Krankenkassen: Wer ist hier verantwortungslos?
Sie ist ein Grundpfeiler der neoliberalen Weltanschauung: die Eigenverantwortung. Mit ihr begründete SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr denn auch ihre Motion zur Erhöhung der Krankenkassen-Mindestfranchise. Wieso unfreiwillig mehr zahlen ein Akt der Verantwortung sein soll, erschloss sich aus der Parlamentsdebatte nicht. Ungeachtet dessen nahm die Grosse Kammer den Vorstoss am Montag an; zuvor war eine gleichlautende SVP-Motion schon im Ständerat verabschiedet worden. Wie stark die Mindestfranchise (für Erwachsene derzeit 300 Franken pro Jahr) steigen soll, steht noch nicht fest. Gutjahr selbst sprach unter anderem von einer Erhöhung um 100 Franken, diskutiert werden aber auch höhere Beträge.
Dies trifft vor allem Menschen mit geringem Einkommen hart. Zwar wählen viele von ihnen die maximale Franchise von jährlich 2500 Franken, um so die Prämienkosten tiefer zu halten. Andere entscheiden sich aber gerade aus einer finanziellen Unsicherheit heraus für die tiefste – weil sie kein Geld auf der Seite haben. Älteren Menschen und chronisch Kranken bleibt indes oft gar keine andere Wahl als die tiefste Franchise, weil ihre Rechnungen so hoch ausfallen.
Seit 2005 ist die Kostenbelastung der Versicherten durch Selbstbehalt und Franchise um vierzig Prozent gestiegen – ganz zu schweigen von den praktisch jährlich steigenden Prämien. Dass auf die nun beschlossene Anhebung weitere Erhöhungen folgen sollen, hat Gutjahr indes bereits angekündigt: Wie sie in der Begründung ihrer Motion schreibt, schwebt ihr eine «periodische» Anpassung der Mindestfranchise vor.
Das Narrativ, das dem Vorstoss zugrunde liegt, hält sich seit Jahren hartnäckig: Verantwortungslose Menschen und ihre ständigen unnötigen Ärzt:innenbesuche sollen massgeblich schuld an den steigenden Gesundheitskosten sein – weshalb es auch angemessen sei, sie stärker daran zu beteiligen. Eine Erzählung, in der es etwa keinen Platz gibt für diejenigen, die aus finanziellen Gründen manchmal selbst dann keine medizinischen Leistungen in Anspruch nehmen, wenn sie es eigentlich dringend nötig hätten.