Licht im Tunnel: Willkommen zurück?

Nr. 17 –

Michelle Steinbeck über postpartal-postmortale Überforderung

Diese Rückkehr habe ich mir anders vorgestellt. Zurück aus dem Mutterschaftsurlaub – wahrscheinlich hätte ich, wie schon so viele, darüber geschrieben, dass «Urlaub» das falsche Wort ist. Vielleicht wäre ich übernächtigt gewesen und hätte zwischen Stillen, Wickeln, Singen, Herumtragen fragmentiert, assoziativ, traumartig notiert. Ich weiss nicht, was ich geschrieben hätte, aber bestimmt über das Mutterwerden, Elternwerden. Es hat alles verändert.

Schon vor der Geburt habe ich mir ausgemalt, was ich wohl in dieser ersten Kolumne danach schreiben würde. Sie stand wie ein Meilenstein in dieser ominösen Zeit des Danach, in der alles anders sein würde. Ich würde mich verändert haben, das war gewiss, aber wie, konnte ich nicht wissen. Mit grossem Bauch stand ich in meinem Arbeitszimmer, in dem nun auch ein Wickeltisch stand, und machte mir Gedanken, ja Sorgen, ob und wie ich noch schreiben können würde, wenn dieses strampelnde, hicksende, schlafende Baby ausserhalb von mir existierte. Es würde so viel von meiner Energie und Aufmerksamkeit beanspruchen, die bisher dem Schreiben gehörte.

Diese erste Kolumne danach war wichtig, denn sie sollte die Rückkehr ins Arbeitsleben markieren. Das tut sie auch jetzt. Und es ist schwieriger als alles, was ich mir je hätte vorstellen können. Denn ich bin Mutter geworden. Aber wie es mit Kindern ist: Es kommt oft anders als geplant. Bald bin ich verwaiste, trauernde Mutter geworden.

Statt über den anstrengenden, beglückenden Alltag als Autorin mit einem lebenden Baby zu berichten, muss ich nun also über mein Leben mit meinem toten Baby schreiben. Und obwohl ich darüber so viel zu erzählen hätte, bin ich überfordert.

Jede Handlung nach diesem Tod ist ein erstes Mal, das zumindest Überwindung kostet. An manches gewöhne ich mich schnell. Anderes muss kontinuierlich geübt, im Wechsel mit Pausen trainiert, allmählich gestärkt werden. Und vieles ist noch ausser Reichweite.

Auch Schreiben muss ich wieder lernen. Wörter haben eine neue Bedeutung seit dem Tod. Ich sehe das Wort anders, muss es abklopfen, damit sitzen und nichts tun. Warten, welche Resonanz vom Wort ausgeht in der Stille. Das brauche ich. Zeit. Um mich den Worten vorsichtig zu nähern, wie dem Alltag, dem Leben draussen, das ich mir Schritt für Schritt wieder erobere.

Trauern, so heisst es, ist Schwerstarbeit. Ich muss meine Welt wiederaufbauen, die verlorene Sicherheit, unsere Zukunft. Jedes Ding neu betrachten, deuten, annehmen; ausleeren, füllen; damit es wieder Sinn ergibt. Von innen nach aussen: das Bett. Das Schlafzimmer. Das Wohnzimmer. Die Küche. Den Balkon: die Strasse von oben. Das Draussen nachts, um niemandem zu begegnen. Später das Draussen bei Licht, Begegnungen. Das Arbeitszimmer, Doch-nicht-Wickelzimmer. Den Friedhof, den Rhein; Offensive und Rückzug; Lachen und Weinen; Zuversicht und Verzweiflung, Trostlosigkeit.

Stück für Stück setzen wir unsere Welt wieder zusammen. Manchmal geht es wie von Zauberhand. Manchmal passt es nicht oder will nicht halten. Unsicheres Wackeln, drohender Zusammenbruch. Es ist anstrengend. Mein Gott, ist es anstrengend.

Das ist also meine Rückkehr. Ich weiss nicht, ob ich bereit dafür bin. Ich brauche mehr Zeit.

Michelle Steinbeck ist Autorin und verwaiste Mutter in Trauer.