«Gegen das Schweigen»: Viele blaue Flecken – nicht «nur auf der Seele»
Eine deutsche TV-Dokumentation zeigt, wie Machtmissbrauch beim Film und im Theater funktioniert. Im Zentrum stehen dabei zwei Regisseure aus Österreich.
Dem grossen österreichischen Satiriker Karl Kraus wird das Bonmot zugeschrieben, er wäre gern in Wien, wenn die Welt untergehe, denn dort passiere alles zehn Jahre später. Man kann das getrost auch auf die #MeToo-Debatte beziehen, die mit reichlich Verzögerung aufgeschlagen hat. Die Gerüchteküche brodelte schon lange, aber Konsequenzen hatte das bislang kaum welche. Ziemlich beharrlich werden in Österreich mutmassliche Täter nach wie vor als «Enfants terribles» gefeiert.
Der Theatermacher Paulus Manker, berühmt durch sein Stationendrama «Alma. A Show Biz ans Ende», das seit fast dreissig Jahren tourt und an ungewöhnlichen Orten das Leben von Alma Mahler-Werfel nachstellt, trägt seinen schlechten Ruf seit Jahrzehnten stolz vor sich her. Im beliebten TV-Format «Willkommen Österreich» scherzte er noch 2020: Wenn er einigen Schauspieler:innen «viele blaue Flecken» verpasst habe, dann «nur auf der Seele».
In der NDR-Dokumentation «Gegen das Schweigen» über Machtmissbrauch im Theater und beim Film ist Manker einer der zentralen Beschuldigten: Er habe Nacktszenen vor Publikum ausgedehnt, ohne das vorher abzusprechen, Schauspielende wüst beschimpft und gedemütigt, auf Proben gebrüllt: «Stell dich dahin, du Arschloch.» Oder: «Beweg dich, du Fotze!» Der Schauspieler Nikolaus Firmkranz berichtet von einem körperlichen Übergriff, einem Schlag auf sein Ohr. Laut einer Recherche der Wochenzeitung «Falter» kam es in den Jahren 2018 bis 2021 von dreizehn ehemaligen Mitarbeiter:innen aus Manker-Produktionen zu Prozessen am Arbeitsgericht. Alle Verfahren gingen zugunsten der Klagenden aus.
Regisseur im Bademantel
Nach Ausstrahlung der Dokumentation wurde Manker in der ORF-Sendung «Kulturmontag» ein Podium geboten, auf dem er erneut seine mutmasslichen Opfer verhöhnen durfte: Er bezeichnete kritische Darsteller:innen als «AMS-Zombies», die sich vom österreichischen Arbeitsamt (kurz: AMS) nur Geld holten, ohne dafür etwas leisten zu wollen. Der Fall zeigt deutlich, was strukturell falsch läuft: Manker bringt Quote, deshalb gibt man ihm weiterhin Raum. Viele seiner Aussagen werden unhinterfragt weitertradiert.
Ein zweiter Fall aus «Gegen das Schweigen» verweist ebenfalls nach Österreich: Der Filmregisseur Julian Pölsler («Die Wand», nach dem Roman von Marlen Haushofer) soll cholerische Ausfälle gehabt und unnötige Nacktcastings veranstaltet haben. Die Rede ist auch von Annäherungen im Bademantel in einem für Dreharbeiten zugemieteten Haus, wo Schauspielerinnen und Pressebetreuerinnen bei ihm übernachten sollten. Pölsler gibt sich reuig, möchte das Gespräch suchen, sagt, die Vorkommnisse lägen sehr lange zurück.
Nicht wegducken
Das grundlegende Problem: Die NDR-Dokumentation wollte den Blick auf Strukturen lenken. Trotzdem stürzen sich die Medien nun auf zwei prominente Fälle. Was bei Pölsler Hoffnung gibt, sind Reaktionen bekannter und beliebter Schauspielkollegen wie Cornelius Obonya und Erwin Steinhauer, die Vorwürfe bestätigen und den Opfern damit Rückendeckung geben.
«Solange geschwiegen wird, werden die Täter weitermachen», sagt Steinhauer – und trifft damit einen neuralgischen Punkt. Machtmissbrauch funktioniert, weil sich alle wegducken, die nicht betroffen sind. Deshalb sind öffentlich unsichtbare Menschen, die in der Maske, der Ausstattung, der Technik arbeiten, doppelt gefährdet. Es braucht mehr Mut und Solidarität, gerade von jenen, die man nicht so leicht mit Jobentzug bedrohen kann. Ein struktureller Wandel kann erst gelingen, wenn «Enfants terribles» nach denselben ethischen Massstäben beurteilt werden wie alle anderen.
«Gegen das Schweigen. Machtmissbrauch bei Theater und Film» ist in der ARD-Mediathek verfügbar.