Von oben herab: Und Hansi ging zum Regenbogen

Nr. 39 –

Stefan Gärtner über alles oder nichts

Mein hohes Ethos als Topkolumnist verbietet es mir, Zweitverwertung zu betreiben, also dem Publikum Sachen unterzujubeln, die bereits als Gastbeitrag in Kleinverlagsproduktionen erschienen sind. Und also können Sie hier und heute nicht vom Schluss einer grossen Liebe lesen, wie sie endete «an einem späten Samstagabend im August, als die Europameisterschaft gerade erst vorbei war und im ‹Aktuellen Sportstudio› schon wieder diese Leute herumhampelten, die unterm knappen Sakko T-Shirt tragen und die Moderationskarten mit zäher Aufgeräumtheit vor sich her; Fussballtrainer in Jeans, wie man sie mit zwanzig trägt und nicht mit fünfzig; Interviewpartner, die der Demütigung standhalten, auf dem Hemdkragen den Namen eines Sponsors mitzuführen; und Interviewer in den besten Jahren, die auszusehen versuchen wie ihre Söhne und dabei aussehen wie die Würstchen, die sie sind und wir sein sollen. Und ich, vor den ewig identisch exaltierten Torjubelsprints, den ewig gleichen Tätowierungen, den ewig gleichen Antworten auf die immer selben Fragen, sass da und war beklommen, wie ausgeknipst und angewidert, nach 35 Jahren fussballerischen Fantums, nach Siegen und Niederlagen, Ekstase und Depression, nach Riesenlärm um letztlich nichts.»

Trotzdem – oder wiederum: deswegen – habe ich auf Amazon Prime die vierteilige Dokumentation «All or Nothing. Die Nationalmannschaft in Katar» gesehen, womit, versteht sich, die deutsche gemeint ist, und ein guter Witz war bereits, dass im Vorspann das «All or …» wegbröselte, denn nach der Vorrunde war ja Schluss, das hatte sogar ich mitgekriegt, der ich wirklich nicht mehr Fussball schaue. Der zweite Witz war der mittlerweile Exbundestrainer Hansi Flick, der seine einfältigen Kabinenansprachen immer um den Schlachtruf «Männer!» herumbaute, was aber bekanntlich nichts brachte. Wären Flicks Männer nicht so jämmerlich gescheitert, es wäre wohl nicht ganz so ausführlich um die «One Love»-Binde gegangen, die als Solidaritätserklärung für jenes Queere gedacht war, das in Katar illegal ist, und die darum von der Fifa verboten wurde, woraufhin sich die deutsche Mannschaft mit demonstrativer Hand vorm Mund zum Gruppenfoto aufstellte.

Die Regenbogenfahne weht übrigens auch vor deutschen Supermärkten, weil etwa Rewe sich als progressiv und humanistisch verkaufen will, derselbe Konzern, der vor Jahren mal Fresspakete für Depravierte im Angebot hatte: Nichtdepravierte konnten für einen Fünfer eine Tüte mit Discountlebensmitteln kaufen, die Rewe, statt selbst zu spenden, dann spendete. Wäre ich queer, würde mich das wohl ärgern, wie hier politische Farben zu Reklamefarben werden, schon weil die orthodoxe Linke es immer schon gewusst hat, dass das Identitätsgewese nur ein verkleideter Neoliberalismus ist.

Fussball dagegen ist ja immerhin unverkleideter Neoliberalismus, und dass die Champions-League-Begegnung Young Boys Bern – RB Leipzig vom französischen Fernsehen nicht ausgestrahlt wurde, liegt daran, dass der Trikotsponsor von YB einen Investitionsdienst für Finanzkontrakte anbietet, «die von der französischen Finanzmarktaufsicht (AMF) als sehr riskant eingestuft werden. Seit Ende 2016 ist solche Werbung in Frankreich bei Sportwettkämpfen verboten» (watson.ch). Die Berner Fans weisen empört darauf hin, dass Red Bull Leipzig «schamlos offen dazu steht, als lebende Werbebande zu existieren», und Fussball «mehr und mehr zu einem dreckigen Geschäft avanciert ist. Kommerz, Korruption, Geldwäsche und moderne Sklaverei sind nicht nur bei einigen Vereinen, sondern auch bei Uefa und Fifa an der Tagesordnung.» Weshalb es hohe Zeit ist, vor den Zentralen von Welt- und Europäischem Fussballverband den Regenbogen zu flaggen und vorm Deutschen Fussball-Bund halt auch; wo Hansi («Männer!!») Flick ja jetzt weg ist.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.

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