SP-Sicherheitspapier: Alarmanlagen für alle

Nr. 27 –

Eine Fachkommission der SP Schweiz hat einen Entwurf zur Sicherheitspolitik verfasst. Welche Sicherheit für wen? Und auf Kosten von was? Eine Besprechung.

Der Entwurf des Positionspapiers «Öffentliche Sicherheit für alle» der Fachkommission für Friedens- und Sicherheitspolitik der SPS beginnt sozialdemokratisch: «Alle Menschen haben einen Anspruch darauf, sich sicher fühlen zu können, unabhängig von Herkunft, Alter, Geschlecht und Einkommen. (...) Dies setzt Chancengleichheit, Existenzsicherung und soziale Sicherheit ebenso voraus wie Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Grundrechte.»

Auch der erste Punkt liest sich so. Städte und Agglomerationen sollen sich dank nachhaltiger Raumplanung und aktiver Wohnbaupolitik so entwickeln, dass «Quartiere sozial durchmischt sind und der öffentliche Raum belebt und vielfältig genutzt wird».

Beim zweiten Punkt gerät man ins Stocken. Unter «Die 24-Stunden-Gesellschaft» wird auf die «Schattenseiten» der veränderten Freizeitkultur eingegangen: «Alkoholexzesse bis zum Koma-Trinken, Partydrogen, Vandalismus, andere Gewalttätigkeiten und Lärmbelästigung. Viele Menschen fühlen sich durch herumhängende Jugendliche bedroht und in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt.»

Feindliches Vokabular

Ab diesem Punkt überschreitet das Papier eine Grenze. Zunächst nicht mal in den «spezifischen Massnahmen», die die Kommission empfiehlt. Sondern im Sprachgebrauch, dessen Vokabular sich aus Begriffen rechtsbürgerlicher Prägung zusammensetzt. Da ist von «herumhängenden Jugendlichen» die Rede, von «Ausländerkriminalität». Begriffe, die ohne Anführungszeichen verwendet werden. Über das Betteln heisst es: «Auch blosse Bettelei muss unterbunden werden, wenn sie mit den Rechten von Kindern in Konflikt steht oder» - jetzt die Pointe - «ein stark störendes Ausmass annimmt.»

Spätestens hier bestätigt sich der Verdacht: Die SP hat ein Sprachproblem. Die Übernahme feindlichen Vokabulars zeugt vom eigenen Sprachverlust. Die Verschiebung auf der sprachlichen Ebene mag zunächst harmlos erscheinen. Doch die Art, wie über Menschen gesprochen wird, ist nicht nur Ausdruck eines Menschenbildes. Sprache greift darüber hinaus in die Wirklichkeit, verändert Wahrnehmung, schafft Realität, legitimiert Gewalt.

Was soll an einem Bettler ein «stark störendes Ausmass» annehmen? Seine pure Anwesenheit? Was ist «störender»? Der Mensch, der die hohle Hand macht - oder nicht doch der Immobilienbesitzer, der im fetten Wagen vorbeifährt?

Die SPS, die Partei mit dem höchsten Durchschnittseinkommen, setzt sich mehrheitlich aus privilegierten Menschen zusammen. Menschen, die es sich erlauben, ein Leben zu führen, von dem andere träumen. Dieses Privileg des Ungestört-unter-sich-Seins reiht sich nahtlos in die bürgerlichen Lebensentwürfe ein und widerspiegelt sich in sozial-freiheitlich-demokratisch herausgeputzten Quartieren, wo alles sauber ist, ruhig, friedlich, sicher und unheimlich ökologisch. Und immer wieder hört man jenes Wort, das seit Jahren Hochkonjunktur hat: Lebensqualität! Zürich, unter sozialdemokratischer Präsidentschaft weiss Gott nicht besonders sozial, gilt weltweit als Stadt mit der höchsten Lebensqualität. Lebensqualität, die darin besteht, Unerwünschtes auszuschliessen. Entsprechend gross ist der gesellschaftliche Druck, ein permanentes Diktat, das «öffentliche Ärgernisse» geradezu provoziert: öffentliche Sicherheit auf Kosten öffentlicher Lebendigkeit.

Vom Spezifischen ins Allgemeine

Und dann ist da diese Sprache, die über Menschen spricht. Reden über Abwesende. Sinnieren über Störfaktoren. Eine Sprache der Ausgrenzung, die unter dem politischen Druck die Grundlage für eine Politik der Ausgrenzung schafft. Man schreibt ein Papier, in dem einleitend von Chancengleichheit, Existenzsicherung und sozialer Sicherheit die Rede ist. Um später «spezifische Massnahmen» zu fordern, die von der SVP abgeschrieben sein könnten.

Das liest sich so: «Massnahmen zur Erreichung solch langfristig angelegter Ziele (Bildung, Arbeit, sozialer Schutz vor Existenzrisiken, nachhaltige Entwicklung und die Verminderung des Unrechts und der Armut bei uns und in andern Ländern) bilden das Fundament einer sozialdemokratischen Politik der öffentlichen Sicherheit. Zu dieser Politik gehören aber ebenso spezifische Massnahmen gegen Kriminalität, Gewalt und Unsicherheit. Dieses Positionspapier konzentriert sich auf diese spezifischen Massnahmen.»

Indem sich das Papier auf «spezifische» Massnahmen konzentriert, macht es das Spezifische zum Allgemeinen. Indem es «spezifische» Massnahmen durchsetzen will, die im Zug eines permanent herbeigeredeten Ausnahmezustands entstanden sind, verhilft es zur Durchsetzung der Ausnahme als Regel. Wie leicht Massnahmen für einen vorübergehenden Ausnahmezustand auch nach Ablauf des Ereignisses dauerhaft installiert werden können, zeigen die Tage und Nächte während und nach der EM 2008, wie im Zürcher Kreis 4 zu beobachten ist. Das Fest ist vorbei, die Vorkehrungen bleiben.

Das Kind, der soziale Gedanke, wird mit dem Bad, der kollektiven Hysterie, ausgeschüttet. Und damit auch die «allgemeinen» Massnahmen: bessere Arbeits- und Lebensbedingungen für alle, auch für MigrantInnen, Sans-Papiers oder Asylsuchende; Freiräume für Jugendliche, junge Erwachsene und Erwachsene; sozial durchmischte Quartiere, Kulturzentren, Schulen, Krippen, Tageshorte, Wohngenossenschaften; Integrationskurse, die nicht nur Ausländerinnen dazu verhelfen, sich hiesigen Gepflogenheiten anzupassen, sondern auch Schweizern, andere Gepflogenheiten verstehen zu lernen; Aufnahme von Menschen aus verschiedenen Kulturen in soziale, polizeiliche und politische Aufgaben. Und so weiter.

Der innere Polizist

Gefragt sind mehr Welt- und weniger Selbsterfahrungskurse. Massnahmen, die Mut machen und nicht Angst herstellen. Eine Kultur des Vertrauens statt des Misstrauens. Liegt nicht im hierzulande verbreiteten Verhaltensrepertoire aus Weltbefremdung und Selbstgefälligkeit, im ignoranten Rückzug ins Private eine Gewaltprovokation? Sind videoüberwachte Plätze mitten in der beschaulichen Kleinstadt nicht Ausdruck einer grotesken Multiplikation von Angst? Kommt das «subjektive Gefühl von Unsicherheit», das so vielen Menschen schlaflose Nächte beschert, nicht auch von dieser permanenten Alarmbereitschaft? Bewegt sich ein Mensch freier über einen Platz, im Wissen darum, dass er gefilmt wird? Installiert sich dadurch in ihm nicht vielmehr ein innerer Polizist? Ist das die neue Lebensqualität? Meint der Slogan «Sicherheit für alle» vor allem Sicherheit für die, die etwas zu verlieren haben? Und wie sieht Sicherheit aus für die, die nichts zu verlieren haben? Alarmanlagen für alle? Indem sich die SP dem sicherheitspolitischen Mainstream fügt, fügt sie sich dem lebensphilosophischen.

Am Anfang aller Massnahmen steht das Wort. Fachhochschulisch abgesegnetes Sozialtechnikerdeutsch, in dem der Mensch zum Gegenstand wird. Natürlich wird nach der Feststellung, dass der Anteil der ausländischen Staatsangehörigen an der Gewaltkriminalität überdurchschnittlich hoch sei, relativiert: «Das hat aber nichts mit der Nationalität zu tun, sondern in erster Linie mit der sozialen Situation der ausländischen Täter.» Am verantwortungslosen Wiederkäuen solcher Begriffskonstruktionen ändert das nichts. Schon klatschen die bürgerlichen ZeitungskommentatorInnen. Die SP wird damit sicher ganz viele neue Stimmen gewinnen. Noch besteht die Möglichkeit zur Korrektur. Am 25. Oktober ist Parteitag.