Krieg im Ostkongo: Aufbau der «befreiten Zone»

Nr. 17 –

Nachdem die M23-Rebellen die Provinzhauptstadt Goma erobert haben, beginnen sie mit der Errichtung staatsähnlicher Strukturen, etwa mit der Eröffnung einer Art Zentralbank.

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Corneille Nangaa mit weiteren Personen
«Dieses Geld gehört dem Volk»: Corneille Nangaa (im bunten Hemd) ist allerdings kein Volksvertreter, sondern Chef einer Allianz von bewaffneten Gruppen. Fotos: Arlette Bashizi, Reuters

Im Zentrum der Handelsmetropole Goma hallt ein Song der Rockband Scorpions durch die Strassen: «You and I just had a dream!» Es ist ein kühler Apriltag, als Lautsprecher vor einer Bankfiliale installiert werden. Festzelte und eine Bühne mit einem Rednerpult sind bereits aufgebaut worden. Vor dem Eingang liegt ein roter Teppich, vor der geschlossenen Tür hängt ein rotes Band.

Von allen Seiten kommen Menschen angelaufen. Sie wollen sehen, was hier los ist. Die meisten haben ohnehin nicht viel zu tun, denn ein Grossteil der Läden, Supermärkte und Beizen in der Millionenmetropole ist seit Wochen geschlossen. Selbst die Mineralienhändler:innen, die in Friedenszeiten Zinn, Tantal und Wolfram auf den Weltmarkt exportieren, haben ihre Tore mit Vorhängeschlössern zugesperrt. Die Wirtschaft in der sonst so geschäftigen Stadt liegt am Boden.

Knapp drei Monate ist es her, dass die Rebellen der M23 (Bewegung 23. März) die Provinzhauptstadt Goma im Osten der Demokratischen Republik Kongo erobert haben. Nach tagelangen Gefechten konnten sie die Regierungsarmee in die Flucht schlagen. Seitdem herrschen die Rebellen in den eroberten Gebieten entlang der Grenze zu Ruanda, von wo sie militärische Hilfe erhalten. Sie sind dabei, einen Staat im Staat zu errichten.

Die Bank Cadeco (Caisse générale d’épargne du Congo) war bislang eine Sparkasse für Familien und Kleinunternehmer:innen. Jetzt will die M23 die Filiale in Goma als eine Art Zentralbank nutzen und dort ihre Steuereinnahmen verwalten, die sie von der Bevölkerung einkassiert. Dazu wurde der Verwaltungsrat der Bank mit ehemaligen M23-Kadern besetzt.

Wirtschaftliche Kriegsführung

Zur Neueröffnung der Cadeco-Filiale kommen die M23-Anführer in Geländewagen ohne Nummernschilder angefahren. Rundherum halten ihre Kämpfer auf den Dächern Wache. Es ist ein wichtiger Tag für die neuen Herrscher. Denn seit der Einnahme Gomas sind auf Anweisung der Regierung in der weit entfernten Hauptstadt Kinshasa alle Banken in den von der M23 eroberten Gebieten geschlossen, die Konten eingefroren, die Geldautomaten abgeschaltet. Es ist kaum noch Geld im Umlauf.

Selbst auf dem Zentralmarkt herrscht gähnende Leere. Die meisten Händler:innen kommen nicht mehr, weil ohnehin niemand etwas kauft. An einem der wenigen noch geöffneten Stände sitzt eine zierliche Frau zwischen Kleidungsstücken. Um frei sprechen zu können, will sie ihren Namen nicht nennen. Sie hat Angst vor den Rebellen. Vor ihr steht ein Eimer, in den Regenwasser tropft, das durch die Decke sickert. Die Regenzeit hat eingesetzt, und es ist kalt und klamm. Normalerweise mache sie in dieser Jahreszeit mit ihren Jacken einen guten Umsatz, sagt sie. Doch dieses Jahr nicht: «Solange die Menschen nicht einmal Geld für Essen haben, kaufen sie sonst nichts.»

Kämpfer der von Ruanda unterstützten Miliz M23 auf einem Geländewagen
Sie dominieren seit Ende Januar das Stadtbild von Goma: Kämpfer der von Ruanda unterstützten Miliz M23.

Immerhin, so seufzt sie, seien die Lebensmittelpreise wieder etwas gesunken. Sie deutet den Gang entlang, wo knallgrüne Avocados und pralle Mangos aufgehäuft sind. Im fruchtbaren Umland wächst alles im Überfluss. Seit der Einnahme durch die M23 können die Bäuer:innen wieder ihre Ernten auf den Markt bringen. Vorher war die Stadt belagert, in Goma gab es kaum etwas zu essen.

«Die Avocados sind reif – wollen Sie mal kosten?», fragt eine Verkäuferin, die sich mit dem Namen Grace vorstellt. «Weil es ein Überangebot gibt, sind die Preise für frische Waren gesunken», sagt sie und zeigt auf den Boden. Dort liegen verrottete Tomaten, von deren Erlös sie Reis für ihre Familie kaufen wollte. «Ich muss fast alles wegwerfen, weil es niemand kauft», klagt sie. «Und meine Kinder können nicht zur Schule gehen, weil ich die Gebühren nicht bezahlen kann.» Hat sie Hoffnung, dass sich die Wirtschaft wieder normalisiert? «Wir wollen nur Frieden, egal wer uns regiert.»

Doch Frieden – der stellt sich unter der Herrschaft der M23 nicht wirklich ein. Jenseits ihres Territoriums lauern am Stadtrand noch immer Milizen, die zuvor mit der Armee gegen die M23 gekämpft haben und jetzt die Armenviertel in den Aussenbezirken unsicher machen. Kurz vor dem Abzug der Armee wurden die Gefängnistüren geöffnet, 4000 Insass:innen konnten fliehen. Sie verstecken sich seitdem in der Stadt. Fast jede Nacht dringen Bewaffnete in Häuser ein, rauben, plündern, töten.

Vor allem in den Vorstadtbezirken, wo die M23-Kämpfer kaum präsent sind, ist die Bevölkerung den Übergriffen ausgeliefert. Die seit einem Vierteljahrhundert in Goma stationierten Uno-Blauhelme haben sich in ihren Lagern hinter Sandsäcken verbarrikadiert. Hilfslieferungen können nicht mehr eingeflogen werden, weil der Flughafen in Goma durch die Kämpfe zerstört wurde.

Traumatisierte und hungernde Kinder

Jenseits des Flughafens liegt das Viertel Nyiragongo, nur wenige Kilometer nördlich der neu eröffneten Bank. Dort wurde jüngst eine elfköpfige Familie ermordet. Die Täterschaft ist nicht bekannt. Solche Übergriffe geschehen hier jede Nacht. Das sind die Folgen des andauernden Krieges im Land. Auf einem Schulhof spielt eine Schar Buben Soldaten. Einer schiesst mit einem unsichtbaren Gewehr, der andere wälzt sich im staubigen Boden. «Du bist jetzt tot», brüllen einige. In den Klassenzimmern hocken Hunderte Schüler:innen hungrig und müde auf den Bänken. «Sie können sich kaum konzentrieren», klagt eine Lehrerin. «Viele sind traumatisiert und können nachts nicht schlafen.»

Nachdem die Glocke geklingelt hat, schickt sie die Schüler:innen raus. Die meisten bleiben auf dem Schulhof. «Zu Hause wartet kein Mittagessen auf sie», erklärt die Lehrerin. Einige Väter seien im Krieg gefallen und andere auf der Flucht. Die Mütter seien mit den Kindern sich selbst überlassen. «Selbst wir können seit Januar kaum mehr unseren Lohn beziehen, weil unsere Konten eingefroren sind», erzählt sie und zeigt auf ihr Mobiltelefon. Die Regierung habe zwar begonnen, die Beamtengehälter in den M23-Gebieten via mobilen Geldtransfer auszubezahlen. Doch: «Nicht alle sind im System gespeichert, und für diesen Monat haben wir immer noch nichts bekommen.»

Das soll sich nun ändern. Vor der Bank im Stadtzentrum salutieren Leibwächter, als Corneille Nangaa aus dem Geländewagen steigt. Der frühere Leiter der Unabhängigen Nationalen Wahlkommission ist nun Chef der Rebellenallianz AFC (Allianz des Kongoflusses), eines Verbands bewaffneter Gruppen. Nangaa schreitet den roten Teppich entlang. Er schüttelt Hände und wird mit «Seine Exzellenz» angesprochen. Die M23 ist die stärkste Kraft in der AFC und leitet nun die politischen Geschäfte im Rebellengebiet. Sie hat eine Provinzregierung eingesetzt, Minister:innen ernannt und Kämpfer in Polizeiuniformen auf die Strassen entsandt, um den Verkehr zu regeln. Anders als 2012, als die M23 schon einmal Goma eingenommen hatte, haben die Rebellen dieses Mal die Banktresore nicht leer geräumt, sondern Kämpfer vor den Türen postiert, um die Reserven zu sichern. Sie sind gekommen, um zu bleiben.

Der von der M23 ernannte neue Bankdirektor Javane Sangano tritt ans Rednerpult: «Heute ist ein denkwürdiger Tag», verkündet er. «Wir möchten unsere derzeitigen und potenziellen Kunden einladen, noch heute vorbeizukommen, um unsere Finanzangebote kennenzulernen.» Die Anwesenden klatschen. Dann übernimmt der AFC-Vorsitzende Nangaa das Mikrofon. «Dieses Geld gehört dem Volk!», wettert er und schneidet das Band vor der Tür durch.

Einen Staat aus dem Nichts aufzubauen, ist nicht so einfach. Dessen ist sich M23-Präsident Bertrand Bisimwa bewusst. Ob er das besser hinbekommt als die von Korruption und Dysfunktionalität geprägte Regierung von Präsident Félix Tshisekedi in Kinshasa, ist fraglich. Auch wenn sich die M23 um ein ziviles Image bemüht, herrscht sie doch mit Waffengewalt – und hat keinerlei demokratisch legitimierte Regierungsvertreter.

Bisimwa, der ranghöchste M23-Politiker, hat Grippe und kam deswegen nicht zur Bankeröffnung. Etwas später fährt er aber, begleitet von einem Konvoi bewaffneter Kämpfer, auf den Parkplatz der unweit der Bank gelegenen Migrationsbehörde. Das Gebäude ist jetzt Sitz der Rebellenregierung.

Katar als Vermittler

Bisimwas Stimme ist heiser. Die Strapazen des Krieges, der enorme Arbeitsaufwand seit der Einnahme der Provinzhauptstädte Goma und Bukavu im Januar und Februar – man sieht ihm an, dass der Stress an ihm nagt. Jetzt reist er überdies ständig zwischen Goma und Katars Hauptstadt Doha hin und her. Seit kurzem finden dort Sondierungsgespräche zwischen der Regierung des Kongo und den Rebellen statt. Katar hat sich nach dem Scheitern von Vermittlungsbemühungen afrikanischer Staaten als Intermediär angeboten.

Doch darüber wolle er nicht reden, betont Bisimwa und setzt sich im Konferenzraum an den Kopf des langen Tisches. Seit mehr als zwölf Jahren leitet er als Rebellenchef Gesprächsrunden mit der kongolesischen Regierung. Bisher alle vergeblich. Umso wichtiger sei es nun, dass die M23 eine Art Vorzeigestaat errichte: «Wir wollen einen Staat, der die Menschenrechte achtet, der seine Bürger respektiert und der sie versöhnt, anstatt sie zu spalten.»

Die Bevölkerung soll nach dem Krieg das wirtschaftliche Leben wieder aufnehmen können. Für die Unsicherheit in den Stadtrandvierteln trage die Regierung in Kinshasa die Verantwortung, betont Bisimwa. «Kinshasa schickt den Banditen Geld, damit sie mit Waffen und Granaten Widerstand leisten.» Er steht auf, schlingt seinen Schal enger um den Hals und macht sich auf den Weg zum Auto. Er wolle sich ausruhen, bevor er wieder nach Doha reisen müsse. «Wir sind noch kein funktionsfähiger Staat», sagt er, «sondern nur eine befreite Zone.»