«I’ll Remember You»: Bis die Gesichter glühen
Irgendwann muss fertig sein: Zwei jüngere Musiker porträtieren in einer neuen Dokuserie alte Schweizer Idole – mit viel Gefühl und Geduld.

Küre Güdel erzählt eigentlich in jeder Szene vom Sterben. Der alte Schlagzeuger von Polo Hofers Rumpelstilz und Bluessänger blüht regelrecht auf. Bestimmt sterbe er kurz vor dem Auftritt mit der Seniorenband, die Fabian Chiquet und Victor Moser für ihre Dokuserie «I’ll Remember You» gecastet haben. Güdel kommt in Fahrt, abends bei Rotwein und Joint. Wie es ihm gehe? «Scheisse» natürlich: «I ma nümme.» Auch wichtig: immer alles geben auf der Bühne, als würde man danach, richtig, sterben. Güdel gestikuliert, unterstreicht die Wörter in der Luft, die Augen aufgerissen.
Man redet vom Tod, um ihn erzählend vor die Tür zu verweisen. Oder man singt von ihm. Die Jüngste in der Serie, die Sängerin und Crossoverjodlerin Christine Lauterburg, sagt es auf Berndeutsch in der letzten von sechs halbstündigen Folgen: Sie wolle dereinst «mit einem Jödeli das Totenglöcklein überblenden». Als die Band im Sommer 2022 im Basler «Atlantis» auftritt, sind fast alle rührselig, nach langer Zeit der Zweifel und oft auch des Grantelns.
Hinter der Serie samt Podcast und Musikalbum steht eine zwingende Idee: Die Basler Musiker Chiquet und Moser haben die erste grosse Band hinter sich, mit The Bianca Story spielten sie regelmässig vor tausend Leuten – doch der Durchbruch gelang nur beinahe, und nun suchen sie Rat bei den Alten. Bei Musiker:innen, die zwischen Ende sechzig und Mitte neunzig sind, Schweizer Rock- und Popgeschichte schrieben oder zumindest zu den Pionier:innen zählen. Und weil Fernsehen stets den persönlichen Blick sucht und gefühlig flunkert, sprechen die Regisseure von ihren «Vorbildern». Das ist nett von ihnen, aber Chiquet und Moser sind Mitte der Achtziger geboren. Es ist so gut wie auszuschliessen, dass in ihren Kinderzimmern Poster von Les Sauterelles, Krokodil, Span oder Rumpelstilz und anderen Schweizer Rockbands der sechziger, siebziger und allenfalls achtziger Jahre hingen.
Wie in der Manege
Vermutlich spüren die Alten den allzu dicken Schmus, wenn die Jungen sie zu Idolen erklären. Manche reagieren verletzlich, zwei werfen den Filmemachern vor, sie würden nur ans Geld denken (dahinter versteckt sich aber auch der rührende Glaube, ihre Namen seien bis heute berühmt geblieben). Ein anderer fühlt sich als «Zirkusaff», wie er am Telefon seine Absage begründet. Obwohl ihm da eine Depression in die Quere kommt, hat er damit nicht ganz unrecht.
Die Dokuserie fragt, wie man als Musiker:in in der Schweiz alt werden könne. Doch das Werden spielt kaum eine Rolle: Wir erfahren wenig über die Kippmomente der Karrieren – Hardy Hepp ist fast der Einzige, der von einem Wendepunkt erzählt. Stattdessen erfahren wir fast alles darüber, wie es ist, alt zu sein. Da kann man sich als alter Mensch schon wie in der Manege fühlen. Allerdings, und das holt «I’ll Remember You» wieder aus seiner konzeptionellen Schieflage heraus: Die Dokuserie verschweigt diese Konflikte keineswegs, sie zieht daraus sogar ihre Spannung. Die analytischeren Gespräche, die auch Karriereverläufe erörtern, sind in den Podcasts zu finden, etwa mit Christine Lauterburg und Bruno Spoerri.
Chiquet und Moser gewinnen die Gunst der Musiker:innen mit bewährten Mitteln. Sie verwickeln sie sofort in die Arbeit, sie wollen gemeinsam Songs schreiben und im Übungsraum proben, während neue Mitglieder dazustossen. Sie sind so geduldig wie Sozialarbeiter, so hartnäckig wie zwei Musikmanager und dennoch erfahren in der Kunst, um die es geht: Bands bilden, Musik machen. Sie interviewen die Veteran:innen erst lange und entwickeln daraus Songtexte, an denen sie gemeinsam arbeiten. Das ist sehr schön anzuschauen, wie die Alten in der Praxis den Überbau der Serie allmählich vergessen, dabei Spass haben und die Jungen erst so auf Augenhöhe schätzen lernen.
Das sind keine Bünzli
Und so sieht man das Feuer in den Gesichtern glühen, wie Musik sie von den Widrigkeiten entlastet, mit denen das Alter aufwartet. Die Themen der einzelnen Folgen werden selten durchgehalten, den doofen Clickbait-Titeln bei SRF online darf man aber auch nicht trauen (Drogen, Gewalt in der Kindheit: Spielt beides circa zwei Minuten pro halbe Stunde eine Rolle). Ein bisschen ist «I’ll Remember You» auch ein eidgenössisches Rock-Dschungelcamp. Gitarrist Schöre Müller gibt den Typ integrierender Turnlehrer – markig, schnittig, aber mit einem grossen Herz für alle Paradiesvögel. Nicht vergessen: Die meisten waren Hippies in einem spiessigen Land, in dem der Staatsschutz Leute wie sie beobachtete – das sind keine Bünzli.
Düde Dürst, Zürcher Schlagzeuger von Les Sauterelles und Krokodil, ist nicht immer der einfachste WG-Bewohner, sagt den Jungen aber früh etwas Wichtiges. Er möchte keinen Jammersong über das Alter mit ihnen schreiben, sondern eine möglichst gute Zeit haben, darum gehe es im Alter. Der Basler Sänger Barry Window betont: «Dr Mooler moolt au, bis dr Pinsel aabegheit.» Einzig Valérie Claus, Gitarristin der Honolulu Girls, des ersten «Dame-Orkheschterli» der Schweiz, sieht das anders. Ob sie nicht wehmütig werde dabei, nach 5000 Konzerten zum letzten Mal auf der Bühne zu stehen, fragen die Filmemacher suggestiv. Claus freut sich immer, sagt nun aber: «Nai, irgendwenn muess emol fertig sy.»
