Im Grenzgebiet von Arizona: Panik und Solidarität
Die einen trauen sich nicht mehr aus dem Haus, andere organisieren sich – und ein Museum zeigt ungeplant die widersprüchliche Wahrheit. Eine Reise entlang der mexikanischen Grenze.

Regina Morales* verlässt ihr Haus zum Einkaufen nur noch frühmorgens. Punkt 7 Uhr betritt sie den Supermarkt, dann sind noch nicht so viele Leute unterwegs. Schnell die Sachen in den Korb, zur Kasse und wieder raus. Am besten mit niemandem sprechen, erst recht nicht auf Spanisch. Sonst ist Morales kaum noch draussen, seit Donald Trump im Januar die US-Präsidentschaft übernommen und den rund vierzehn Millionen Immigrant:innen ohne gültige Papiere die Verfolgung angekündigt hat.
Ein Leben in Angst und Unsicherheit: So beschreibt es die 53-Jährige bei einem Gespräch Mitte März in ihrem Haus im Süden von Tucson, der zweitgrössten Stadt Arizonas. Morales sitzt im Wohnzimmer auf einer Couch, trägt ein lilafarbenes T-Shirt zur Jogginghose. Graue Strähnen ziehen sich durch ihr schwarzes Haar. Sie fasst sich immer wieder mit den Fingerspitzen an die Schläfen, kneift dabei die Augen zu. Mit dabei sind zwei ihrer besten Freundinnen, die beim Übersetzen helfen. Und ihre zwanzigjährige Tochter, die eine schwarze Katze auf dem Schoss hat, fest umschlungen. Gardinen halten die grelle Nachmittagssonne ab.
Angst vor der Abschiebung
Morales kam 1994 aus dem mexikanischen Nogales in die USA, sie folgte damals ihrem Freund, der sich kurz zuvor auf den Weg gemacht hatte. Als ihre Visa abliefen, blieben die beiden im Land mit der Hoffnung, eines Tages die US-Staatsbürgerschaft zu erhalten. Das Paar heiratete und kaufte sich ein Haus. Der Kredit dafür ist längst abgezahlt. Morales zog drei Kinder gross und jobbte als Babysitterin und Köchin. «Ich habe immer hart gearbeitet, nie Sozialhilfe oder Essensmarken gebraucht», sagt sie, um Vorwürfe zu entkräften, die Immigrant:innen oft gemacht werden. 2016 stellte sie einen Antrag auf Einbürgerung, der abgelehnt wurde. In ein paar Jahren will sie es wieder probieren, sollte es dann noch möglich sein.
«Ich versuche, für meine Kinder stark zu bleiben», sagt Morales. Dabei ist sie es, die zurzeit Stärkung braucht. Eine Woche vor dem Gespräch starb ihr älterer Bruder an Nierenversagen, eine Folge von Diabetes. Er hatte lange Zeit ebenso in Tucson gelebt, ehe er vor sieben Jahren nach Mexiko abgeschoben wurde. In der Ecke ihres Wohnzimmers hat sie einen Altar für ihn eingerichtet, auf dem Bilder, Kerzen und Blumen stehen. Doch nicht mal richtiges Trauern sei ihr möglich, sagt sie. Die Beerdigung in Mexiko wird ohne sie stattfinden. Würde Regina Morales jetzt die Grenze überqueren, käme sie wohl nie wieder zurück.

Genau so will es die US-Regierung. Die Panik vor der Abschiebung, die Enge des Alltags, die Erschöpfung und Isolation, all das gehört zur Agenda. Die Menschen sollen weg. Und bis sie weg sind, sollen sie Angst haben. Und wer ihnen hilft, auch. Und wer dagegen protestiert, auch. Und wenn ein Bundesrichter entscheidet, dass die Abschiebemassnahmen der Regierung rechtswidrig sind, dann fordert Trump Berufsverbot für diesen. «Wir werden nicht aufhören. Es ist mir egal, was die Richter denken», sagte Tom Homan, Direktor der Abschiebebehörde Immigration and Customs Enforcement (ICE), neulich. Deutlicher kann man seine totalitären Ambitionen nicht formulieren.
Trump und sein Team haben nie verhehlt, was ihre Ziele in der Immigrationspolitik sind: eine vollständig abgeriegelte Grenze und Massenabschiebungen. So wenige Leute wie möglich sollen rein, so viele wie möglich raus. Um dieses nationalistische Programm, das in grossen Teilen von Trumps Chefberater Stephen Miller entworfen wurde, umzusetzen, hat das Weisse Haus in den ersten Monaten eine Flut von Verfügungen erlassen. Viele davon werden zwar derzeit juristisch angefochten, manche werden womöglich auch vor dem Supreme Court nicht bestehen. Ob die Regierung diese Urteile dann respektiert, ist eine andere Frage. Die Auswirkungen des «America First»-Regimes sind schon längst zu spüren.
Totenstille an der Grenze
Noch am Tag seiner Amtseinsetzung rief Trump für die Grenzregion einen nationalen Notstand aus. Tausende Soldat:innen wurden in der Folge dorthin verlegt. Durch die Androhung von hohen Zöllen hat Trump auch die mexikanische Regierung dazu gebracht, 10 000 Soldat:innen an die Grenze zu beordern. Von beiden Seiten also wird die Militarisierung vorangetrieben. An einigen Stellen lässt Trump bereits die Mauer weiterbauen. Seine Regierung hat zudem die App «CBP One» eingestellt, mithilfe derer Termine bei den Asylbehörden vereinbart werden konnten, was Asylanträge nahezu unmöglich macht. Diese und weitere Massnahmen haben dazu geführt, dass die Zahl der Grenzübertritte derzeit so niedrig ist wie seit Jahrzehnten nicht. Während zu Rekordzeiten, Ende 2023, noch 300 000 Menschen pro Monat registriert wurden, waren es jetzt im März nur 7180. Das Versprechen der Abschottung des Landes ist also weitgehend erfüllt.
«The border is quiet», heisst es dazu in US-Medien. Wer sich zurzeit entlang der Grenze bewegt, etwa rund um den Ort Sásabe in Arizona, erfährt, wie gespenstisch diese Ruhe ist. Lange Zeit versuchten Menschen hier Tag und Nacht die Überquerung. Auf der mexikanischen Seite standen Zelte, der Checkpoint war oft überfüllt. Jetzt wirkt der Ort wie ausgestorben. Nur «la migra» ist präsent, wie die Border Patrol von Hispanics genannt wird.

Was man hier suche, will ein Beamter wissen und Ausweise sehen. Nach einem kurzen, angespannten Gespräch gibt er die Anweisung, wieder wegzufahren. Auch an einem Checkpoint, der zwanzig Kilometer im Landesinneren liegt, gilt allgemeiner Tatverdacht. Zwei Beamte fragen, was man an der Grenze gemacht habe und ob man etwas im Auto transportiere. Als wir unseren Beruf mitteilen, wollen sie wissen, worüber man denn genau schreibe. Wer bei Grenzkontrollen irgendwie auffällige Antworten gibt, kann trotz gültiger Papiere in Abschiebehaft landen. So ist es unter anderem einer kanadischen Schauspielerin und einer deutschen Tätowiererin ergangen, über deren Festnahmen gross in den Medien berichtet wurde. Die allermeisten Fälle gehen unter.
Um auch in Sachen Deportationen etwas vorzeigen zu können, hat das Weisse Haus etliche tyrannische Anordnungen erlassen. Die Behörde ICE ist seit Januar damit beauftragt, selbst in Schulen, Kirchen und Krankenhäusern undokumentierte Menschen abzugreifen. Die Zahl der Razzien wurde erhöht, Abschiebeverfahren sind beschleunigt. Ganze Familien werden wieder in Haft gesteckt. Mehr als eine halbe Million Eingewanderte, die derzeit mit Temporary Protected Status im Land sind, werden diesen wohl verlieren. Bei der Enttarnung von illegalisierten Migrant:innen wird künftig die Steuerbehörde IRS helfen. Institutionen, die sich der Kooperation entziehen, droht die Trump-Regierung mit Strafverfolgung. All das soll dazu führen, dass sich undokumentierte Immigrant:innen freiwillig melden, um abgeschoben zu werden. Wer nicht mitmacht, so die Ansage, kommt in den Knast.
Trotz des ausgebauten Polizeistaats hinkt die Regierung ihren Zielen bislang hinterher. Im Februar wurden im Schnitt rund 700 Menschen pro Tag abgeschoben – ungefähr so viele wie unter Joe Biden auch. Dass die Zahlen nicht den Vorsätzen entsprechen, hat verschiedene Gründe: überlastetes Personal, Rückstau in den Gerichten, Widerstände in der Bevölkerung. Im Weissen Haus wächst jedenfalls der Frust darüber. Wie die «New York Times» berichtet, will Trump von ICE-Chef Homan regelmässig wissen, warum noch immer keine grösseren Massen abgeschoben worden sind.
Es ist jedoch kaum beruhigend, dass die Regierung mit ihren eigenen Resultaten unzufrieden ist. Zum einen, weil die Amtszeit gerade erst ein paar Monate läuft. Zum anderen, weil es der Regierung nicht an Brutalität mangelt. Unter dem Alien Enemies Act, einem reaktivierten Gesetz von 1798, wurden im März rund 250 Migranten ohne Gerichtsbeschluss in ein Megagefängnis in El Salvador deportiert. Die Regierung liess sich dabei weder von der einstweiligen Verfügung eines Bundesrichters stoppen noch vom selbst eingestandenen Fakt, dass gegen viele der Menschen gar nichts vorlag. Tattoos reichen, um von der US-Regierung als Gangmitglied gebrandmarkt und gekidnappt zu werden.
Mit Rechtsstaatlichkeit hat auch das Vorgehen gegen den palästinensischen Studenten Mahmoud Khalil nichts zu tun, der Anfang März trotz Greencard festgenommen wurde – allein weil er in der Protestbewegung gegen den Krieg Israels in Gaza sichtbar aktiv war. Aktionen solcher Art zeigen, wofür die Regierung ideologisch steht: rassistische Unterdrückung bestimmter Bevölkerungsgruppen und Abschreckung linker Opposition. Zugleich kann man darin auch eine gewisse Kompensation erkennen. Trump braucht die spektakulären Geschichten und Bilder, um seiner Basis etwas zu liefern. Wenn die Abschiebezahlen nicht stimmen, muss wenigstens Grausamkeit vermittelt werden.
«Wir gehen durch die Hölle»
Maru Carrasco gehört zu denen, die sich nicht einschüchtern lassen. 64 Jahre alt ist sie, eine Frau mit gütigem Lächeln, die sich schnell öffnet, wenn sie ihrem Gegenüber vertraut. Seit über zwei Jahrzehnten ist Carrasco bei der Graswurzelorganisation Derechos Humanos (Menschenrechte) in Tucson aktiv. Die Mitglieder setzen sich für die Belange von eingewanderten Menschen ein. Carrasco selbst kommt aus Mexiko, hat allerdings schon lange einen US-Pass. Deshalb kann man ihren Namen nennen und ihr Gesicht zeigen. «Sie haben es auch auf uns Aktivist:innen abgesehen», sagt sie. «Aber ich werde nicht aufhören. Wir müssen uns gerade jetzt wehren.»
Ein Donnerstagabend, wie jede Woche hat Derechos Humanos zu einem Community-Meeting in einem Flachbau im Süden der Stadt eingeladen. Die Wände hängen voller bunter Zeichnungen und Poster mit linken Slogans. Nach und nach treffen rund fünfzig Leute ein und bilden einen Kreis. Die American Civil Liberties Union (ACLU) ist vertreten oder auch Mariposas Sin Fronteras, eine Organisation, die sich für queere Immigrant:innen engagiert. Manche aus der Nachbarschaft sind zum ersten Mal dabei. An den wöchentlichen Treffen informieren sich alle über die neusten Entwicklungen und Strategien. Da die meisten Spanisch sprechen, wird Liveübersetzung ins Englische per Kopfhörer angeboten. Die professionelle Organisierung dieses Treffens fällt sofort auf.
Carrasco sitzt etwas versetzt vom Kreis. Sie hat früher als Pädagogin in der Gewaltprävention gearbeitet, ist mittlerweile in Pension. Im Lauf des Abends ergreift sie immer wieder das Wort. Gleich zu Beginn warnt sie, dass die ICE neuerdings Fahrzeuge benutze, die wie Amazon-Transporter aussähen. Später berichtet sie von einer Gruppe von Hebammen, die undokumentierten Migrantinnen in der Schwangerschaft hilft. Wer Kontakt suche, solle sich bei ihr melden, sagt Carrasco.

Mehrere Teilnehmer:innen beklagen die zunehmende Kollaboration zwischen der lokalen Polizei und der Bundesbehörde ICE. Umso wichtiger sei es, dass das «Rapid response»-Team funktioniere. Sobald Razzien stattfinden oder jemand bei einer Kontrolle Hilfe braucht, kommen Leute aus dem Netzwerk an den Ort und informieren Immigrant:innen über ihre Rechte. Wenn die Festnahme nicht verhindert werden kann, soll es zumindest ein Protokoll davon geben. Oft gehen die Beamt:innen allerdings so schnell vor, dass jede Hilfe zu spät kommt.
«Wir gehen im Moment durch die Hölle», sagt Carrasco, als wir nach der Veranstaltung in ihrem Auto sitzen. Sie kenne viele undokumentierte Menschen, die sich kaum noch aus dem Haus trauten. Die Strassen seien morgens und nachmittags leerer als sonst, weil Kinder nun mit dem Schulbus zur Schule gingen, nicht mehr im Auto der Eltern. Für Carrasco ist klar, dass die Erzählung der Regierung, man müsse die Immigration bekämpfen, um den Schmuggel des Opioids Fentanyl einzudämmen, eine Lüge ist. Wäre Sorge um die Bevölkerung der Grund, so Carrasco, würde man nicht gleichzeitig im Gesundheitsbereich, insbesondere bei Sucht- und Präventionsprogrammen, kürzen. «Migrant:innen werden wieder für alles verantwortlich gemacht», sagt sie.
«Wieder», das Wort ist hier wichtig. So verstörend die Massnahmen der aktuellen Regierung sind, so gut fügen sie sich in eine lange Geschichte ein, wie Maru Carrasco betont. Letztlich gab es in den USA nie eine Zeit, in der nicht bestimmte Immigrant:innen dämonisiert, bekämpft und ökonomisch ausgebeutet wurden. Über die Jahrhunderte hinweg, von beiden grossen Parteien vorangetrieben.
Donald Duck als Grenzpolizist
Im National Border Patrol Museum in El Paso, Texas, kommt die Propaganda so ungeschminkt daher, dass man gerade dadurch viel über das Land lernt. Es liegt etwas abseits der Stadt, am Rand eines Highways, der in die Berge führt. Vor dem Sandsteingebäude steht die gigantische Metallstatue eines reitenden Polizisten. Ein junger Mann am Schalter erklärt, dass man keine Fotos im Gedenkraum machen dürfe, sonst aber schon. Hier wird die Geschichte des Grenzschutzes erzählt: von Gesetzen im 19. Jahrhundert, die Einwanderung aus China stoppen sollten, über die Gründung der Border Patrol im Jahr 1924 bis zu den Methoden der Gegenwart. Den meisten Platz in der Ausstellung nehmen Fahrzeuge, Uniformen und Dienstwaffen ein. Interessanter sind jedoch die kleineren Memorabilien und Infotafeln.
Ein Donald-Duck-Heft aus den fünfziger Jahren beispielsweise, Ausgabe 296, in dem die Ente als Grenzpolizist zum Helden wird. Ein Originalstück Metallzaun, der in den neunziger Jahren unter Bill Clinton montiert wurde. Ein Fotobuch von 2018, in dem vermerkt ist, wie hart die Arbeit der Border Patrol sei, nicht zuletzt, weil sie so selten von Passant:innen gegrüsst werde. Eine halbautomatische Pistole mit Schalldämpfer, die einem Schlepper («coyote») namens George Martinez gehört haben soll. Man erfährt etwas über das «Bracero-Programm» von 1942, das mexikanische Landarbeiter:innen anlockte, bis es den USA dann doch zu viele wurden. Man sieht Bilder von Verwüstungen, die kubanische Immigrant:innen bei einem Gefängnisaufstand hinterlassen haben.

Raum für Raum entfaltet sich das Selbstbild der US-Politik im Umgang mit Migration: Wir sind doch eigentlich gütig, lassen Leute ins Land, damit sie hier arbeiten können. Aber mit den Fremden kommen leider Waffen und Drogen, kommt Chaos und Gewalt, und ausgenutzt werden wollen wir nicht. Zum Glück gibt es deshalb Mauern. Gott beschütze die Border Patrol. Und der Teddyspürhund im Museumsshop kostet auch nur 19,99 Dollar.
Dass an diesem Ort der nationalistischen Glorifizierung vieles nicht erwähnt wird, ist nur logisch. Keine Rede von den mindestens 8000 Migrant:innen, die seit 1998 beim Versuch der Grenzüberquerung gestorben sind. Auch die bekannten Gewaltexzesse der Border Patrol und die rassistischen Netzwerke innerhalb der Behörde werden ignoriert. Unerwähnt bleiben auch die vielen katastrophalen aussenpolitischen Interventionen der USA, die dazu führten, dass Menschen flüchten mussten. Passt alles nicht in die Erzählung.
Bemerkenswert ist zugleich, was dieses Museum dann doch zeigt. In einer Ecke steht ein notdürftig zusammengebautes Boot, davor eine Infotafel, die mit «Reise in die Freiheit» betitelt ist. Hat diese Geschichte etwa ein Happy End? Wer weiterliest, erfährt, dass die vier kubanischen Flüchtlinge, die mit dem Boot 1994 an der Küste von Florida ankamen, direkt festgenommen und angeklagt wurden. Die «Reise in die Freiheit», so scheint die stolze Botschaft, die haben wir gestoppt.
Einerseits «land of the free», andererseits härtester Türsteher der Welt. Der Historiker Greg Grandin führt diese Spannung auf die «frontier» zurück, jene Grenze der USA, die im Verlauf der Kolonialisierung des Kontinents immer weiter Richtung Westen verschoben wurde. In seinem Buch «The End of the Myth» (2019) beschreibt Grandin, dass das Beschwören der «frontier» immer auch den Zweck hatte, von den inländischen Problemen und Konflikten abzulenken. Eine «ständige Flucht nach vorne», um nicht hinter oder neben sich schauen zu müssen. Als die Expansion im Westen aus räumlichen Gründen an ein Ende kam, sei die Bedeutung der Grenze im Süden gewachsen, so Grandin. Das Versprechen lautete nun aber nicht mehr ewige Öffnung, sondern brutale Festung.
Mit dieser Geschichte im Kopf versteht man besser, warum die Verheissung der Mauer so wichtig für Trump ist. Wie schon bei der «frontier» damals werden auch heute die Probleme des Landes verlegt. Und bis zur allerletzten Abschiebung lässt sich die Illusion aufrechterhalten, dass das Land erst dann «great» sein kann.
Wer baut nun das Essen an?
Sollte die Trump-Regierung in den kommenden Jahren wirklich Millionen von undokumentierten Immigrant:innen abschieben, würde es nicht nur diese vielen Leben und dazugehörigen Familien, Freundeskreise und Communitys zerreissen, sondern es würde auch der US-Wirtschaft empfindlich schaden. Das sollte zwar als Argument für eine humanere Einwanderungspolitik ein nachgeordnetes Argument sein, zur Realität gehört es aber. Im Agrarsektor etwa haben laut Studien mehr als vierzig Prozent der Beschäftigten keinen legalen Status. Auch in der Gastronomie, in der Pflege und in der Baubranche stützen sich Unternehmen auf Menschen, die die Trump-Regierung im Visier hat. Aus vielen Wirtschaftszweigen kommen deshalb bereits Warnungen.
Zugleich ist auch der Antiimmigrationskomplex eine eigene Industrie. Von der Errichtung der Grenzmauer über die Internierung bis zu den Abschiebeflügen heuert der Staat Privatfirmen an, die diese Aufgaben gewinnorientiert ausführen. Das Geschäft ist zwar nicht neu, blühte auch unter Joe Biden und lange davor, hat aber unter Trump nochmals einen Schub bekommen. Die ICE will in den nächsten zwei Jahren neue Verträge in Höhe von 45 Milliarden Dollar abschliessen. Speziell die Betreiber:innen von Abschiebehaftanstalten sind derzeit im Rausch. Der Aktienkurs der Firma Geo Group etwa hat sich seit der Wahl im November verdoppelt.

«Es gibt Gemeinden in den USA, in denen die Haftanstalten das grösste Geschäft vor Ort sind», sagt die Juristin Yvette Borja von der University of California, die zum Einwanderungsrecht lehrt und forscht. Als Beispiel nennt sie die Kleinstadt Eloy in Arizona, wo das Unternehmen Core Civic auf einem abgelegenen Areal insgesamt vier Gefängnisse betreibt, eines davon für abschiebepflichtige Immigrant:innen. Mehr als 1500 Menschen sind bei Core Civic in Eloy angestellt – bei einer Einwohner:innenzahl von nur 16 000. Neben den Beschäftigten selbst seien auch umliegende Restaurants, Hotels und andere Serviceanbieter von den Haftanstalten abhängig, erklärt Borja. Ohne Core Civic gäbe es die Stadt Eloy also kaum.
Borja kennt den Abschiebeknast in Eloy von innen. Vor ihrem Lehrauftrag war sie als Anwältin aktiv und darauf spezialisiert, eingesperrten Immigrant:innen bei Menschenrechtsverletzungen zu helfen. «Die Bedingungen sind grausam», sagt sie. Es gebe weder vernünftiges Essen noch genug Aufenthalt an der frischen Luft. «Die Leute sind oft 23 Stunden am Tag in ihrer Zelle eingeschlossen.» Mindestens siebzehn Menschen seien seit Eröffnung der Anlage im Jahr 1994 in Gefangenschaft gestorben, fünf davon durch Suizid.
Wenn man Anwältin Borja über die Isolation und die Verzweiflung der Menschen in Abschiebehaft sprechen hört, ist der Gedanke wieder bei Regina Morales, die zwar in ihrem eigenen Haus in Tucson lebt, aber eben nicht mehr frei.
* Name geändert.
