Geschäftsfrauen: Chadischa hat es vorgemacht

Der Anteil arbeitender Frauen in den arabischen Ländern ist sehr tief. Unternehmerinnen wollen das ändern. Dabei nehmen sie auch mal den Koran zu Hilfe.

Marrakesch, die rote Stadt, die Stadt der Armen und Reichen, die sichere Stadt, die Stadt im Aufbruch: Überall wird gebaut, an der Peripherie entstehen zwischen Palmenhainen edle Residenzen und Luxushotels, dazwischen Wohnblöcke. Sozialsiedlungen sind geplant, ein neuer Flughafen ebenso. Mercedes brettern an Eselskarren vorbei, stinkende Busse an Pferdekutschen, Mofas an Fahrrädern. Über 800 000 EinwohnerInnen leben hier, am Fuss des Atlasgebirges. Wer sich nicht bewegen muss, ruht im Schatten. Der Wüstenwind wirbelt den Staub unter den Füssen auf und bläst ihn in Augen, Nase, Ohren.

Hier, inmitten all dieser Kontraste, fand Ende September eine internationale Konferenz arabischer Geschäftsfrauen statt. Geladen hatte die Organisation der marokkanischen Geschäftsfrauen Afem, gekommen sind etwa zweihundert Frauen und eine Hand voll Männer aus der arabischen Welt. Das Thema: Weibliches Unternehmertum in muslimischen Ländern.

Arabische Geschäftsfrauen sehen bei weitem nicht so uniform aus wie ihre westlichen Kolleginnen. Unauffälligkeit und ein geschlechtsneutrales Auftreten sind nicht angesagt. Die Business-Ladys geben sich sehr weiblich und selbstbewusst, sei es mit Kopftuch und langem Gewand, sei es im Deux-Pièce oder Hosenanzug. Die einen haben in Eigenregie ihren Betrieb gegründet. Die anderen haben nach dem Tod des Ehemannes die Firma übernommen oder wurden vom Vater als Nachfolgerin bestimmt.

Die Religion ist nicht das Problem

Die meisten Konferenzteilnehmerinnen sind gleichzeitig Mütter. Der Zwang westlicher Frauen, sich für Kind oder für Karriere entscheiden zu müssen, scheint es in den arabischen Ländern weniger zu geben. «Wir sind unabhängiger als die europäischen Frauen», ist eine Unternehmerin aus Casablanca überzeugt. «Weil wir uns eher Haus- und Kindermädchen leisten können.» Das hat aber auch damit zu tun, dass viele dieser Dienstmädchen oft weit unter dem gesetzlich garantierten Mindestlohn von 200 US-Dollar arbeiten müssen.

Der Prozentsatz der erwerbstätigen Frauen in den arabischen Ländern ist sehr tief. Noch heute gestehen viele Männer ihren Frauen ausschliesslich die Rolle der Hausfrau und Mutter zu. Dies begründen sie auch mit religiösen Argumenten. Die Rednerinnen an der Konferenz beziehen sich deshalb immer wieder auf Chadischa, die erste Frau des Propheten Mohammed, die eine sehr erfolgreiche Geschäftsfrau war. Auch alle anderen Ehefrauen des Propheten seien starke und gebildete Persönlichkeiten gewesen, die Mohammed gleichberechtigt zur Seite gestanden seien. Trotzdem soll der Prophet laut einem seiner Schüler gesagt haben: «Niemals wird das Volk zu Wohlstand gelangen, das seine Geschäfte einer Frau anvertraut.» Die KonferenzteilnehmerInnen sehen das anders. «Es gibt absolut keine religiöse Begründung gegen finanziell und rechtlich unabhängige, gebildete sowie wirtschaftlich aktive Frauen», sagt Podiumsrednerin Amani Asfur. Die ägyptische Unternehmerin gehört zu den Pionierinnen arabischer Netzwerke für Geschäftsfrauen: Vor rund zehn Jahren gründete sie in Kairo die Organisation ägyptischer Geschäftsfrauen EBWA. Asisa Bennani ist heute Unesco-Botschafterin, davor war sie die erste marokkanische Frau, die ein Ministeramt bekleidete. «Männer haben aus den Werten und Regeln des Islams die Minderwertigkeit der Frauen abgeleitet», sagt sie. «Aber Islam und Gleichberechtigung widersprechen sich nicht, im Gegenteil.» Der marokkanische Minister für islamische Angelegenheiten, Ahmed Taufik, sagt es noch deutlicher: «Interpretationen sind das Resultat spezifischer Interessen.» Es gebe keine religiösen, sondern nur soziale und kulturelle Barrieren. Die Anwesenheit einer weiteren marokkanischen Ministerin und einer marokkanischen Staatssekretärin an der Konferenz ist eine klare Botschaft nach innen und nach aussen, ebenso wie das neue Familien- und Eherecht Marokkos, das seit Anfang dieses Jahres in Kraft ist. Neu sind die Frauen nicht mehr ihren Männern untertan, sondern gleichberechtigte Partnerinnen, die sich scheiden lassen und die Polygamie faktisch verunmöglichen können. Und sie brauchen nicht mehr die Erlaubnis ihrer Ehemänner, um arbeiten zu gehen.

Eingeschränkte Mobilität

In vielen anderen arabischen Ländern ist das anders, so auch in Saudi-Arabien. Der saudische Podiumsteilnehmer Aiman Ergesus glaubt jedoch, dass die Situation der Frauen in Saudi-Arabien im Ausland oft verzerrt dargestellt wird. «Sie arbeiten, sie produzieren, aber – das ist nun mal so – sie dürfen nicht Auto fahren.» Doch wer liesse sich nicht gerne von einem Chauffeur kutschieren? Die Zuhörerinnen reagieren ungehalten, es rumort im Saal. Eine Marokkanerin, die Saudi-Arabien im Rahmen einer Studienreise zweimal besucht hat, widerspricht Ergesus. Das Bild über die Lage der saudischen Frauen sei keineswegs verfälscht, sagt sie. Gerade auch wegen der eingeschränkten Mobilität könnten die Frauen keine effiziente, geschweige denn tragende Rolle in der Wirtschaft spielen.

Die PodiumsteilnehmerInnen sind sich letztlich einig: Das wahre Hindernis bei der Verbesserung der Situation der Frau – und damit auch der Geschäftsfrau – ist nicht die Religion, sondern mangelnde Bildung und Gesundheit, Armut und starre gesellschaftlich-kulturell bedingte Rollenbilder. Und es braucht Netzwerke und Lobbying, politische Einflussnahme und das Weitergeben von Wissen unter den Frauen.

Genau deshalb hat Salwa Karkri-Belkesis vor vier Jahren die Organisation marokkanischer Geschäftsfrauen Afem mitbegründet. Welches die Bedürfnisse und Nöte einer Geschäftsfrau sind, weiss Kakri-Belkesis aus eigener Erfahrung: Nach ihrem Informatikstudium in Paris gründete sie 1987 mit einem minimalen Startkapital von rund 8000 Franken ihr eigenes Informatikdienstleistungsunternehmen. Heute beschäftigt sie fast vierzig Angestellte, die einen jährlichen Umsatz von drei Millionen Franken erwirtschaften. Noch bis 2006 wird sie die Präsidentin von Afem bleiben, dann übergibt sie an ihre Nachfolgerin.

Heute zählt Afem 200 Mitglieder. Welches bezeichnet sie selber als ihre grössten Erfolge? «Wir konnten die Unterstützung und das Gehör der Regierung gewinnen.» Bisher hätten die marokkanischen Frauen ihre Unternehmen gegründet, aber nie an wichtigen Debatten teilgenommen, die zum Beispiel die unternehmerischen Rahmenbedingungen betreffen, die Gesetzgebung oder die Umwelt. Das habe sich geändert. «Heute redet Afem mit, zusammen mit dem grossen Dachverband der marokkanischen Unternehmen CGEM, man hört uns zu», sagt Karkri-Belkesis. Zudem habe Afem einigen Frauen bei der Unternehmensgründung beigestanden, der Prozess sei also in vollem Gang. «Unsere Arbeit ist konkret, und sie zeigt konkrete Resultate.» Damit leiste die Organisation einen aktiven Beitrag zu einer neuen Wahrnehmung der marokkanischen Frauen. «Wir sind nicht nur Ehefrauen und Mütter, wir sind auch Geschäftsfrauen, das dringt langsam durch.»

Zwei Tage dauert der Kongress, die Frauen sitzen zusammen beim Frühstück, beim Mittag- und beim Abendessen. Mehr als bei den Podiumsdiskussionen findet der Austausch an diesen Tischen statt, wird Lob über die Tagung geäussert – und auch Kritik. Niemand wolle öffentlich über die konkreten Probleme reden, beklagt eine Teilnehmerin. Zum Beispiel, dass es schwierig sei, Kredite von den Banken zu erhalten. Und: «Es wurde zu viel über die Vergangenheit geredet und zu wenig über die Zukunft. Das ist das Problem der Araber», sagt Chalida Azbane Belkadi, Chefin des international tätigen Kosmetik- und Parfumunternehmens «Les Laboratoires Azbane». Als älteste Tochter des Unternehmensgründers trat sie 1990 seine Nachfolge an, heute beschäftigt die zur marokkanischen Managerin des Jahres gewählte Chemikerin 250 Angestellte. Der Anteil der weiblichen Angestellten beträgt insgesamt neunzig Prozent, im Management liegt er bei zwölf Prozent.

Etwas kleinere Brötchen backt Hakima Alami in ihrer «Boulangerie und Patisserie Al Jawda» in Marrakesch. 1985 gründete sie mit einem minimalen Startkapital ihr Unternehmen, heute beschäftigt die königliche Hoflieferantin dreissig wiederum vorwiegend weibliche Angestellte. Die meisten dieser Frauen seien Analphabetinnen. Deshalb unterrichte sie sie eine Stunde täglich, damit sie auch ihre Kinder bei der Ausbildung unterstützen können. Sowohl die Angestellten Alamis wie auch jene von «Les Laboratoires Azbane» sind gegen Krankheit versichert – keine Selbstverständlichkeit in diesem Land.

Alami ist gleichzeitig Präsidentin eines weiblichen Ablegers des Rotary-Clubs in Marrakesch: «Der Rotary-Club ist ja bis heute eine eingefleischte Männergesellschaft. Die wollten uns Frauen nicht, also haben wir einen eigenen Klub gegründet.» Als Afem-Mitglied nahm auch Alami an der Tagung der arabischen Geschäftsfrauen teil, die sie nicht nur genossen hat. «Man hätte viel mehr Medienleute einladen sollen, um unsere Anliegen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen», sagt Alami. Zudem seien vorwiegend intellektuelle und reiche Frauen aus den Grossstädten an der Tagung vertreten gewesen. «Wir müssen auch aus den Städten rausgehen, aufs Land. Wir müssen unbedingt die Frauen einbeziehen, die in der informellen Wirtschaft tätig sind.»