Autorinnen in Afghanistan (2): «Je mehr man uns hindert, desto entschlossener sind wir»
Die Taliban verwehren Frauen in Afghanistan den Zugang zu immer mehr Studiengängen. Hier erzählt eine Journalistin von zwei jungen Studentinnen, die für ihr Recht auf Bildung kämpfen.

Ich stand am Haupteingang eines privaten Instituts im Herzen Kabuls, das Ausbildungen zur Krankenpflegerin und zur Hebamme anbietet, als ein Wachmann auf mich zukam und sagte: «Mütterchen, verschwinde von hier, Frauen haben keinen Zutritt!»
Also ging ich von dort zum Park einer Plattenbausiedlung, der vor Jahren von der ukrainischen Regierung angelegt worden war, wo ich mit der 24-jährigen Banafscha* verabredet war. Zum Glück ist der Park nicht von Mauern und Toren umgeben, mit denen die Taliban Frauen den Zutritt verwehren könnten. Banafscha sass mit einem Lehrbuch und einer Thermoskanne Tee auf einer Plastikdecke und wartete schon auf mich.
Ich erzählte ihr vom Wachmann, und Banafscha sagte, dass sie bis vor kurzem an einem solchen privaten Bildungsinstitut eine Ausbildung zur Krankenpflegerin absolviert habe. Das sei jetzt jedoch nicht mehr erlaubt. Weil es ihr zu Hause langweilig sei, komme sie zum Lesen in den Park in der Hoffnung, ihre Ausbildung eines Tages fortsetzen zu dürfen. So ist die aktuelle Lage in Kabul – einer Stadt, die einst zu allen Tageszeiten voller bildungshungriger Frauen war, die zu ihren Schulen, Universitäten oder Arbeitsstellen liefen.
Nur hundert Studienplätze
Am 20. Dezember 2022 hat der Minister für höhere Bildung, Neda Mohammad Nadim, ein Dekret erlassen, das Frauen das Universitätsstudium untersagte. Von da an hatten Frauen nur noch Zugang zu medizinischen Studiengängen wie Geburtshilfe, Zahntechnik, Krankenpflege, Radiologie oder Laborantik. Viele junge Frauen in Kabul entschieden sich daraufhin, ein Studium in einem dieser Fachgebiete aufzunehmen, um überhaupt weiter studieren zu können – unabhängig davon, ob sie sich dafür interessierten oder nicht. Es war jedoch nicht einfach, einen Studienplatz zu bekommen. Die meisten Studienplätze wurden über private Bildungsinstitute angeboten; staatliche Ausbildungsstätten gab es nur sehr wenige. Wer die Aufnahmeprüfung bestanden hatte, erhielt eine Zulassung, musste jedoch monatlich eine hohe Gebühr zahlen. Obwohl die meisten afghanischen Familien nicht viel Geld haben, waren sie bereit, diese Gebühr irgendwie aufzutreiben und zu bezahlen.
Seit der Machtübernahme der Taliban bieten einige ausländische Hochschulen Onlinekurse für afghanische Mädchen an, beispielsweise die American University of Afghanistan. Um aufgenommen zu werden, müssen Mädchen, die die zwölfte Klasse noch nicht abgeschlossen haben, ihre Englischkenntnisse über einen TOEFL- oder auch einen Duolingo-Test nachweisen. Aber auch das ist schwierig: Für Tausende von Bewerberinnen gibt es nur hundert Studienplätze.
Meine zweite Gesprächspartnerin Nilufar war aus der nördlichen Provinz Samangan für ihre Berufsausbildung nach Kabul gekommen. Dank ihrer guten Leistungen gehörte sie zu den Glücklichen, die nach der erfolgreichen Aufnahmeprüfung einen Ausbildungsplatz an einem privaten, vom Ausland finanzierten Bildungsinstitut erhalten hatten. Sie lebte dort im Mädchenwohnheim und war froh, zumindest eine Ausbildung in Geburtshilfe machen zu dürfen. Nilufar befand sich gerade am Ende des zweiten Semesters und bereitete sich auf die anstehenden Prüfungen vor, als die Talibanführung am 3. Dezember 2024 ein neues Dekret erliess. Seither ist Frauen auch das Absolvieren einer medizinischen Ausbildung untersagt. Nilufar und die anderen Studentinnen im Medizinwesen mussten mitansehen, wie das Talibanregime auch das letzte Tor der Hoffnung vor ihnen schloss. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihre Bücher und Habseligkeiten einzupacken und zu ihren Eltern nach Samangan zurückzukehren.
Zum Glück gibts E-Books
Nilufar erzählte mir, wie sie sich vor ihrer Abreise noch ein letztes Mal mit einigen Kommilitoninnen in einem Restaurant in Kabul traf, um sich darüber auszutauschen, in welcher Form sie weiter für ihr Recht auf Bildung kämpfen könnten. Keine der Kommilitoninnen hatte damit gerechnet, dass die Taliban auch Ausbildungen zur Krankenpflegerin und zur Hebamme untersagen würden, da ja fast alle afghanischen Frauen auf deren Dienste angewiesen sind – auch die Ehefrauen, Schwestern und Töchter der Taliban. Sie alle fragten sich, ob die Taliban nicht bedacht hätten, dass einige der Krankenpflegerinnen und Hebammen in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen und es also neue Absolventinnen brauchen würde, um deren Stellen zu besetzen.
Ihre Kommilitoninnen teilten alle ihre kämpferische Haltung, so Nilufar. Die Taliban hätten es zwar geschafft, die Türen der Ausbildungszentren vor ihnen zu schliessen, aber die Bücher könnten sie ihnen nicht aus der Hand nehmen. Je mehr man versuche, sie an einer Ausbildung zu hindern, umso entschlossener seien sie, eine zu machen. Sie liessen sich von nichts und niemandem daran hindern. Sie könnten sich zum Beispiel elektronische Bücher beschaffen, diese durcharbeiten, um doch eines Tages Ärztinnen zu werden.
Die Taliban könnten mit ihren Predigten natürlich die öffentliche Meinung beeinflussen, sagt Nilufar – inzwischen sei bereits die Mehrheit der Bevölkerung der Meinung, dass Mädchen keine Ausbildung bräuchten. Ihre Kommilitoninnen kämen jedoch wie sie grossteils aus bildungsorientierten Elternhäusern, die für ihre Töchter eine gute Ausbildung wollten. Am Schluss unseres Gesprächs äusserte Nilufar ihre Sorge, dass sie jetzt zwar noch im Restaurant sitzen, miteinander Tee trinken und sich austauschen könnten, dass sich vielleicht aber auch diese Türen eines Tages vor ihnen schliessen könnten.
Elementare Rechte
Die Dekrete der Talibanführung entziehen nicht nur jungen Frauen wie Nilufar oder Banafscha ihre Grundrechte – sie sind auch eine Beleidigung aller afghanischen Mädchen und Frauen. Dieser Text erzählt also nicht nur die persönliche Geschichte dieser beiden Frauen, die in ihren jungen Jahren mit so grossen Herausforderungen konfrontiert sind. Es geht hier um die Geschichte von mehr als zwei Millionen afghanischen Mädchen, denen elementare Rechte entzogen werden.
Nilufar hatte keine andere Wahl, als in ihr Elternhaus nach Samangan zurückzukehren, wo ihr eine Zwangsverheiratung drohte. Doch sie hatte Glück: Kurz nach ihrer Rückkehr erhielt sie eine Nachricht von einer Ausbildungsstätte mit der Zusage für einen Onlinestudienplatz in Geburtshilfe. Für dieses Studium an einem privaten Bildungsinstitut erhält sie finanzielle Unterstützung durch eine ausländische Hilfsorganisation.
* Alle Namen wurden geändert.
Aus dem Paschtu von Bianca Gackstatter.