«Sapad 2025»: Es trampeln die Stiefel von Putins Soldaten
In den vergangenen Tagen ging in Belarus das gemeinsame Militärmanöver mit Russland über die Bühne – deutlich kleiner als befürchtet.
Die gute Nachricht vorneweg: Das belarusisch-russische Militärmanöver «Sapad 2025» (Westen 2025), das diesen Dienstag zu Ende ging, hat gezeigt, dass sich die – insbesondere seitens des ukrainischen Präsidenten geäusserten – Befürchtungen nicht bewahrheitet haben. Anfang Jahr hatte Wolodimir Selenski angekündigt, Russland würde möglicherweise bis zu 150 000 Soldaten nach Belarus verlegen. Nach Angaben des belarusischen Verteidigungsministeriums nahmen nun allerdings bloss 7000 an den Übungen teil, darunter 1000 aus Russland.
Zwar erwiesen sich die belarusischen Generäle in der Vergangenheit nicht gerade als glaubwürdig – besonders, seit Russland die Ukraine im Februar 2022 von Belarus aus angegriffen hat. Doch der litauische Militärgeheimdienst nannte in etwa die gleichen Zahlen.
Üben und drohen
Die Manöver gingen auf dem Baryssau-Übungsgelände östlich von Minsk vonstatten – also mehrere Hundert Kilometer von der Grenze zu Polen und Litauen entfernt. Dass sie kleiner waren als erwartet, hat zwei Gründe:
Erstens hat der belarusische Machthaber Aljaksandr Lukaschenka derzeit keinerlei Interesse, die Beziehungen zu den benachbarten Nato-Staaten zu trüben. Im Gegensatz zu Russlands Präsident Wladimir Putin hegt er keine imperialen Ambitionen, sondern ist lediglich gezwungen, sich dem Kreml anzudienen, um sich für billige russische Energie zu revanchieren. Hinzu kommt der Dialog zwischen Minsk und Washington – Donald Trump hat Lukaschenka kürzlich selbst angerufen. Im Gegenzug für die Freilassung politischer Gefangener hat er Sanktionen gegen die Airline Belavia aufgehoben (vgl. «Belarus lässt Gefangene frei» im Anschluss an diesen Text).
Zweitens würde Putin die Nato zwar vielleicht gern auf die Probe stellen, hat aber derzeit nicht die Ressourcen, um ein nennenswertes Truppenkontingent nach Belarus zu verlegen, da alle Kräfte in der Ukraine gebunden sind.
Damit haben sich auch die alarmistischen Prognosen einiger Expert:innen nicht bewahrheitet, unter dem Deckmantel der Manöver könnte ein Durchbruch des sogenannten Suwalki-Korridors erfolgen – eines schmalen Streifens Land zwischen Litauen und Polen, dessen Besetzung es ermöglichen würde, die russische Enklave Kaliningrad mit Belarus zu verbinden und so die baltischen von den restlichen Nato-Staaten abzuschneiden.
Während russische und belarusische Militärführer erklärten, ihre Manöver seien rein defensiver Natur, gehen westliche Analyst:innen allerdings davon aus, dass während «Sapad 2025» tatsächlich Elemente eines Angriffs auf Nato-Staaten geprobt wurden. Einigen Prognosen zufolge könnte Putin einen solchen Schritt wagen – nach Beendigung seines Angriffskriegs gegen die Ukraine. Ein weiterer gefährlicher Aspekt des Manövers ist die Planung eines Einsatzes von Atomwaffen und der Mittelstreckenrakete Oreschnik. Moskau hat seine taktischen Atomwaffen bereits in Belarus stationiert und hat dasselbe auf Ende Jahr auch für die Oreschnik angekündigt – eine Drohung, mit der Putin die EU- und die Nato-Länder zu erpressen versucht.
Eine «alte Regel»
Lukaschenka glaubt derweil, die Nuklearwaffen auf seinem Gebiet würden ihm dabei helfen, sein Regime zu schützen. Tatsächlich aber wird er dadurch zur Schachfigur in Putins geopolitischem Spiel. Im Falle einer Eskalation, wenn es also zum direkten militärischen Konflikt zwischen der Nato und Russland käme, würde auch Belarus zum Ziel möglicher Vergeltungsschläge. Putins Kriegsspiele auf belarusischem Territorium gefährden also nicht nur die EU-Staaten, sondern auch Minsk. Belarusische Oppositionelle, von denen sich seit der Niederschlagung der Proteste im Jahr 2020 viele im Exil befinden, glauben entsprechend, ihr Heimatland stehe bereits unter einer hybriden Besetzung durch den Kreml.
«Es gibt eine alte Regel: Wo der russische Soldat seinen Fuss hinsetzt, das gehört uns», erklärte Putin im Sommer in seiner typisch zynischen Art. Dabei hatte der Fuss russischer Soldaten einst viele Länder Europas betreten, darunter mit dem Marsch über die Alpen des Generalissimus Alexander Suworow im Jahr 1799 sogar die Schweiz. Putins Aussage zeigt, dass die imperialen Ambitionen des Kreml weit über die Ukraine hinausreichen.
Gefahr ernst nehmen
Dass Trump der Ukraine einen – für sie alles andere als vorteilhaften – Deal zur Beilegung des Krieges mit Russland aufzwingen könnte, der eher Putin in die Hände spielt, eröffnet diesem Möglichkeiten, sein Potenzial für weitere Aggressionen auszubauen. Moskau rechnet zudem damit, dass Trumps Politik die Nato spaltet. Dessen Äusserung, Europa müsse sich selbst verteidigen, hat europäische Politiker:innen erschaudern lassen. Gleichzeitig zwingt sie sie dazu, die drohende Gefahr ernst zu nehmen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verharrte Europa in einem Zustand glückseliger Ruhe und Selbstzufriedenheit – und glaubte, vom Osten würde keine Bedrohung mehr ausgehen. Wie die jüngsten Ereignisse zeigen, ist das nicht der Fall. Heute trampelt der Stiefel russischer Soldaten auf dem Boden Russlands, der Ukraine und von Belarus. Morgen könnten Putins Truppen weiter vorrücken.
Die Minsker Journalistin Olga Klaskovskaya wurde im Oktober 2020 aufgrund fingierter Vorwürfe zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, weshalb die Menschenrechtsorganisation Wjasna sie als politische Gefangene listete. Nach der Freilassung im Dezember 2022 gelang Klaskovskaya die Flucht in die Schweiz, wo sie seither lebt.
Aus dem Russischen von Anna Jikhareva.
Belarus lässt Gefangene frei
Der Dialog zwischen den USA und Belarus trägt Früchte: Vergangene Woche wurden in Minsk 52 Regimegegner:innen begnadigt, am Dienstag 25 weitere. Im Gegenzug hat Donald Trump Sanktionen gegen die Airline Belavia aufgehoben – was Machthaber Aljaksandr Lukaschenka wieder den Kauf von Ersatzteilen für seinen Regierungsjet ermöglicht.
Im Anschluss an die Freilassung traten die Dissident:innen im litauischen Vilnius vor die Presse. Was sie berichteten, zeugt vom unmenschlichen Strafvollzugssystem des Regimes mit seinen mittelalterlichen Foltermethoden. Der angebliche Humanismus des Diktators ist in Wahrheit eine Fortsetzung der Gewalt, denn die ehemaligen Geiseln wurden allesamt ins Exil gezwungen.
Einer von ihnen, der 69-jährige Veteran der Opposition, Nikolai Statkewitsch, forderte das Regime heraus, indem er sich der Ausschaffung widersetzte. Er wurde von maskierten Männern abgeführt und offenbar erneut inhaftiert. Die Opposition ruft die internationale Gemeinschaft auf, sich für Statkewitsch Freilassung einzusetzen.