United States of Palantir

Le Monde diplomatique –

In den USA vollzieht sich ein grundlegender Umbau des Staates. Die Hauptrolle spielen dabei Tech-Unternehmen wie Palantir und Anduril, an deren Software wichtige hoheitliche Aufgaben delegiert werden. Dieser Trend zur „Privatisierung der Souveränität“ setzt sich immer mehr auch in Europa durch.

Palantir-Mitgründer Thiel auf einer Bitcoin-Konferenz 2022
Palantir-Mitgründer Thiel auf einer Bitcoin-Konferenz 2022 Foto: REBECCA BLACKWELL picture alliance/AP

Ende Juli 2025 gab die Führung der US-Streitkräfte heimlich, still und leise ein entscheidendes Stück ihrer Eigenständigkeit ab. Im Innersten der bürokratischen Maschinerie des Pentagon unterzeichnete sie einen 10 Milliarden Dollar schweren Vertrag mit dem Unternehmen Palantir Technologies.

Der Vertrag ist einer der größten, die das US-Verteidigungsministerium – von Trump jüngst in Kriegsministerium umbenannt – je abgeschlossen hat. Offiziell soll er nur die bürokratischen Abläufe effektiver machen, indem er 75 Einzelkontrakte zu einem einzigen Paket bündelt.

Doch hinter dem Technokratensprech verbirgt sich eine sehr viel grundsätzlichere Entscheidung: Der Vertrag macht die Software von Palantir zum Standardbetriebssystem für verschiedenste Bereiche, von der Informationsverarbeitung auf dem Gefechtsfeld über die Logistik der Rüstungslieferketten bis hin zum Personalmanagement. Was als Verschlankung der Pentagon-Bürokratie daherkommt, ist in Wahrheit ein strategischer Schritt: Kernaufgaben des Militärs werden an ein Privatunternehmen ausgelagert, dessen Gründer Peter Thiel offen erklärt, dass „Freiheit und Demokratie nicht mehr miteinander vereinbar sind“.1

Der Palantir-Deal bedeutet, dass Entscheidungen über militärische Ziele und Truppenbewegungen oder die Auswertung geheimdienstlicher Informationen zunehmend durch Algorithmen erfolgen, die nicht von der militärischen Führung kontrolliert werden, sondern von der Leitung eines Unternehmens, die im Interesse der Aktionäre agiert. Das US-Militär hat also nicht einfach Software eingekauft, vielmehr hat es seine operative Eigenständigkeit an eine Plattform abgetreten, ohne die es nicht mehr handlungsfähig ist.

Der autoritäre Hightech-Komplex

In Washington kristallisiert sich damit ein neues Machtgebilde heraus, das die bislang komplexeste Herausforderung für die demokratische Regierungsform im digitalen Zeitalter darstellt: der autoritäre Hightech-Komplex. Und der agiert noch schneller, ideologischer und strikter im Interesse der Unternehmer als frühere Varianten des militärisch-industriellen Komplexes. Die Herren des Silicon Valleys bauen nicht mehr nur Apps, sie bauen Imperien.

Unter dem Banner patriotic tech arbeitet eine Koalition von Firmen, Geldgebern und Ideologen an einer weltumspannenden Infrastruktur für Überwachung und Zwang im Dienste einer Herrschaft ohne demokratische Kontrolle.

„Patriotic tech“ ist nicht nur ein Wortspiel. Es ist ein vielschichtiges Gebilde aus Cloud-Plattformen, KI-Modellen, Finanzinstrumenten, Drohnennetzwerken und Satellitensystemen. Diese Komponenten fügen sich zu einer integrierten techno-politischen Infrastruktur der Überwachung, die ich den „Autoritären Block“ (authoritarian stack) nenne. An seiner Spitze stehen die Rechts-außen-Figuren des Silicon Valley – Peter Thiel, Elon Musk, Marc Andreessen, David Sacks, Palmer Luckey und Alexander Karp. Sie investieren gezielt in ein politisches Projekt, das auf die Neubegründung der (staatlichen) Souveränität als private Vermögensanlage zielt.

Protest vor den Palantir-Büros in Palo Alto, Kalifornien, 14. Juli 2025
Protest vor den Palantir-Büros in Palo Alto, Kalifornien, 14. Juli 2025 Foto: TAYFUN COSKUN picture alliance/Anadolu

Im Gegensatz zum traditionellen Modell autoritärer Herrschaft mittels Mobilisierung der Massen und staatlicher Gewaltausübung beruht dieses neue System „privatisierter Souveränität“ auf einer technologischen Infrastruktur und koordinierten finanziellen Operationen, gegen die anzukämpfen nicht nur schwierig, sondern zwecklos erscheint.

Die Zeichen der neuen Zeit sind spätestens seit Mitte 2025 auch in Europa sichtbar. Das italienische Verteidigungsministerium ist dabei, Elon Musks Starlink-Satellitennetzwerk in das militärische Kommunikationssystem zu integrieren. In Deutschland entwickeln Rheinmetall und Anduril – ein kalifornisches Rüstungs-Start-up, das von Thiel unterstützt wird – im Rahmen einer „strategischen Partnerschaft“ ein autonomes Drohnensystem für die Nato.

Die Einführung von Palantir-Software bei der Polizei in vier deutschen Bundesländern ist noch umstritten, doch die Analyseplattform VeRA, eine abgespeckte Version der Palantir-Software, ist in Bayern schon seit August 2024 im Einsatz; und Baden-Württemberg hat einen Vertrag über die fünfjährige Nutzung von VeRA abgeschlossen, Kostenpunkt: 25 Millionen Euro. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) fasst auch die landesweite Einführung der US-amerikanischen Software ins Auge.2

In Großbritannien hat der National Health Service (NHS) seiner 330 Millionen Pfund teuren Palantir-Datenplattform bereits zig Millionen Patientenakten anvertraut; zudem hat die Starmer-Regierung mit den USA eine 1,5 Milliarden Pfund teure Verteidigungspartnerschaft vereinbart, die das Land zum Umschlagplatz für Militär-KI von Palantir macht.

In keinem Parlament in Europa wurde über diese Entscheidungen ernsthaft debattiert, auch Schlagzeilen haben sie kaum gemacht. Und das, obwohl sie in ihrer Summe das systematische Outsourcing staatlicher Souveränität an US-Technologiefirmen bedeuten, die den ideologisch radikalsten Investoren des Silicon Valleys gehören.

Es ist wahrhaft paradox: Während die europäischen Regierungen erklärtermaßen nach militärstrategischer Autonomie streben, geben sie zugleich wichtige Teile ihrer Sicherheitsinfrastruktur aus der Hand – und machen sich damit von US-Unternehmen abhängig, deren Bosse dabei sind, die Demokratie in Europa zu untergraben.

Die Umgestaltung der staatlichen Infrastrukturen betrifft fünf entscheidende Bereiche: demografische Daten, Geldpolitik, Verteidigung, orbitale Kommunikation (Satellitensysteme) und Energie. Das 10-Milliarden-Dollar-Paket des Pentagons hat dabei sichtbar gemacht, was die Insider schon wussten: Palantir ist de facto zum Betriebssystem der US-Regierung geworden. Das Unternehmen stellt die universelle Datenplattform für militärische Einsätze, für die Logistik der Lieferketten, für die Personalsysteme und für die Analyse geheimdienstlicher Informationen.

Auch das von der Trump-Regierung gegründete Department of Government Efficiency (DOGE) arbeitet Berichten zufolge mit der Foundry-Plattform von Palantir, einem System, das auf Technologien zurückgeht, die zuerst für die „Aufstandsbekämpfung“ der USA in Irak und Afghanistan entwickelt wurde. Diese Software integriert und automatisiert die Datenaufbereitung, etwa für die Aufstellung des Bundeshaushalts, die Ermittlung von Ansprüchen auf Sozialhilfe, die Erstattung von Gesundheitsleistungen und die Auszahlung von Beihilfen für Kriegsveteranen. All dies erfolgt mittels algorithmischer Prozesse, in die essentielle politische Entscheidungen eingeschrieben sind.

Nicht zuletzt kommt es dadurch zu massiven Interessenkonflikten: Trumps Vizestabschef und Nationaler Sicherheitsberater Stephen Miller besitzt Palantir-Aktien im Wert von bis zu 250 000 US-Dollar. Und das, obwohl – oder gerade weil – die Regierung, der er dient, das Unternehmen immer stärker bei der Zwangsausweisung von Migranten einbindet. Im April 2025 unterzeichnete die zuständige Behörde, das Immigration and Customs Enforcement (ICE), mit Palantir einen 30-Millionen-Dollar-Vertrag über die Entwicklung einer neuen „ImmigrationOS“-Plattform, die dabei helfen soll, abgelaufene Aufenthaltsvisa zu ermitteln und Massendeportationen durchzuführen.

Während Palantir das Datenrückgrat des autoritären Staates bildet, stellt das Unternehmen Anduril Technologies das autonome Befehlssystem zur Verfügung, das die IT-Überlegenheit in automatisierte Militärmacht umwandelt. Die Lattice-Plattform von Anduril verknüpft Satelliten- und Radarinformationen mit Bildern vom Kriegsschauplatz zu einem operativen Netzwerk, womit militärische Operationen automatisiert und in Echtzeit geplant und durchgeführt werden können. Nach Angaben von Anduril Technologies macht das System die höchste „Autonomiestufe 5“ möglich, die folgende Phasen des Waffeneinsatzes umfasst: starten, Ziele identifizieren, Ziele treffen und autonome Rückkehr.

Am 10. Juli 2025 verkündete Pete Hegseth, damals noch „Verteidigungsminister“, die Initiative „Unleashing U. S. Military Drone Dominance“. Mit der „Entfesselung der Drohnendominanz“ soll bis 2027 die vollständige Integration aller autonomen Waffensysteme abgeschlossen sein.

Zu den Gründern von Anduril Technologies gehören Palmer Luckey, Erfinder des ersten Virtual-Reality-Headsets Oculus Rift, sowie Trae Stephens, ein Partner in Peter Thiels Risikokapitalgesellschaft Founder Fund und früherer Teilhaber bei Palantir. Heute verfügt das Unternehmen über Rüstungsaufträge von gut 22 Milliarden US-Dollar. Bei seiner jüngsten Finanzierungsrunde im Juni erreichte Anduril eine Bewertung von 30,5 Milliarden Dollar, was nicht nur seine kommerziellen Erfolge abbildet, sondern auch seine wachsende Kontrolle über Kernbereiche der militärischen Infrastruktur.

Für die Privatisierung der Satellitenkommunikation auf erdnahen Umlaufbahnen, die früher eine ausschließlich staatliche Domäne war, steht das militärische Projekt Starshield, das einer strengen Geheimhaltung unterliegt. Das von Elon Musks SpaceX entwickelte Projekt bleibt trotz des Etiketts „souveräne Infrastruktur“ im Besitz und unter Kontrolle von SpaceX. Starshield würde die Kommunikation bei Nato-Einsätzen von einer Infrastruktur abhängig machen, die ein Mann kontrolliert, der rechtsradikale Parteien in Europa offen unterstützt.

Das Pentagon prüft zudem, ob Musks Großrakete Starship auch auf der Erde zum Transport von Militärmaterial genutzt werden könnte.3

Thiels Founders Fund fördert auch die Urananreicherungsanlage des Start-ups General Matter in Kentucky – die erste privat finanzierte Anlage dieser Art seit 2013. An der Spitze von General Matter stehen ehemalige SpaceX-Ingenieure und im Aufsichtsrat sitzt Peter Thiel. Diese unternehmerische Verflechtung ist kein Zufall: Laut Trumps Energieminister Chris Wright zielt die Weiterentwicklung der Nukleartechnik weniger auf die Energieunabhängigkeit der USA, sondern vor allem auf die eigene Dominanz im Bereich künstlicher Intelligenz. Denn KI ist, wie Wright betont, eine energieintensive Branche: „Je mehr in Energie investiert wird, desto mehr Intelligenz wird produziert.“

Die Rechenzentren, die es für diese Anwendungen braucht, sind durchweg auf eine stabile Stromversorgung mit hoher Leistungsdichte angewiesen. Die aber können in den erforderlichen Mengen nur Atomreaktoren der neuesten Generation liefern. Dadurch sind auch Großanbieter von Cloud-Kapazitäten wie AWS GovCloud oder Microsoft Azure for Government – in Partnerschaft mit OpenAI, Meta und Anthropic – mittlerweile in geheime militärische und nachrichtendienstliche Operationen eingebunden.

Diese Cloud-Computing-Plattformen übernehmen zunehmend die Funktion „souveräner“ Infrastrukturen, wobei „souverän“ in diesem Fall bedeutet, dass sich die Plattformen jeder öffentlichen Aufsicht entziehen – und zugleich die Regierungen in ihre privatwirtschaftlichen Infrastrukturen einbinden. Um zu verstehen, warum diese Übernahme staatlicher Infrastrukturen so zügig verläuft, muss man die beteiligten Personen betrachten. Die berühmte „Drehtür“ zwischen Politik und Wirtschaft ist hinfällig geworden, weil beide Bereiche zu einem neuen Machtgebilde verschmolzen sind.

Dazu ein paar Beispiele: J. D. Vance begann seine politische Karriere 2022 mithilfe von Peter Thiel, der 15 Millionen Dollar in seine Wahlkampagne für einen Senatssitz investierte – die größte Einzelspende, die ein Senatskandidat jemals erhalten hat.

Michael Kratsios, früher Stabschef bei Thiel Capital, war in der ersten Trump-Regierung als Vize-Verteidigungsminister für den Forschungsetat des Pentagon verantwortlich. Heute leitet er das Büro für Wissenschafts- und Technologiepolitik (OSTP), das direkt im Weißen Haus angesiedelt ist.

Der ehemalige Anduril-Manager Michael Obadal fungiert seit Ende September als stellvertretender Sekretär der Armee, der zweithöchste zivile Posten im Pentagon. Zum Zeitpunkt seiner Nominierung hielt er Aktien seines alten Unternehmens in Höhe von angeblich 1 Million US-Dollar.

Gregory Barbaccia arbeitete von 2010 bis 2020 für Palantir, zuletzt als Leiter der Abteilung „Intelligence and Investigation“. In der zweiten Trump-Regierung ist er als „Chief Information Officer“ für den Bereich Informationstechnologie verantwortlich, von dessen Programmen seine frühere Firma direkt profitiert.

Auch Clark Minor, der seit Mai 2025 als Chief Information Officer des Gesundheitsministeriums fungiert, war davor ein hoher Palantir-Manager. Er arbeitete also für ein Unternehmen, das vom Gesundheitsministerium zwischen 2021 und 2024 mit Aufträgen in Höhe von 300 Millionen Dollar bedacht wurde.

Der krasseste Fall ist das „Detachment 201“. Die im Juni 2025 geschaffene Pentagon-Abteilung darf Silicon-Valley-Manager als Teilzeit-Mitarbeiter rekrutieren und direkt in den Offiziersrang erheben. Die ersten vier als Oberstleutnant eingestellten Manager sind Shyam Sankar, Technologie-Chefmanager bei Palantir; Andrew Bosworth, Technologie-Chef bei Meta Platforms; Kevin Weil, Chief Product Officer bei OpenAI und Bob McGrew, ehemaliger Chef der Forschungsabteilung von OpenAI.

All diese Personalien machen deutlich: Die Unterscheidung zwischen Auftragnehmer und Militärführung, zwischen Gewinnstreben und nationaler Verteidigung wurde bewusst beseitigt.

Um die Architektur dieses Systems zu verstehen, muss man die Geldströme nachzeichnen, wofür sich insbesondere Thiels Leuchtturmprojekt Founders Fund eignet. Das auf 17 Milliarden Dollar geschätzte Risikokapitalunternehmen eröffnete die jüngste Finanzierungsrunde für Anduril Industries mit der Investition von 1 Milliarde Dollar, bis Juni kamen insgesamt 2,5 Milliarden zusammen. Als erster institutioneller Investor bei Palantir und bei SpaceX engagierte sich Thiels Fonds frühzeitig auch im Bereich der nachrichtendienstlichen Techniken und der Weltraumerschließung.

Anders als traditionelle Risikokapitalunternehmen achtet Founders Fund bei seinen Investitionen darauf, durch eigenes Leitungspersonal direkte strategische Kontrolle auszuüben. Trae Stephens zum Beispiel, einer der 13 Partner von Founders Fund, ist zugleich Vorstandschef von Anduril. Ein weiterer Partner, Delian Asparouhov, führt auch das Raumfahrtunternehmen Varda Space Industries, das die erste industriell genutzte Raumstation plant. Und der Fund-Partner Scott Nolan leitet das Uran-Start-up General Matter.

Was Thiel mittels des Founders Fund betreibt, ist also nicht bloß passive Kapitalallokation, sondern die aktive Übernahme von Unternehmen, die maßgeblichen Einfluss auf staatliche Hoheitsbereiche ausüben und diese zugleich neu gestalten.

Wie eng die persönlichen Netzwerke im Bereich der Risikokapitalfonds sind, zeigt exemplarisch die Entwicklung des Unternehmens 1789 Capital. Gegründet wurde der Anlagefonds 2022 von Kumpels sowohl Thiels als auch des heutigen Vizepräsidenten Vance. Direkt nach dem Wahlsieg seines Vaters stieg im November 2024 auch Donald Trump Jr. ein: Die Einlagen von 1789 Capital, das mit dem Slogan „patriotisch investieren“ wirbt, erhöhten sich von 150 Millionen auf gut 1 Milliarde US-Dollar. 50 Millionen davon flossen in das Musk-Imperium: an SpaceX und an xAI, also in Weltraumeroberung und militärische KI.

Über 1789 Capital besteht somit eine direkte Verbindung zwischen der Familie des US-Präsidenten und der Rüstungsindustrie.

Ein weiteres Beispiel ist das Risikokapitalunternehmen Andreessen Horowitz (auch „a16z“ genannt). Es hat den Fonds namens American Dynamism aufgelegt, der mit seinen 600 Millionen US-Dollar rüstungstechnische Projekte und sogenannte „Builders of the American state“ unterstützt. Mitgründer Marc Andreessen hat bei der Milliardärskaste des Silicon Valleys für Trumps Wahlkampf Spenden eingeworben, womit ein ganz neuartiges Amalgam aus Risikokapital, Ideologie und Staatsmacht entstanden ist.

Ähnlich großen Einfluss haben weniger bekannte Risikokapitalgiganten wie 8VC und General Catalyst. Der 8VC-Gründer Joe Lonsdale, ein Mitgründer von Palantir, stellte zusammen mit Musk das America PAC (Politisches Aktionskomitee Amerika) auf die Beine, das zu Trumps Wahlsieg vom 5. November 2024 beitrug. Beide Unternehmen investierten in Anduril: von 8VC flossen 450 Millionen Dollar; General Catalyst beteiligte sich an einer Investitionsrunde, die 1,48 Milliarden Dollar aufbrachte.

Die Anlagestrategie der Fonds zahlt sich aus. Palantir meldete für die ersten drei Quartale 2025 Erträge von jeweils über 1 Milliarde Dollar, vor allem dank der um 53 Prozent gestiegenen Regierungsaufträge. Mit einem Wertzuwachs von 143 Prozent in den ersten neun Monaten dieses Jahres hatte das Unternehmen die am besten performende Aktie im S&P 500, dem Aktienindex, der die 500 führenden börsennotierten US-amerikanischen Unternehmen umfasst.

Software für die deutsche Polizei

Allerdings zeigt sich ab und zu auch, dass Staatsabhängigkeit nicht ohne Risiko ist. So brach der Palantir-Kurs Anfang Oktober kurzfristig ein, als ein interner Report der U. S. Army bekannt wurde, der Sicherheitslücken beim Gefechtsfeld-Kommunikationssystem ermittelte.4

Wenn ein Unternehmen zum Betriebssystem seines Kunden wird, kann der Kunde nicht mehr wechseln. Das Unternehmen erzielt nicht mehr einfach nur Gewinne, sondern erarbeitet sich eine eigenständige Machtposition. Hier zeigt sich ein Problem, das nicht nur für die Demokratie in den USA existenziell ist, sondern auch für die Souveränität Europas.

Die deutsche Bundeswehr ist zunehmend auf die autonomen Systeme von Anduril angewiesen, seit der Rüstungskonzern Rheinmetall im Juni 2025 eine „strategische Partnerschaft“ mit dem US-Giganten abgeschlossen hat. Gemeinsam will man „europäische Varianten“ von Andurils „softwaredefinierten autonomen Systemen“ entwickeln, etwa des Marschflugkörpers Barracuda-M und des unbemannten, KI-gestützten Kampfflugzeugs YFQ-44, genannt Fury.5

Doch diese Partnerschaft beruht auf der Abhängigkeit von US-Software: Die europäischen Systeme laufen auf der KI-gestützten Anduril-Plattform Lattice, sind auf regelmäßig Updates von kalifornischen Servern angewiesen und operieren mit Parametern, die das Silicon Valley vorgibt.

Im deutschen Verteidigungsministerium denkt man mittlerweile über die Entwicklung eines eigenen Satellitensystems nach, das die Abhängigkeit von anderen Netzwerken – wie das von SpaceX betriebene Starlink – reduzieren soll.6 Zugleich hat sich Elon Musk mehrfach offen in die deutsche Politik eingemischt, zum Beispiel als er auf X postete: „Nur die AfD kann Deutschland retten.“ Oder mit der Grußbotschaft an eine Wahlkampfveranstaltung der Rechtsradikalen im Januar 2025.

Großbritannien sitzt noch tiefer in der Falle. Der National Health Service (NHS) arbeitet mit einer Datenplattform von Palantir, auf der Millionen Patientenakten gespeichert sind. Im Mai 2025 beauftragte die britische Regierung das Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG für ein Honorar von 8 Millionen Pfund damit, auch zögerliche oder skeptische Krankenhausbetreiber von der Einrichtung und Anwendung der komplizierten Palantir-Plattform zu überzeugen. Was zeigt, dass selbst willfährige Regierungen Mühe haben, bereits gekaufte Systeme zu implementieren.

Komplettiert wird die Abhängigkeit der Briten durch den 1,5 Milliarden Pfund teuren Partnervertrag mit Palantir, der das Vereinigte Königreich zum Umschlagplatz für die militärischen KI-Systeme des Unternehmens macht.

Dabei geraten die Europäer mit jedem Vertrag noch mehr in die Bredouille. Wenn Palantir für die Erfüllung von Regierungsaufgaben unentbehrlich geworden ist, wenn die Drohnen von Anduril zum Nato-Standard werden, wenn die KI-Systeme Atomstrom brauchen, um das alles am Laufen zu halten, dann wird der Prozess unumkehrbar.

Das Endresultat ist nicht die früher übliche Einflussnahme auf die Politik – etwa durch Lobbyisten –, sondern die grundlegende Transformation der Souveränität. Die wird fortan nicht mehr von demokratischen Institutionen ausgeübt, sondern von einer technischen Kapazität unter der Kontrolle von Privateigentümern.

Während in Brüssel über „digitale Souveränität“ debattiert wird, schließen europäische Ministerien Verträge ab, die staatliche Kernfunktionen an den „autoritären Block“ abtreten. Dabei schränkt jede neue Abhängigkeit die angestrebte politische Autonomie ein und setzt innerhalb der staatlichen Infrastruktur eine antidemokratische Logik durch.

Aus der politischen Transformation des Silicon Valleys in der Ära Trump 2.0 erwächst eine Figur, die Evgeny Morozov als „Oligarchen-Intellektuellen“ bezeichnet. Gemeint sind damit die Risikokapital-Unternehmer, die gewissermaßen als „organische Intellektuelle“ des Kapitals im 21. Jahrhundert neue Formen der Souveränität nicht nur theoretisch entwerfen, sondern propagieren und aktiv durchsetzen wollen.

Anders als Antonio Gramsics „organischer Intellektueller“ des Industriezeitalters, der Akzeptanz für die bestehenden Strukturen organisiert, verbreitet diese Figur ihre Botschaft mittels Finanzierung von Risikokapital, Stipendien und strategischer Personalrekrutierung. Das künftige postdemokratische Regieren wird durch einen technologischen Unterbau bewerkstelligt, der traditionelle Kontrollmechanismen systemisch aushöhlt.

Was als libertärer Ausstieg begonnen hat, endet mit autoritärer Vereinnahmung. Dieselben Unternehmerkreise, die einst „Seasteading“ propagierten – also die Schaffung von künstlichen Wohnstätten in internationalen Gewässern – und auf Kryptowährungen setzten, um sich staatlicher Autorität zu entziehen, positionieren heute ihre Vertreter auf höchster Regierungsebene. Nachdem die Akteure des Kapitals es nicht geschafft haben, parallele Institutionen aufzubauen, finden sie es effektiver, selbst zur staatlichen Infrastruktur zu werden.

Das zeigt sich etwa im Trump’schen Genius Act.7 Das Gesetz, das im Juli in Kraft trat, erklärt Stablecoins – digitale Zahlungsmittel, die an eine klassische Währung wie den US-Dollar gekoppelt sind – zur „nationalen Sicherheitsinfrastruktur“. Es verschafft den privaten Emittenten dieser Kryptowährungen quasi die Macht von Zentralbankern. Trumps Finanzminister Scott Bessent behauptet, mit Stablecoins könne man eine neue Nachfrage nach US-Staatsanleihen in Höhe von bis zu 2 Billionen Dollar schaffen. Damit hätte man ein privates Währungssystem, das öffentliche Defizite abdecken könnte.

Die Techno-Autokraten wissen, dass man, um Macht auszuüben, keine Wahlen gewinnen muss – sondern nur Verträge abschließen. Das aber heißt: Mit jedem staatlichen Beschaffungsprogramm wird die demokratische Wahlmöglichkeit eingeengt, bis die Wahl als solche auf technischer Ebene durch eine Infrastruktur eingeschränkt wird, die im Interesse der Investoren und nicht für die Bürgerinnen und Bürger errichtet wurde.

Die Demokratie dient dabei nur noch als Brücke in eine verklärte Vergangenheit. Um der Stabilität willen wird sie erhalten, zugleich aber systematisch ausgehöhlt. Die autoritäre Tech-Rechte des Silicon Valleys fantasiert sich diese Welt nicht zusammen – sie ist längst dabei, sie aufzubauen.

 

1 So erstmals in: „The Education of a Libertarian“, Cato Unbound, 13. April 2009.

2 Siehe „Polizeiarbeit aus der Blackbox“, taz, 4. Oktober 2025; und „Umstrittene Polizei-Software: Wie Bayern Palantir nutzt“, BR, 5. August 2025.

3 Audrey Decker, „Pentagon eyes Starship, designed for Mars, for military missions somewhat closer to home“, defenseone.com, 15. März 2024.

4 Siehe „Anduril and Palantir battlefield communication system ‚very high risk‘, US Army memo says“, Reuters, 4. Oktober 2025.

5Rheinmetall-Pressemitteilung vom 18. Juni 2025.

6 Siehe Thomas Jahn und Frank Specht. „Bundeswehr plant eigenes Satelliten-System im All“, Handelsblatt, 9. April 2025.

7 Siehe Frédéric Lemaire und Dominique Plihon, „Kryptos spalten die Welt“, LMd, September 2025.

Aus dem Englischen von Niels Kadritzke

Francesca Bria ist Ökonomin und Gründerin von authoritarian-stack.info, einer Informationsplattform über autoritäre Technologien von US-Tech-Firmen und ihre Nutzung.