie dem Publikum: Irren sei menschlich, das könne auch einem grossen Mann mal passieren, legte sie ihm nahe.

Keine ihrer skandalösen Äusserungen hat Meloni bisher zurückgenommen oder auch nur zu relativieren versucht. Als sie in ihrer Amtsantrittsrede am 25. Oktober politisch motivierte Gewalt anprangerte, bezog sie sich dabei allein auf die Linke: Der «militante Antifaschismus» habe den «Hass aus der Zeit des Bürgerkriegs verewigt», sagte Meloni. Etwa als in den 1970er Jahren Linksradikale mit Schraubenschlüsseln auf unschuldige Patrioten eingeschlagen hätten. Die Vorgeschichte linker Militanz verschwieg sie dagegen: den faschistischen Terror ab 1969, Putschversuche, die Verbindungen rechter Bombenleger mit der legalen neofaschistischen Partei, dem 1946 gegründeten Movimento Sociale Italiano (MSI). Dessen wichtigster Führer war Giorgio Almirante, in den letzten beiden Kriegsjahren Staatssekretär in Mussolinis Sozialrepublik. Als MSI-Sekretär forderte er von seiner Partei die Vorbereitung auf den «physischen Zusammenstoss» mit der Linken. Bis heute ist er Melonis Idol geblieben.

Noch wichtiger für ihre politische Karriere ist Ignazio La Russa, ihr väterlicher Freund, Mitbegründer der Fratelli d’Italia und notorischer Sammler von Mussolini-Büsten. Nun amtet er als Senatspräsident – als Italiens zweithöchste staatliche Autorität. In seiner Antrittsrede bemühte sich La Russa um moderate Töne. Im Gegensatz zum Lega-Politiker Lorenzo Fontana, der neu der Abgeordnetenkammer vorsitzt: In Anspielung auf rechte Verschwörungsmythen raunte Fontana von geheimen Mächten, die Italiens Souveränität untergraben würden.

Auch Meloni bemühte in ihrer Rede den Kampf gegen die fremde Einmischung: Das italienische Volk habe Ratschläge «von aussen» nicht nötig. Immer wieder beschwor sie die «Nation», wobei sie sich aber gleichzeitig zur Nato und zur EU bekannte, was von deren Führungsgremien wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde. Den einheimischen Unternehmer:innen gefällt vor allem Melonis Versprechen, diejenigen fördern zu wollen, die «handeln, statt zu reden». Offensichtlich werten sie das als Unterstützung in den bevorstehenden Verteilungskämpfen.

Verblüffende Kontinuität

Vor allem aber erwarten sie von der neuen Regierung Stabilität. Bislang wird diese Erwartung erfüllt. Wirtschafts- und sozialpolitische Massnahmen, die wesentlich vom Kurs Mario Draghis abweichen, wurden noch keine beschlossen. Die Kontinuität ist verblüffend. Meloni hat auch heikle Personalfragen fast ohne Störgeräusche gelöst. Matteo Salvini, der gern wieder Innenminister geworden wäre, muss sich mit dem Infrastrukturressort abfinden. Das ermöglicht ihm, bei der Kontrolle der Häfen mitzureden: Mit seinem Kernthema, der Abwehr «illegaler Migration», will er Wähler:innen von Meloni zurückgewinnen.

Diese beschränkt sich bei ihrer Arbeit noch weitgehend auf Symbolpolitik. Dazu zählt die Umbenennung mehrerer Ministerien. Das Industrieministerium ist jetzt zuständig für «Unternehmen und Made in Italy»; das Ministerium für Landwirtschaft trägt neu auch die «Ernährungssouveränität» im Namen; und zur Aufgabe der Familienpolitik gehört ab sofort auch die Steigerung der «Geburtenrate». Der Staat soll die Fortpflanzung im Rahmen der traditionellen Familie fördern, dem «primären Kern unserer Gesellschaft». Mussolini verfolgte seinerzeit ganz ähnliche Ziele: Er nannte das dann eine «demografische Schlacht» und zeichnete kinderreiche Mütter mit Goldmedaillen aus.

Das immerhin scheint derzeit nicht vorgesehen. Und würde auch nicht reichen, um die Wähler:innen zufriedenzustellen. Sie erwarten handfeste materielle Verbesserungen. Solche aber sind kaum finanzierbar, für 2023 wird sogar eine leichte Rezession prognostiziert. Über die Verteilung der Ressourcen besteht auch innerhalb der regierenden Koalition Uneinigkeit. Dass sie daran zerbricht, ist wenig wahrscheinlich. Unmöglich ist es nicht: Berlusconis erste Rechtsregierung war 1995 schon nach gerade einmal 251 Tagen am Ende.