Frag die WOZ : Ist es vertretbar, für Big Tech zu arbeiten?

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«Ist es moralisch vertretbar, für Unternehmen wie Google, Meta, oder Open AI zu arbeiten?»

S. G., per Mail

So spontan würde man aus WOZ-Perspektive sagen: Nein, sicher nicht. Aber was sagen Personen dazu, die mit der Thematik ihr Brot verdienen – wie zum Beispiel die Chefin von Algorithm Watch Schweiz oder ein Ethikexperte?

Zuerst der Ethikprofessor Peter G. Kirchschläger von der Universität Luzern. Aus ethischer Sicht sollten sich, so Kirchschläger, alle Arbeitnehmer:innen die Frage stellen, wie sich ihre Arbeitgeber:innen verhielten. Als Beurteilungskriterien führt er die Menschenrechte oder das Prinzip der Nachhaltigkeit an: «Angesichts ihrer Verletzungen der Menschenrechte auf Datenschutz und Privatsphäre sowie ihrer Urheberrechtsverletzungen wird es für Google, Meta, Open AI bereits schwierig.» Grundsätzlich – gibt Kirchschläger zu bedenken – stünden die Unternehmen in der Verantwortung, ethisch zu handeln. Ein wichtiger Punkt. Doch was, wenn eben gerade das nicht passiert? Kirchschläger: «Dann müsste eigentlich der Staat Schweiz seinen Menschenrechtsverpflichtungen nachkommen und dafür sorgen, dass sich auch multinationale Konzerne wie Big Tech an die Menschenrechte halten, sodass sich Arbeitnehmer:innen diese Fragen gar nicht stellen müssen.» Leider gebe es aber diesbezüglich in der Schweiz noch dringenden Handlungsbedarf: «Das Problem liesse sich mit der Konzernverantwortungsinitiative lösen», konstatiert Kirchschläger.

Und wie sieht es die Geschäftsführerin von Algorithm Watch, Angela Müller? Sie würde sich nicht anmassen, die Frage mit einem klaren Ja oder Nein zu beantworten, weil es auch ein Privileg sei, seinen Job «auswählen» zu können. «Es gibt Menschen, die aufgrund ihrer Geschichte, ihrer Situation, ihrer Sozialisierung oder aufgrund anderer Eigenschaften und Erfahrungen sich nicht imstande fühlen oder sehen, ihren Arbeitgeber allzu kritisch zu bewerten. Sie sind einfach froh um einen Job.» Zudem arbeiteten bei den Big-Tech-Firmen nicht nur gut verdienende Entwickler:innen, sondern auch Uber-Fahrer:innen oder Reinigungskräfte.

Doch für jene, die das Privileg haben, ihren Job auswählen zu können, listet Müller eine Reihe von Fragen auf, die man sich stellen müsste, bevor man beginnt, bei Google oder Open AI zu arbeiten: «Mit welcher Intention tue ich das? Möchte ich von innen heraus etwas zum Guten ändern – oder ist es mir egal? Kann ich eine kritische Distanz wahren zu meinem Arbeitgeber – und zu den PR-Narrativen, die er vorantreibt? Kann ich etwas beitragen, um innerhalb des Unternehmens etwas zu bewegen? Und wo sind für mich die roten Linien?» Sie finde es wichtig, dass man sich in solchen Arbeitsbereichen selbst hohe Standards in Bezug auf die eigene Unabhängigkeit gebe.

Ferner gibt Müller zu bedenken: «Auch bei Big-Tech-Firmen arbeiten viele motivierte und engagierte Leute, die damit eine positive Vision verbinden und etwas mit gesellschaftlichem Nutzen beitragen möchten. Es ist wichtig, dass wir diese Mitarbeiter:innen nicht mit der PR-Fassade des Unternehmens oder den Ideologien der Konzernchefs gleichsetzen.» Es gebe immer wieder wichtige Initiativen und Versammlungen, die von solchen Mitarbeitenden ausgingen. «Entscheidend ist also meiner Meinung nach für die moralische Bewertung einmal mehr die Situation, in der sich eine Person befindet; die Absicht, die eine Person hat; ob ihre Handlungen die grundlegenden Rechte anderer Menschen achten. Wenn Mitarbeitende aber zu einem Rädchen in der gut geschmierten PR-Maschine von Big Tech verkommen, dann kann man durchaus ein moralisches Fragezeichen setzen – wie auch in vielen anderen Branchen.» Wie so häufig gelte auch hier: «Es kommt auf den Kontext an.» Wie wahr.

Immer montags beantworten wir in der Rubrik «Frag die WOZ» jeweils eine wirklich (un)wichtige Leser:innenfrage. Noch Fragen? fragdiewoz@woz.ch!