Sachbuch: Auf der Suche nach der Dialektik

Nr. 24 –

Buchcover von «Die Linke im 21. Jahrhundert. Progressive Selbsterneuerung in aggressiven Weltverhältnissen»
Göran Therborn: «Die Linke im 21. Jahrhundert. Progressive Selbsterneuerung in aggressiven Weltverhältnissen». Aus dem Englischen von Hinrich Kuhls. VSA Verlag. Hamburg 2023. 96 Seiten. 19 Franken.

Der schwedische Soziologe Göran Therborn lehrte an Universitäten auf allen Kontinenten, zuletzt in Cambridge, und veröffentlichte rund vierzig Bücher. Seine Themen: Ideologie- und Klassentheorie sowie globale Ungleichheit. Vor allem aber ist der 81-Jährige ein an Marx geschulter Dialektiker, der mit der Arbeiterbewegung und der Linken sympathisiert. Eine «dialektische Entwicklungsdynamik» des 21. Jahrhunderts kann er allerdings noch nicht ausmachen, so eine der Hauptthesen seines Essays «Die Linke im 21. Jahrhundert».

Das 20. Jahrhundert hingegen wurde gleich doppelt von einer systemimmanenten Dialektik vorangetrieben: vom Industriekapitalismus und vom kapitalistischen Kolonialismus. Die Dialektik bestand darin, dass die Entwicklung jedes Systems dazu diente, den ausgebeuteten Teil zu stärken: die Arbeiterklassen und die kolonisierten Völker. Trotz verheerender Kriege und Völkermorde habe es grosse Fortschritte gegeben: beim Lebensstandard, bei Demokratie, Entkolonisierung und Geschlechterpolitik.

Im 21. Jahrhundert ist laut Therborn nichts davon zu sehen. Und das hat ihm zufolge mit den katastrophalen Hinterlassenschaften des 20. Jahrhunderts zu tun: So hat der Industriekapitalismus den Klimawandel erzeugt, der nun immer grössere Teile des Planeten unbewohnbar macht. Der Klimawandel ist für Therborn somit auch eine der drei Herausforderungen, auf die die Linke im 21. Jahrhundert Antworten finden muss. Die imperiale Geopolitik und die daraus resultierende Kriegsgefahr sowie die abgrundtiefe Ungleichheit als Erbe des neoliberalen Kapitalismus sind die anderen.

Es ist beeindruckend, mit welch weitem Blick Therborn auf so begrenztem Raum Entwicklungen nachzeichnet – und dabei vor allem skizziert, wie sich die Linke und ihre neuen Formen der Politik im neuen Jahrhundert entwickelt haben: in Afrika, Asien, im «Westen» und in Lateinamerika. Natürlich bleiben Lücken, manches wäre zu diskutieren, aber sein lesenswerter Essay lohnt die Auseinandersetzung.