CU there : Wir wollen weiterspielen!
Vielleicht kennen Sie das: Sie brauchen dringend einen neuen Haarschnitt – plötzlich fallen Ihnen überall die wildesten Frisuren auf. Eine Person in Ihrem Umfeld ist schwanger – Babybäuche everywhere. Sie haben ein Buch über die Farbe Blau gelesen? Alles ultramarin und indigo. Mir geht es so mit dem Hinterhof: Seit ich diesen letzte Woche als utopischen Ort entdeckt habe, scheine ich mich ständig in einem Hinterhof zu befinden. Oder zumindest in seiner metaphorischen Form.
Da ist der feministische Stammtisch, zu dem ich eingeladen werde; ein Raum, in dem ich mich zugehörig fühle und seit langem wieder einmal kollektives, lautes Zweifeln übe. Da ist die Tanzgruppe, eine wöchentliche temporäre Gemeinschaft, verbunden durch eine geteilte Stunde Bewegung und Musik. Da ist der verschlafene Sonntagmorgen an einem Brunch der Roten Kulturtage, der meine Wangen unerwartet zum Glühen bringt.
Was zieht Menschen an diese Orte? Hobbys, eine geteilte Weltanschauung, Selbstverwirklichung, Bildung, politische Organisation? Räume, in denen Menschen ihren geteilten Interessen nachgehen können – im besten Fall, ohne dafür hohe Eintrittspreise zu zahlen –, werden immer weniger. Lauter Fitnessstudios, kaum offene Spielräume; lauter cute Ateliers, in denen alle die gleiche beige Kaffeetasse bemalen; lauter Stars in riesigen Hallen, während unabhängige, nichtkommerzielle Venues ums Überleben kämpfen.
Wo und wie kommen wir zusammen, in real life, wenn alles, was als «social»/»sozial» gelabelt wird, nach corporate bullshit klingt? Wenn der Begriff des Sozialen insgesamt in kleine, verkäufliche Stücke zerteilt und als «personality»-Brei in die (virtuellen) Regale gelegt wurde? Kann die Begegnungszone auch ein digitaler Raum sein?
Ich bin ein Boomer by proxy, ich habe mich schon lange von Social Media verabschiedet, das ganze AI-Gedöns klingt für mich nach dem grössten Scam ever, und ich habe sogar eine Papieragenda. Cringe, ich weiss. Aber warum geben wir monatlich so viel Geld für unsere 5+ Streaming- und Musikabos aus, statt lokale Künstler:innen mit unserer Präsenz zu unterstützen? Wir sitzen auf der Couch und sind überrascht, wenn die Stammbeiz schliesst. Wovor haben wir Angst? Wer profitiert vom Rückzug ins Private?
Mein hot take: Es ist erst Begegnung, wenn ich Schweiss, Bierpfützen und Parfüm rieche, wenn ich die Person neben mir atmen höre, wenn ich aus Versehen einen Ellbogen berühre, einen Wintermantel streife. Wenn ich mir meines Körpers neben anderen Körpern bewusst werde.
An der wegen eines Bauprojekts abrissbedrohten Yonex-Badminton-Halle bei der Hardbrücke zum Beispiel stand eine Weile: «29439 BadmintonspielerInnen wollen hier bleiterspielen [sic]», ach! Was auch immer Sie jetzt von Badminton etc. halten: Lasst uns doch einfach weiterspielen.
Schriftsteller:in Laura Leupi (29) streift in der Kolumne «CU there» durch Begegnungszonen in Zürich und schreibt immer freitags über öffentlichen Raum, Zugänglichkeit und Verdrängung.