Mindestlöhne: Mindestens ein Schritt zum Durchbruch

Nr. 7 –

Trotz doppelter knapper Niederlage: Die relativ hohen Ja-Anteile für einen Mindestlohn in Baselland und Solothurn sind ein ermutigendes Zeichen für die ganze Deutschschweiz.

Wer gedacht hatte, dass Mindestlohn-Initiativen nur in der französischen Schweiz – und in der Deutschschweiz höchstens in städtisch geprägten Kantonen – eine Chance haben, sieht sich seit diesem Wochenende getäuscht: In Baselland, einem bürgerlich dominierten Kanton, wo es linke Anliegen seit je schwer haben, scheiterte die Initiative für einen Mindestlohn von 22 Franken am vergangenen Sonntag nur knapp. 48,6 Prozent der Stimmberechtigten sagten Ja – deutlich mehr als von den meisten erwartet.

Wie sehr sich die Stimmungslage in wenigen Jahren verändert hat, zeigt sich im Vergleich zur nationalen Mindestlohnabstimmung aus dem Jahr 2014: Damals stimmten nur 22 Prozent der Baselländer:innen Ja – noch weniger als im nationalen Schnitt (knapp 24 Prozent). Im Kanton Solothurn, wo am vergangenen Sonntag ebenfalls über einen Mindestlohn abgestimmt wurde (hier ging es um 23 Franken), war der Ja-Anteil mit 42 Prozent zwar deutlich geringer, aber ebenfalls höher als von vielen erwartet.

Dass in beiden Kantonen je eine Mehrheit Nein sagte, ist gleichwohl irritierend. Zumindest, wenn man das eigentlich bescheidene Ziel der Initiativen in Betracht zieht: Jede Person, die Vollzeit erwerbstätig ist, soll von ihrem Lohn leben können. Selbst ein Stundenlohn von 22 Franken (rund 4000 Franken im Monat bei 100 Prozent) wäre immer noch sehr knapp, für Beschäftigte in der Reinigungsbranche (derzeitiger Mindeststundenlohn im GAV: 20.80 Franken) oder in der Gastronomie (20.36 Franken) aber doch eine deutliche Erhöhung. Immerhin: In Baselland hatten sich im Vorfeld auch Bürgerliche wie der ehemalige Präsident der kantonalen FDP Paul Hofer oder Rahel Amacher, Vorstandsmitglied der kantonalen Jungen Mitte, öffentlich für ein Ja starkgemacht.

Je urbaner, desto progressiver

Nun ist der erhoffte Durchbruch ausgeblieben. Basel-Stadt, der bislang einzige Deutschschweizer Kanton mit einem gesetzlichen Mindestlohn, kann nicht mit den Bestimmungen in der lateinischen Schweiz mithalten: Anders als in den Kantonen Genf, Jura, Neuenburg und Tessin gilt der Mindestlohn in Basel-Stadt nur in den Branchen ohne Gesamtarbeitsvertrag. Bei einem Erfolg am letzten Wochenende wären Solothurn oder Baselland somit die ersten Deutschschweizer Kantone mit einem weitgehend gültigen Mindestlohn gewesen – in Baselland wäre einzig die Landwirtschaft davon ausgenommen gewesen.

Dort war der Ja-Anteil im urban geprägten Bezirk Arlesheim am höchsten. Im Kanton Solothurn wiederum gab es derweil nicht nur in Solothurn und Olten, sondern – eher überraschend – auch in drei Gemeinden im Schwarzbubenland Ja-Mehrheiten.

Wie gross die Chancen für einen Mindestlohn in der Deutschschweiz speziell auf kommunaler Ebene sein können, zeigen die Beispiele Zürich, Winterthur und Luzern: In Zürich sagten im Sommer 2023 rund 70 Prozent der Stimmberechtigten Ja zu einem Mindestlohn von 23.90 Franken, in Winterthur waren es gut 65 Prozent, die einem Mindestlohn von 23 Franken zustimmten. Im Mai 2024 stimmte auch das Luzerner Stadtparlament einem Mindestlohn von 22 Franken zu. Für die Komitees, die inzwischen auch in den Städten Bern, Biel und Schaffhausen Initiativen eingereicht haben, sind das gute Zeichen.

Falsche Befürchtungen

Die Beispiele zeigen aber auch, wie stark der Gegenwind sein kann: Nachdem etwa der Zürcher Gewerbeverband rekurriert hatte, hat das Verwaltungsgericht die Verordnung für die Einführung eines Mindestlohns bereits wieder aufgehoben, da sie gegen kantonales Recht verstosse. Die Stadt will das Urteil nun ans Bundesgericht weiterziehen.

Auch auf nationaler Ebene ist der Widerstand gross. Das Parlament hat einen Vorstoss von Mitte-Ständerat Erich Ettlin angenommen, der die in Gesamtarbeitsverträgen festgelegten Minimallöhne über die kantonalen Mindestlöhne stellen will – ungeachtet dessen, dass das Bundesgericht den Neuenburger Mindestlohn für zulässig erklärt hat. Dabei liegen die Bürgerlichen mit ihren Gegenargumenten falsch: Untersuchungen in Genf wie auch in Neuenburg belegen, dass weder die Arbeitslosenquote noch die Schwarzarbeit seither zugenommen haben.

Auch in den Kantonen Baselland und Solothurn warnten die Mindestlohngegner:innen vor einem Rückgang von Arbeitsplätzen. Gewerbeverbandspräsident und Mitte-Ständerat Fabio Regazzi befürchtete zudem einen Dominoeffekt auf weitere Kantone. Womit er, langfristig gesehen und trotz des mehr oder weniger knappen Nein in Baselland und in Solothurn, gar nicht so unrecht haben könnte: Je mehr Kantonsbevölkerungen Ja zu einem Mindestlohn sagen, desto grösser wird der Druck auf das ganze Land. Inzwischen sind entsprechende Initiativen auch in den Kantonen Waadt, Wallis und Freiburg zustande gekommen.