Nestlé: Alles andere als nachhaltig

Wie der Nahrungsmittelkonzern in Kolumbien mit zweifelhaften Methoden seine Produktionskosten senkt.

Seit 1997 führt Nestlé drastische Kostensenkungsprogramme durch. Laut Pressesprecher François-Xavier Perroud sollen damit Milliarden von Franken eingespart werden: «Sämtliche Unternehmensbereiche sind betroffen.» Konkret bedeutet dies Fabrikschliessungen, Kündigungen von Gesamtarbeitsverträgen und neue, für die Angestellten schlechtere Arbeitsverträge.

Genau dies geschah vor zwei Wochen beim kolumbianischen Tochterunternehmen Cicolac in Valledupar. «Seit längerer Zeit hatten wir dort einen Arbeitskonflikt», erklärt Perroud. Die Arbeitskosten seien dort dreimal höher gewesen als bei der Konkurrenz (etwa der italienischen Parmalat).

«Es musste eine Lösung her, sonst hätten wir die Milchverarbeitungsfabrik geschlossen», so Perroud. Man habe den Konflikt mit der Nahrungsmittelgewerkschaft Sinaltrainal über ein Schiedsgerichtsverfahren lösen wollen. «Die Gewerkschaft hat sich aber mitten im Verfahren zurückgezogen. Schliesslich hat das oberste Gericht in Kolumbien im Sinn von Nestlé entschieden.»

Am 17. September hat Nestlé laut Perroud den 192 FabrikarbeiterInnen ein «attraktives Angebot» gemacht, das eine grosszügige Entschädigung beinhaltet – falls die Leute freiwillig kündigen. «181 Personen haben die Bedingungen akzeptiert und das Unternehmen bereits verlassen», sagt der Pressesprecher zufrieden. Die Höhe der Abfindungen wollte er nicht beziffern. Keine Änderungen gebe es bei der Geschäftsleitung.

Die kolumbianische Nahrungsmittelgewerkschaft Sinaltrainal und die nichtstaatliche Organisation Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien (ASK) erzählen eine andere Version der Geschichte: Während Nestlé an jenem Tag die Gewerkschaftsleitung zu einem Gespräch nach Bogotá bestellt habe, seien die FabrikarbeiterInnen regelrecht bedroht und zur Kündigung genötigt worden, ist einem Pressecommuniqué von Sinaltrainal zu entnehmen. Und die Regierung stehe nicht zuletzt deshalb auf der Seite von Nestlé, weil zwei ehemalige Kadermitglieder mittlerweile wichtigen Behörden vorstehen würden.

Stephan Suhner von der ASK hält die Geschichte von Sinaltrainal für glaubwürdig: «Wer kündigt schon freiwillig einen Arbeitsvertrag im Wissen, dass man nachher entweder arbeitslos ist oder zu einem tieferen Lohn arbeiten wird?»

Nachhaltigkeitsanalyst Matthias Fawer von der Bank Sarasin hat sich in der Schweiz mit dem Sinaltrainal-Gewerkschafter Ember Ortiz getroffen. «Ich bin sehr beunruhigt», kommentiert er die Ereignisse in Kolumbien.

Erst vor kurzem hat er Nestlé neu mit einem positiven Nachhaltigkeitsrating versehen. «Ich habe eine schriftliche Stellungnahme von Nestlé gefordert», so Fawer. Das Unternehmen habe ein Positionspapier angekündigt. Auch habe es eine bankinterne Diskussion gegeben. «Wir lassen die positive Gesamtbeurteilung vorerst unverändert», sagt Fawer. Allerdings habe er zwei Teilratings (MitarbeiterInnen und Öffentlichkeit) markant heruntergestuft.

Mittlerweile wird in Valledupar weitergearbeit, mit weniger, schlechter bezahlten und temporären Arbeitskräften. Darin stimmen die Aussagen von Nestlé und Sinaltrainal überein. Auch darin, dass es sich dabei um neue Arbeitskräfte handelt.

Laut Nestlé ist es eine Übergangslösung. Übergangslösung hin oder her: Mit der Aktion ist Nestlé die Gewerkschaft Sinaltrainal losgeworden und fast 200 FabrikarbeiterInnen, die laut Gewerkschaft zwölf Dollar am Tag verdienten. Die neuen Arbeitskräfte erhalten laut ASK nur noch vier Dollar am Tag. Und damit gleich viel wie bei der Konkurrenz. Alles legal und mit Unterstützung der Regierung.

Nestlé ist von der Richtigkeit seines Handelns überzeugt, andere sind es weniger. Verschiedene nationale und internationale Hilfswerke und Gewerkschaften haben sich mittlerweile mit einem Protestschreiben an Nestlé-Chef Peter Brabeck-Letmathe gewandt. Zudem trafen sich Stephan Suhner von der ASK und Ember Ortiz von Sinaltrainal mit VertreterInnen des Aussenministeriums und des Staatssekretariats für Wirtschaft zu einem Informationsaustausch. Der grösste Nahrungsmittelkonzern der Welt beschäftigt weltweit über 250 000 Menschen in über 500 Fabriken. Er erzielte 2002 einen Umsatz von neunzig Milliarden Franken und einen Gewinn von fast acht Milliarden Franken.

Nestlé hat sich Nachhaltigkeit zuoberst auf seine Fahne geschrieben. Sein oberster Unternehmensgrundsatz lautet: «Die geschäftlichen Ziele liegen in der Herstellung und Vermarktung von Produkten. Dies soll in einer Weise geschehen, dass für die AktionärInnen, MitarbeiterInnen, KonsumentInnen, GeschäftspartnerInnen und die grosse Zahl der nationalen Volkswirtschaften, in denen Nestlé tätig ist, ein nachhaltiger Wert geschaffen wird.» Und die ganz persönliche Definition von Nestlé-CEO Peter Brabeck-Letmathe lautet: «Nestlé verhält sich nachhaltig, wenn unsere Produkte auch von Ihren EnkelInnen gekauft werden.»