Spiel: Demokratie oder nur Schein?
Symbolbilder im Wikipedia-Eintrag zum Begriff «Demokratie»: eine Weltkarte mit dramatischem Farbverlauf von hoffnungsvollem Grün hin zu braundunklem Rot – «je roter, desto autoritärer der Staat»; dann eine historische Fotografie, die eine zentrale Stätte der athenischen Demokratie als Ruine zeigt; und dazu noch eine schlichte hölzerne US-Wahlurne aus dem 19. Jahrhundert.
Kein besonders bildstarkes Thema, diese Demokratie; andere Staatsformen geben da mehr her. Wenig überraschend also, dass der Luzerner Marcel Michel in seinem verdienstvollen und von Leonie Felber schön gestalteten «Demokratie-Quartett» die Bildebene schlicht hält: Fotografien nationaler Parlamentsgebäude mit ein bisschen Umschwung – keine Innenarchitektur, keine Parlamentarier:innen, auch kein Schwenk nach draussen zum Souverän.
Wichtiger als die Bildwelten der Demokratie sind ihre Definitionen. Eine der besten stammt immer noch von Jacques Derrida: Demokratie sei immer «à venir», stets im Werden begriffen – etwas Anzustrebendes, nichts Erreichtes. Dieser Einsicht des Philosophen der Dekonstruktion wird im «Demokratie-Quartett» zumindest numerisch Rechnung getragen: Nur wer beim vom «Economist» übernommenen «Demokratie-Index» die Punktzahl 8 erreicht, darf als «vollständige Demokratie» gelten. Weitere Faktoren: Pressefreiheit, Frauenanteil im Parlament, Korruptionsindex, Bildungsniveau, Einführung des Frauenwahlrechts und der Beginn der Demokratisierung. Die einzelnen Länder sind in weitere Kategorien gebündelt: Scheindemokratien, Oligarchien, föderale Republiken, konstitutionelle Monarchien, hybride Systeme und so weiter.
Der Lerneffekt dieses Kartenspiels zu einer «Herrschaftsform in Bedrängnis», wie es auf der Schachtel heisst, ist nachhaltiger als bei den meisten Quartetten von früher, als man mit dem Hubraum von Frachtschiffen, der Höchstgeschwindigkeit von Flugzeugen oder Pferdestärken von Autos Stiche holte. Um die annoncierte Bedrängnis dringlich zu signalisieren, sind die USA schon mal forsch bei den Oligarchien einsortiert, zusammen mit Russland und Kolumbien. Demokratieindex: knapp unter 8.