Autorinnen in Afghanistan (4): Picknick zwischen Gräbern

Nr. 35 –

Vor bald drei Jahren hat das Taliban-Regime Frauen den Zutritt zu Pärken, öffentlichen Gärten und anderen Ausflugszielen verboten. Doch halten sie sich tatsächlich daran? Ein Streifzug durch Kabul.

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Illustration von Noémie Fatio: Tee-Kanne auf einem Gaskocher und Teegläser, Obst und eine grosse Tee-Kanne auf einer Tischdecke

Vor dem Kabuler Zoo im Stadtteil Deh Masang sah ich eine junge Frau am Rand des Gehwegs sitzen. Als ich sie fragte, was sie da tue, lächelte sie bitter und sagte: «Wir Frauen dürfen ja nicht hinein. Mein Mann, ich und unsere drei Kinder sind aus Dascht-e Bardschi hierhergekommen, um den Park zu erkunden und die Tiere zu sehen. Zu Hause haben wir den Kindern oft Bilder von wilden Tieren in Zeitschriften und Büchern gezeigt. Aber unser ältester Sohn, der die fünfte Klasse besucht, hat von seinem Biologielehrer die Anweisung erhalten, sich echte Tiere anzusehen. Deshalb sind wir heute gekommen. Ich warte hier auf sie, damit wir dann zusammen nach Hause gehen können.»

Ich fragte sie, ob hier Taliban kontrollierten und ob sie schon darauf angesprochen worden sei, warum sie hier sitze, oder aufgefordert worden sei zu gehen. Das lange Warten war ihr deutlich anzumerken. Sie lächelte und erwiderte: «Nein, zum Glück hat noch niemand etwas zu mir gesagt.» In diesem Moment kamen ein junger Mann und zwei junge Frauen zum Ticketschalter, der hinter einem grünen Eisenzaun steht. Eine der Frauen trug ein kleines Kind auf dem Arm. Der Mann wollte drei Eintrittskarten kaufen. Der Ticketverkäufer teilte ihm mit, dass nur er den Zoo besuchen dürfe, Frauen hätten keinen Zutritt. Sie machten kehrt.

Es ist jetzt zwei Jahre und neun Monate her, seit die Taliban Frauen den Zutritt zu Pärken, öffentlichen Gärten und anderen Orten der Naherholung verboten haben. Meine Gesprächspartnerin war erstaunt, dass die drei davon anscheinend noch nichts mitbekommen hatten.

Eine heimliche Oase

Vom Zoo aus machte ich mich auf den Weg nach Darul Aman, einem Stadtteil im Süden Kabuls. Es war Freitag, kurz nach elf Uhr am Vormittag. Als ich durch das Quartier Schahrak Hadschi Nabi zu einem Friedhof fuhr, der auf einem Hügel über der Stadt liegt, sah ich Frauen, junge Männer und Kinder, bepackt mit Thermoskannen, Wasserflaschen, frischem Obst und anderen Speisen. Ich traf auf eine ausgelassene junge Frau und fragte sie, was sie hier mache. Sie erwiderte, dass sie regelmässig hier sei, ihre Verwandten lägen hier begraben. Die Leute kämen hierher, um für die Toten zu beten und die Frühlingsluft zu geniessen. Schliesslich sei Freitag, und inzwischen gebe es ja keine anderen Orte mehr, an denen man seine Freizeit verbringen könne. So sei es ein Segen, dass sie zumindest zum Friedhof kommen könnten. Ich schaute mich um und sah zahlreiche Frauen, Mädchen und Jungen, die sich auf Matten und Decken zwischen den Gräbern niedergelassen hatten. Wenn die Taliban herausfinden, dass Frauen und Mädchen unter dem Vorwand, die Toten zu ehren, auf den Friedhof gehen, um sich zu amüsieren, werden sie zweifelsohne auch das verbieten.

Gegen 15 Uhr zog ich weiter zum Sachi-Schrein. Er befindet sich im westlichen Kabuler Stadtteil Kart-e Sachi, dessen offizieller Name Dschamal Mina lautet, in der Nähe der Kabuler Universität an den Ausläufern des Berges Asamai. Ich betrat die Anlage durch den Fraueneingang. Drinnen herrschte reges Treiben: Frauen, Teenagerinnen, Männer und Kinder waren dort versammelt. Einige machten Fotos mit ihren Mobiltelefonen und standen mit ihren Freund:innen herum, andere liefen umher. Ein paar Jungen tobten lachend durch die Anlage.

Ich ging weiter in den Familienbereich: ein mit Steinen aus der Umgebung stufenartig angelegter Platz, hier und da stehen Bäume, in deren Schatten die Pilger:innen – Männer und Frauen – zusammensassen. Die Stufen sind mit Marmorplatten bedeckt, auf denen Namen und Todesjahr der Verstorbenen geschrieben stehen. In einer Ecke kochten ein paar Leute Tee in Samowaren. Teegläser und Thermoskannen standen bereit. Ursprünglich war hier ein Friedhof. Während der Zeit der Republik in den siebziger Jahren wurden die Gräber jedoch auf einen anderen Friedhof verlegt und dieser Ort zu einem Schrein umgewandelt.

Kein anderer Ort

Alle Menschen, die ich dort sah, schienen glücklich. Offenbar waren sie hierhergekommen, um sich zu amüsieren. Ich näherte mich einem jungen Pärchen, das auf einer rot gefliesten Bank sass; vor ihnen standen Teegläser. Die junge Frau erzählte mir, dass sie verlobt seien. Ob sie öfter hier seien, fragte ich. «Nein, nur freitags», erwiderte sie. Freitags kämen immer viele Leute hierher, an den anderen Tagen nur Pilger:innen. Es gebe keinen anderen Ort, an dem man sich in Ruhe mit seinen Freund:innen und Familienmitgliedern treffen könne.

Ich ging weiter und hatte mich gerade zu einer Familie gesetzt, als drei Taliban-Aufseher in weissen Kitteln und mit langen schwarzen Bärten auf uns zukamen. Einer von ihnen wandte sich in wütendem Befehlston an die junge Frau vor mir: «Senken Sie Ihren Kopf und bedecken Sie gefälligst Ihre Haare! Sie gehen aus dem Haus, ohne auf Ihren Schleier zu achten. Offenbar haben Sie weder Respekt vor Gott noch vor seinem Propheten.» Die junge Frau war sichtlich verängstigt und zog sich hastig den Schleier über den Kopf, wobei ihr die Haare ins Gesicht fielen. Ihre Mutter sass neben ihr. Als die Taliban weitergegangen waren, empörte sie sich. Die armen jungen Frauen kämen hierher, um für die Erfüllung ihrer Wünsche zu beten, eine gute Zeit zu haben und die warmen Tage zu geniessen – und auf diese Art werde ihnen Angst vor dem Leben eingejagt.

In allen Ländern dieser Welt gibt es Pärke, Gärten und andere Erholungsanlagen, die von Frauen besucht werden dürfen. Das ist ihr Menschenrecht. In Afghanistan bleiben den Frauen jedoch nur die Gräber auf Friedhöfen.

Parand heisst eigenlicht anders, sie schreibt unter diesem Pseudonym.

Aus dem Paschtu von Bianca Gackstatter.