Sachbuch: Marx und der Imperialismus

Nr. 6 –

Buchcover von «Marx gegen Moskau. Zur Aussenpolitik der Arbeiterklasse»
Timm Grassmann: «Marx gegen Moskau. Zur Aussenpolitik der Arbeiterklasse». Schmetterling Verlag. Stuttgart 2024. 222 Seiten.

Timm Grassmann nimmt sich in einem neuen Buch einen unter Marxist:innen noch immer gängigen Mythos vor: Karl Marx habe sich mit den Jahren von seiner Abscheu vor der Imperialmacht Russland befreit und sei zum wahren Russlandfreund mutiert. Selbstverständlich unterhielten Marx und Friedrich Engels Beziehungen zu russischen Sozialistinnen und Demokraten. Erbitterte Feinde des russischen Imperialismus blieben sie trotzdem.

Seit der Intervention des Zarenreichs in der Revolution von 1848/49, als russische Truppen die ungarische Revolution in Blut erstickten, setzten sich Marx und Engels in Hunderten von Zeitungsartikeln mit dem Charakter des russischen Imperiums auseinander. Ob es um Russlands Angriffskriege gegen die Türkei oder den Krimkrieg ging, ihr Fazit war glasklar: Das Zarenreich verfolge eine aggressive und expansive Politik.

Die Artikelserie «Enthüllungen über die diplomatische Geschichte des 18. Jahrhunderts», publiziert in einer englischen Wochenzeitung 1856/57, hebt Timm Grassmann besonders hervor: Marx wollte diese Skizze einer Geschichte des russischen Staates vom 15. bis zum 18. Jahrhundert noch weiter ausarbeiten, was er dann aber nie tat. Seine Darstellung der Entstehung des russischen Staates infolge von Eroberungszügen des Fürstentums Moskau wurde vom Sowjetmarxismus unter Verschluss gehalten: Marx beschönigte darin nichts, er nannte die Despotie der Moskowiter und ihre brutalen Methoden beim Namen.

Für Marx und Engels stand so auch ausser Frage, etwa den Kampf Polens 1863 um Unabhängigkeit zu unterstützen: Sie attackierten die Feigheit der westeuropäischen Bourgeoisie, die den Polen rieten, doch Russen zu werden. Noch schlimmer erschienen ihnen Linke wie Pierre-Joseph Proudhon, die «Frieden» auf der Grundlage von Einflusssphären verlangten – Ansichten, wie man sie auch heute etwa bei der deutschen Politikerin Sahra Wagenknecht findet.