Italiens Antifaschismus: Märchenstunde mit Giorgia Meloni und Konsorten
Die neofaschistische Regierung versucht, durch gezielte Provokationen die Geschichte umzuschreiben. Dabei ignoriert sie Fakten, die in Italien zum historischen Grundwissen gehören.
Diesen Jahrestag hasst Italiens Rechte seit jeher: Der 25. April 1945 war der Tag, an dem das Nationale Befreiungskomitee für Oberitalien zum antifaschistischen Aufstand aufrief – gegen die deutschen Besatzungstruppen und ihre italienischen Waffenbrüder. Bereits wenige Tage später verliessen die letzten Besatzer das Land. Am 28. April wurde Benito Mussolini von Partisanen erschossen; die Niederlage des Faschismus war besiegelt. Schon ein Jahr später wurde der 25. April erstmals offiziell als Tag der Befreiung begangen – eine weitere Demütigung für die Besiegten.
Seitdem kommt es rund um den antifaschistischen Feiertag immer wieder zu Auseinandersetzungen. In diesem Jahr tobt der Streit jedoch bereits seit Monaten. Vergangenen Oktober haben die neofaschistischen Fratelli d’Italia (FdI) im Bündnis mit Matteo Salvinis Lega und Silvio Berlusconis Forza Italia die Regierung übernommen. Und offensichtlich fühlen sie sich dadurch besonders zu geschichtspolitischen Provokationen legitimiert. Premierministerin Giorgia Meloni schreitet dabei stolz voran. Im Dezember lobte sie die nach dem Krieg 1946 gegründete neofaschistische Partei Movimento Sociale Italiano (MSI): Diese habe es geschafft, «Millionen von besiegten Italienern zur Demokratie zu führen».
Bis auf die Zähne bewaffnet
Vor einigen Wochen nutzte Meloni den Jahrestag des Massakers in den Ardeatinischen Höhlen bei Rom für eine weitere geschichtsrevisionistische Attacke. Dort seien am 24. März 1944 «335 unschuldige Italiener ermordet worden, nur weil sie Italiener waren», behauptete sie. Eine mehrfache Geschichtsfälschung. Mindestens 9 der Ermordeten waren keine italienischen Staatsbürger:innen; die Opfer waren zudem gezielt ausgesucht worden: Antifaschist:innen, Jüd:innen, Oppositionelle. Etwa 50 von ihnen standen auf einer Liste, die der Innenminister von Mussolinis «Sozialrepublik» von Salò, Guido Buffarini, der deutschen Besatzung übergeben hatte. Die Täter waren Deutsche, doch ihre Komplizen waren Italiener – an anderen Orten mordeten Nazis und italienische Faschisten zwischen 1943 und 1945 gemeinsam. Das gehört in Italien zum politischen Grundwissen.
Entsprechend gross war die Empörung. Melonis Märchenstunde geriet allein deshalb aus den Schlagzeilen, weil ihr Parteifreund Ignazio La Russa wenig später noch schlimmere Geschichtsfälschungen nachschob. Wieder ging es um die Vorgänge im März 1944, genauer: um den Bombenanschlag der kommunistischen Partisan:innen der GAP (Gruppi d’Azione Patriottica) auf das Polizeiregiment Bozen in Rom, bei dem 33 Besatzungssoldaten und zwei italienische Zivilisten starben. Der rechten Tageszeitung «Libero» sagte La Russa: «Ich möchte daran erinnern, dass das Attentat in der Via Rasella nicht zu den ruhmreichsten Seiten der Resistenza gehört: Sie haben eine Musikkapelle von südtirolischen Halbrentnern umgebracht, keine Nazis der SS. Sie kannten das Risiko einer Vergeltungsmassnahme sehr gut, dem sie die römischen Bürger, ob Antifaschisten oder nicht, aussetzten.» Damit spielte La Russa auf das von Meloni erwähnte Massaker an, das tags darauf «zur Vergeltung» verübt worden war.
In Wirklichkeit hatten die angeblichen Rentner ein Durchschnittsalter von 35 Jahren und waren – wie der Präsident der Partisan:innenvereinigung ANPI, Gianfranco Pagliarulo, richtigstellte – «bis auf die Zähne bewaffnet» und auf direktem Weg in den Kampf gegen US-amerikanische Truppen und Kämpfer:innen der Resistenza. Dem GAP-Kommando eine Mitschuld am Tod Unschuldiger anzulasten, ist Teil einer absichtlichen Täter-Opfer-Umkehr. Auf Proteste und Rücktrittsforderungen antwortete La Russa, der als Senatspräsident das zweithöchste Staatsamt bekleidet, mit einer halbherzigen Rücknahme seiner Aussage: Das mit den musizierenden Rentnern habe er irgendwo gelesen, auch habe er niemanden beleidigen wollen.
Ignoranz oder Kalkül?
Damit, so befand auch Meloni, sei die Angelegenheit erledigt. Italienische Antifaschist:innen und die gesamte parlamentarische Opposition sehen das allerdings anders und fordern La Russas Rücktritt. Dazu wird es nicht kommen, solange Meloni ihm die Treue hält. Wie wichtig er für sie selbst und ihre Partei ist, lässt sich in ihrem 2021 veröffentlichten Bekenntnisbuch und Bestseller «Io sono Giorgia» nachlesen (siehe WOZ Nr. 26/21). «Ohne ihn und seine Erfahrung hätten wir es nicht geschafft», schreibt sie dort: Nur dank La Russas Hilfe sei im Dezember 2012 die Gründung der Fratelli d’Italia gelungen – «einer neuen Partei mit alter Tradition». An Mussolinis Regime kritisiert Meloni vor allem zweierlei: die Abschaffung der Demokratie und die antisemitischen «Rassengesetze» von 1938.
Diese Sicht teilt auch La Russa. Sein Anliegen sei die nationale Versöhnung, beteuert er immer wieder. So habe er als Verteidigungsminister unter Berlusconi bei einer Zeremonie in Mailand Blumen auf die Gräber von Partisanen gelegt, «und zwar von allen, auch den roten, die bekanntlich kein freies und demokratisches Italien wollten, weil sie dem Mythos des kommunistischen Russland anhingen». Anders gesagt: Sie wollten den Stalinismus einführen, während die Patriot:innen des MSI erfolgreich demokratische Prozesse vorantrieben. Als La Russa auf die antifaschistischen, demokratischen Prinzipien der Verfassung von 1948 hingewiesen wurde, konterte er, dass das Wort «Antifaschismus» dort ja gar nicht vorkomme.
Ist das Ignoranz oder Kalkül? Diese Frage stellte sich auch angesichts einer weiteren Provokation von La Russas Parteifreund Francesco Lollobrigida. Der neue Landwirtschaftsminister, zugleich Melonis Schwager, nutzte einen Auftritt beim Kongress der rechten Gewerkschaft Cisal, um vor einem drohenden «Bevölkerungsaustausch» zu warnen – ein rechtsextremer Verschwörungsmythos. Von diesem habe er nie gehört, verteidigte er sich gegen anschliessende heftige Kritik; er halte es nur für falsch, der bedrohlich sinkenden Geburtenrate mit Einwanderung aus Afrika und Asien zu begegnen.
Ein neuer Antifaschismus
Die vielen rechten Attacken haben am diesjährigen Jahrestag des antifaschistischen Aufstands letzten Dienstag besonders viele Menschen auf die Strassen getrieben. Die wichtigste Kundgebung gab es in Mailand, der «Hauptstadt» der Resistenza. Dort sprach auch ANPI-Präsident Pagliarulo, der einen «neuen Antifaschismus» vertritt: zugunsten einer «grossen Allianz mit den neuen Generationen» – zu denen auch jene gehören, die keine italienische Staatsbürgerschaft besitzen.
Während Meloni nicht anders konnte, als zusammen mit Staatspräsident Sergio Mattarella ein traditionelles Ritual zu begehen, suchten Lollobrigida und La Russa das Weite. Lollobrigida weilte in Japan, während La Russa in Prag am Denkmal für den Studenten Jan Pallach, der sich 1969 aus Protest gegen die sowjetische Besatzungsmacht öffentlich verbrannte, einen Kranz niederlegte.
Bei seiner Rückkehr wird La Russa mit neuen Protesten konfrontiert sein: Wenn er die Senatssitzung eröffnet, wollen oppositionelle Politiker:innen den Saal verlassen.