Drei Engel für Erdoğan
Denken Hamas-Funktionäre darüber nach, wie sie eines Tages sterben werden? Spätestens jetzt sicher schon. Gleich drei haben in den vergangenen Tagen das Zeitliche gesegnet: Wirtschaftsminister Abed al-Sariei, Militärchef Mohammed Deif und der Chef des Politbüros Ismail Hanija. Letzterer genau an meinem 27. Geburtstag, nachträgliche Glückwünsche zu beidem sind willkommen.
Aus ideologischen Gründen, Märtyrertum and what not, beschäftigten sich die drei Männer wahrscheinlich Zeit ihres Lebens mit ihrem eigenen Tod. An ein friedliches Entschlafen im hohen Alter, umringt von Kindern und Enkeln, dürfte keiner von ihnen gedacht haben. Im Fall von Ismail Hanija nicht zuletzt deshalb, weil die israelischen Streitkräfte im April drei seiner Söhne und drei Enkel in einer vorbeugenden Schutzmassnahme in Stücke bombten. Wie alt die Enkel waren, ist unbekannt, wie alt die Kindeskinder eines 62-Jährigen ungefähr sein dürften, kann man sich ausrechnen, und wenn noch Fragen offen sind, konsultiere man einen Völkerrechtler seines Vertrauens.
Für gut die Hälfte der Türk:innen heisst der Völkerrechtler ihres Vertrauens bekanntermassen Recep Tayyip Erdoğan. Diese Woche gab es für diesen wieder reichlich Gelegenheit, den «Zähler der Tage seit der letzten internationalen Blamage» auf null zu setzen. Weil Instagram in einem seltenen lichten Moment offenbar Beileidsbekundungen für den getöteten Hamas-Chef Ismail Hanija löschte, tat Erdoğan, was Erdoğan eben tut, wenn er sauer ist: Er liess die Plattform sperren. Bei der Gelegenheit überzog er Israels Staatschef Benjamin Netanjahu mit dem ungefähr neunzigsten Hitlervergleich, nachdem er kurz zuvor mit militärischer Intervention gedroht hatte, «wie wir in Berg-Karabach reingegangen sind, wie wir in Libyen reingegangen sind».
Zum Glück führt derlei Kriegstreiberei zu keinen Skandalen oder Sanktionen, wenn der Kriegstreiber in der Nato ist, und zum Glück greift die normale Hälfte der türkischen Bevölkerung mit VPNs bequem auf jede Website zu, die dem jeweils neuesten Wutanfall aus Ankara zum Opfer gefallen ist.
Alles noch mal gut gegangen.
Özge İnan wurde durch ihre politischen Twitter-Beiträge bekannt. Ihren Account mit über 80 000 Follower:innen hat sie zwar inzwischen gelöscht, aber noch immer kommentiert sie pointiert das Zeitgeschehen. An dieser Stelle lesen Sie immer freitags ihre Kolumne, in der sie auf die laufende Woche zurückblickt.