Alice Schwarzer: Als die Chefin vom Podest fiel

Nr. 25 –

Zuerst der Rausschmiss ihrer Nachfolgerin in der «Emma»-Redaktion. Dann der bagatellisierende Bericht über das Elend in Burma. Die Gralshüterin des deutschen Feminismus ist definitiv ins Visier der Kritik geraten.

Das Kino lebt von seinen Stars. Und natürlich auch der Fussball und die Politik. Was wäre die Linkspartei ohne Gregor Gysi und Oskar Lafontaine, die sich deshalb gelegentlich Würfe über die offizielle Linie politischer Korrektheit erlauben dürfen, ohne die Publikumsgunst zu verlieren?

Bei den weiblichen Ikonen verhält es sich ein wenig anders: Dem allzu Menschlichen entzogen und aufs Podest gestellt, kann ein falscher Satz zur falschen Zeit oder eine Peinlichkeit schnell den freien Fall nach sich ziehen. Wenn gar beides zusammenkommt und die Grenzverletzerin normalerweise moralisch korsettiert den Marsch für allgemeine Frauenrechte bläst, hat die Republik eine ausgewachsene Affäre, die, sagen wir mal, eine Woche im globalen Mediendorf rumort.

Mehr als eine Stilfrage

Gleich zweimal ist Alice Schwarzer, seit vierzig Jahren selbst ernannte Beauftragte für korrekten Feminismus, dieser Tage ausgerutscht. Dass sie im katastrophengeschüttelten Burma kein «Elend» hat sehen wollen und dunkle Verdächtigungen über die Motive westlicher Hilfe ausstösst, bringt nicht nur die gerade gebeutelte Hilfsdienstlobby auf, sondern ausgerechnet jenes konservative Medium, das der Vorzeigefeministin sein Aufschlagblatt für den Kitschbericht zur Verfügung gestellt hat. «Haarsträubend», befindet ein Schreiber der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» in seiner grossen Abwatsche Schwarzers Burmabeitrag und gibt vor, sich zu wundern, dass eine solch «selbstverliebte» Journalistin in der Jury des renommierten Henri-Nannen-Preises votieren darf.

Was hat die Frau, die von der «Frankfurter Zeitung» anlässlich der Verleihung des Börne-Preises bis vor kurzem noch gehätschelt und gern von einem Talktablett aufs andere gereicht wurde, nur ausgefressen, dass sie nun durch die Blätter gepeitscht und auch noch als «papistisch» verschrien wird? Sie hat Lisa Ortgies, ihre Nachfolgerin als «Emma»-Chefredaktorin, kaum war sie angetreten, auch gleich wieder gefeuert, ihr noch ein bisschen Dreck nachgeworfen und sich selbst wieder auf den Chefsessel gesetzt. Kein guter Stil, fürwahr, aber für demokratische Umgangsformen war Alice Schwarzer ohnehin nie bekannt.

Hätte die nun mit Heuchlertränen begleitete Lisa Ortgies ein bisschen in den Archiven gewühlt, wäre sie auf einen offenen Brief aus dem Jahre 1980 gestossen, in dem 32 ehemalige Mitarbeiterinnen der «Emma», darunter Christina von Braun, Christiane Ensslin, Claudia Pinl und Cillie Rentmeister, Alice Schwarzer «Respektlosigkeit» gegenüber der Arbeit ihrer Kolleginnen, Selbstherrlichkeit und Dogmatismus vorwarfen.

Feminismus made in Germany

Vorangegangen waren schon 1979 Medienberichte über die «unerträglichen Arbeitsbedingungen» und den autoritären Führungsstil Schwarzers in dem - das wird heute oft vergessen - ursprünglich kollektiv gegründeten Zeitungsprojekt. Seither gab es keinen Anlass anzunehmen, im weiblichen Durchlauferhitzer in Köln hätte sich irgendetwas geändert: ungezählt die Mitarbeiterinnen, die ihrer Schwester im Zorn das Handtuch hinwarfen.

Aber Alice Schwarzer ist eben mehr als irgendeine ziemlich unangenehme Chefin, mehr als eine nach «männlicher» Räson operierende Unternehmerin und mehr als eine fragwürdig urteilende Journalistin - Alice Schwarzer ist das Synonym für Feminismus made in Germany, und gäbe es so etwas für politische Marken, müsste hinter ihrem Namen das eingetragene Warenzeichen erscheinen. Das war, die Jüngeren mögen es nicht glauben, keineswegs immer so, und viele, sehr viele Feministinnen hätten sich, als sich die Bewegung in den achtziger Jahren differenzierte und klüger wurde, kaum mit dem heutigen Feminismus nach Kölner Hausmacherart identifiziert.

Aber gerade mit den Differenzierungen hat es die Medienwelt nicht. Das gilt nicht nur für die Belange der Frauen. Simple Feindbilder, grobe Raster, eindeutige Schlagworte sind einfacher in ihr Kanalsystem einzuspeisen als der zweite Blick oder der zweite Gedanke. Und genau solche Vereinfachungen hat die «Emma»-Frau immer geliefert. Während sich die Frauenbewegung auflöste und sich die Fraktionen in ihren diversen akademischen Denkübungen verloren, schaffte es Alice Schwarzer nicht nur, den Feminismus mittels solcher Vereinfachungen «auf dem platten Land» zu popularisieren, sondern auch, sich selbst - nicht zuletzt mithilfe der Medien - als dessen Gralshüterin aufzuwerfen. Sie hielt Kurs: Soldatinnen für den Krieg, wenn es der Gleichberechtigung nützt; wider das Kopftuch, allen feministischen Musliminnen zum Trotz; PorNo, auch gegen alle Einwände der Sexarbeiterinnen.

Das ist, angesichts der Weichspülungen, die der Feminismus in den letzten Jahrzehnten erlebt hat, durchaus eine Leistung. Doch der Aufbau zur feministischen Medien-Ikone hat einen Preis: Alice Schwarzer darf zwar für ein sexistisches Boulevardblatt Reklame machen, ohne vors Tribunal geladen zu werden; es ist auch nicht mehr degoutant, sich mit der konservativen Journaille zu verbünden oder mit Männerwitzlern à la Harald Schmidt - das gehört zur medialen Betriebsamkeit.

Aber Menschliches, das darf sich eine Ikone Schwarzer nicht leisten: Neid auf eine jüngere Kollegin, Angst vor dem Abstellgleis, vor dem Älterwerden überhaupt. Eine Ikone lebt nicht, sie strahlt. Und gelegentlich, wenn der Scheinwerfer abdreht und sich einer anderen Sockelfigur zuwendet, fällt sie auch - ins Vergessen.

Praktisch ist das für die, die momentan am Schwarzer-Podest rütteln und den «Zickenkrieg» ausweiden. Bühnenreifer hätte sich das Schauduell kaum inszenieren lassen, das einmal mehr zeigt, dass Frauen auch nur Männer sind und alte Frauen die schlimmsten: Altersstarrsinniges Alphatier prügelt Alphamädchen aus dem Haus, die Alphamännchen reiben sich die Pfoten.

Heilsamer Sturz

Aber, um nicht missverstanden zu werden, Alice Schwarzer ist keineswegs die «personifizierte Perpetuierung des weiblichen Opferschemas», wie die Schriftstellerin Juli Zeh kürzlich in der «Süddeutschen» meinte. Sie mag polares Denken verkörpern, aber ein «Opfer» ist sie, trotz aller offenkundigen Häme, nicht. Auch nicht Lisa Ortgies. Opfer ist, wenn man das überhaupt in eine solche Kategorie fassen will, der Feminismus oder das, was wegen der Zicken- und Generationenkriege an sozialen Belangen unerledigt bleibt.

Bevor Alice Schwarzer aufs Podest gehievt wurde, liess sie die teilnehmende Leserschaft - das war 1977 und ein Jahr nach der Gründung von «Emma» - wissen: «Ich kenne meine Stärken, ahne aber auch meine Schwächen.» Irgendwie scheint ihr diese Ahnung in den vergangenen dreissig Jahren abhanden gekommen zu sein.

Immerhin besteht Hoffnung: Einmal vom Sockel gestürzt, werden Ikonen ganz menschlich und sogar zur Selbsterkenntnis fähig.