Von oben herab: The MC Crowd
Stefan Gärtner rockt
Was viele gar nicht wissen: Peter Maffay hält sich selbst für einen Rocker, und die Presse ist natürlich einverstanden. «Er begann als Schnulzensänger, aber er ist längst ein Rocker», analysierte «Focus» schon vor Jahren, und derwesten.de titelte noch im August des vergangenen Jahres: «Schock für den Rocker», weil der Rocker (i. e. Peter Maffay) coronabedingt seine (Rock-)Konzerte hatte absagen müssen. «Schlagerstar, Rocker und Wohltäter», fasst die Deutsche Welle das Leben des «Rockers» («Gala») bündig zusammen, der, wie der «Kult-Rocker» (tag24.de) persönlich im Interview mit einer Motorradzeitschrift verriet, als junger Easy-Listening-Rider bereits anfing, «mich für diese Mentalität, diesen Rocker-Lifestyle zu interessieren. Verstärkt wurde das später noch durch diesen herrlichen Film von Klaus Lemke: ‹Rocker› […]» Denn der «Reiz am Rockerwerden» (motorradonline.de) war, so Harley-Fahrer Maffay selbstbewusst, ganz klar «der Bruch mit Konventionen. Jeder junge Mensch, eigentlich jedes Lebewesen, selbst ein Baum, möchte doch ausloten, wie weit man gehen kann, und versucht, durch die Decke zu stossen. Grenzen testen – darum ging es.» Auch wenn diese Einleitung ihre Grenze nun wohl erreicht hat.
Wie sich dem lokalen «Bund» entnehmen lässt, findet in Bern seit Montag ein «Monsterprozess gegen 22 Rocker» statt, womit Maffay, anders als erschrockene Rockfans denken könnten, aber nichts zu tun hat. 2019 war es im Rahmen sog. Revierkämpfe zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen den Hells Angels, den Bandidos und den Broncos gekommen, doch wer sich jetzt einen richtigen Rockerkrieg vorstellt, wird enttäuscht sein, denn gestorben ist keiner. «Am schlimmsten erwischte es den heute 36-jährigen Hells Angel, der im Auto von einer Kugel getroffen wurde. Dessen Milz wurde bei dem Durchschuss derart beschädigt, dass sie im Spital bei einer Notoperation entfernt werden musste» («Bund»). Schlimm, aber für eine Netflix-Produktion wird das nicht reichen. Da muss sich das Schweizer Publikum bis auf Weiteres mit «Tschugger» begnügen, einer, wie ich lese, sehr guten Serie um Polizisten aus dem Wallis, die ich leider nicht sehen kann, weil ich Streamingdienste natürlich ablehne; bis auf Amazon Prime (mal wegen Postbedürfnissen gebucht und nie gekündigt), Disney+ («Ice Age» für den Sohnemann) und Netflix, den wirklich einzigen Anbieter, der französische Serien im französischen Original mit französischen Untertiteln anbietet, was wichtig ist, weil ich mich im Frankreichurlaub nicht mit meinem armen Schulfranzösisch blamieren will. Blöderweise hat mir der dumme Amazon-Algorithmus neulich «The IT Crowd» vorgeschlagen, und statt nach Feierabend noch eine Folge der mittelguten Agentenfilmparodie «Au service de la France» zu schauen und mir schicke Sätze mit Subjonctif draufzuschaffen («Il faut que j’y aille»), bin ich plötzlich wieder 33, habe kein Smartphone und sitze bei Freund und Fachmann Nagel auf dem Sofa, um mir die wirklich simple, wirklich lustige Show um zwei simpel-lustige Nerds zeigen zu lassen. Bestimmt können sie in Frankreich besser kochen, aber in Angelegenheiten höherer Fernsehkomik bleiben UK & USA unbesiegt. Vermutlich sogar trotz «Tschugger».
Jedenfalls überlegt sich die Stadt Bern nun, ob sie auch in Zukunft auf die Broncos Security AG zurückgreifen kann, das gilt neuerdings als «problematisch». Die Broncos Security AG sagt, sie habe mit dem Motorradclub (dem MC) so gut wie nichts zu schaffen. Derweil haben sich Hells Angels und Bandidos vorm Berner Amtshaus eine Strassenschlacht geliefert, was vermutlich ein Reiz am Rockersein ist; vgl. hierzu die deutsche Tageszeitung «Die Welt» vom 25. Februar 2014: «Bushido: ‹Peter Maffay hat mir körperliche Gewalt angedroht›». Seine Milz soll der sympathische Berliner aber noch haben.
Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.
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