«Weltwoche»: Verliebt am Bosporus
Man muss schon sehr verliebt sein, um etwas so zu idealisieren, wie es die «Weltwoche» in ihrer aktuellen Ausgabe mit der Türkei tut. Über zwanzig Seiten hinweg wird das Land bejubelt: Garant globaler Stabilität! Feministische Fortschrittspionierin! Friedensstiftende Macht in einem neuen Kalten Krieg! Geopolitische Wunderwaffe!
Dass das «Weltwoche»-Dossier mit dem Titel «Wunder am Bosporus» weniger journalistischer Blick auf ein Land als vielmehr eine leicht durchschaubare PR-Kampagne ist, zeigt sich schon beim Autor des ersten Beitrags: Fahrettin Altun. Als Leiter des staatlichen Direktorats für Kommunikation steht Altun einer direkt Recep Tayyip Erdoğan unterstellten Behörde vor, die für die Medien-, Kommunikations- und Öffentlichkeitsarbeit des Staates verantwortlich ist. In seinem eröffnenden «Geleitwort» preist er die Türkei als stabilisierende Kraft, als moralisch einwandfreie Stimme im Nahostkrieg und als Bollwerk gegen Desinformation.
Apropos Desinformation: Wer die darauffolgenden Seiten durchblättert, erkennt schnell, was hier alles ausgeblendet wird – die politische, wirtschaftliche und soziale Realität eines Landes, das von der NGO Freedom House als «nicht frei» eingestuft wird, das mit einer anhaltend hohen Inflation von mindestens vierzig Prozent kämpft und in dem ein Drittel der Bevölkerung in Armut lebt. Ganz zu schweigen von der Repression gegen Journalist:innen, der Verfolgung von Aktivist:innen, der Aushöhlung der Gewaltenteilung, der willkürlichen Inhaftierung von Oppositionellen oder der hohen Zahl an Femiziden.
Stattdessen folgt eine Erzählung wie aus 1001 Nacht: Erdoğan, dieser «grosse Staatsmann», wird als moderner geopolitischer Stratege gefeiert. Dass er seit Jahren demokratische Institutionen schleift, die Justiz gleichschaltet und Medienhäuser übernimmt – geschenkt! Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit? Kein Thema. Stattdessen: Lobeshymnen auf die türkische Rüstungsindustrie, international erfolgreiche TV-Serien, einen geplanten Weltraumbahnhof in Somalia, ein Text zur chirurgischen Schönheitsindustrie des Landes. «Rückflug und Stadtrundfahrt inklusive», heisst es dort im Zwischentitel. Was sich liest wie ein Werbespot, ist auch einer.
Was die Leser:innen in dieser Ausgabe bekommen, ist keine Türkei, wie sie ist – sondern eine Türkei, wie Ankara will, dass das Land von der Welt gesehen wird. Wo die offizielle Erzählung auch geschichtlich ins Wanken gerät, wird verschwiegen. Die historische Rückblende auf Sabiha Gökçen, Adoptivtochter des Staatsgründers Atatürk und erste Kampfpilotin der Welt, erwähnt nur beiläufig, dass ihr bekanntester Einsatz dem Bombardement des Dersim-Aufstands galt – einer blutigen Repressionskampagne gegen die kurdische Bevölkerung, bei der 50 000 Menschen ermordet wurden. Es ist eine Leerstelle mit System, eine Auseinandersetzung mit der Gewaltgeschichte der Republik fehlt gänzlich.
Das zweiseitige Turkish-Airlines-Inserat macht immerhin gleich zu Beginn klar, woher der Wind weht. «We’re all connected», heisst es da in grossen Lettern. Was der Preis und die konkreten Rahmenbedingungen der Verbindung zwischen Ankara und Zollikon sind, wollten weder das türkische Generalkonsulat noch «Weltwoche»-Chef Roger Köppel sagen. Fest steht: Von Liebe allein dürfte diese Connection nicht leben.