Genveränderte Pflanzen: Pollenflug aus der EU

Der Weizen-Freisetzungsversuch könnte sich als kleines Übel erweisen – im Vergleich zu dem, was noch kommt.

Die ETH will diesen Frühling auf ihrem Versuchsfeld in Lindau im Kanton Zürich genveränderten Weizen anpflanzen. Der Widerstand Gentech-kritischer Organisationen sowie benachbarter LandwirtInnen ist erfolglos geblieben. Doch schon droht grösseres Ungemach. «Der Lindauer Versuch ist schlecht, weil er ein Türöffner ist», sagt Amadeus Zschunke vom biologischen Pflanzenzuchtbetrieb Sativa, «aber für uns ist er keine wirkliche Bedrohung. Die Gefahr kommt aus der EU.»

1998 hat die EU ein Moratorium für die weitere Zulassung genveränderter Organismen (GVO) erlassen. Aber das Moratorium läuft aus, nationale Gesetze werden es ablösen. Britannien hat bereits diese Woche entschieden, den GVO-Anbau zuzulassen. In Deutschland ist das neue Gentech-Gesetz derzeit in Beratung, sodass GVO-Saaten spätestens ab 2005 ausgebracht werden können. Davor fürchten sich ZüchterInnen wie die Sativa im zürcherischen Grenzort Rhein-au und grenznahe LandwirtInnen. Ein beunruhigter Biobauer sagte der WOZ, er wisse nicht, worauf er sich einzustellen habe.

Anfrage beim Schweizerischen Bauernverband. Josef Wüest, der das Dossier Gentech betreut, seufzt: «Es ist so kompliziert, ich habe es aufgegeben, immer auf dem neuesten Stand sein zu wollen, welches Gesetz in welchem Nachbarland gerade wie geändert wird.» Verunsicherten Mitgliedern aus grenznahen Gebieten empfiehlt er die bewährte Methode: «Rede mitenand»: «Die Betroffenen sollen das Gespräch mit ihrem ausländischen Nachbarn suchen. Und wenn das nicht wirkt, sollen sie sich an den zuständigen Bauernverband wenden.»

Im Fall der Sativa ist das der Badische Landwirtschaftliche Hauptverband (BLHV). Wird die Bise demnächst Pollen genveränderter Pflanzen über den Rhein tragen? «Theoretisch ist das möglich», sagt BLHV-Sprecher Richard Bruskowski. «Wir raten unseren Mitgliedern aber vom Anbau von GVO ab, auch wenn sie das Saatgut vom Hersteller gratis erhalten.» Stattdessen empfiehlt der Verband, GVO-freie Zonen zu bilden. «Beim einzelnen Mitglied mögen ethische Bedenken im Vordergrund stehen. Für uns zählen andere Argumente: Erstens will der Markt keine GVO-Produkte. Und zweitens wird das neue Gesetz eine so strenge Haftpflicht vorsehen, dass das Risiko für den einzelnen Landwirt zu gross ist», sagt Bruskowski. Schweizer GrenzlandwirtInnen beruhigt er deshalb – auch wenn er nicht garantieren könne, dass alle Betriebe sich an die Empfehlungen hielten. Ausserdem sehe das Gesetz Mindestabstände vor, um Nachbarfelder vor Pollenflug zu schützen.

Das Zauberwort der Politik heisst «Koexistenz». «Das ist», sagt Zschunke von Sativa, «wie wenn ein Raucher und ein Nichtraucher im selben Zimmer ko-existieren sollen.» Erfahrungen in Kanada hätten gezeigt, dass Mindestabstände keine ausreichende Sicherheit böten. Um garantiert GVO-freie Sorten zu züchten, muss die Sativa heute schon neues Zuchtmaterial untersuchen lassen. Solche Abklärungen hätten dieses Jahr etwa 10 000 Franken gekostet – neue Kosten, die biologisches Saatgut verteuern. Die Sorge für die Zukunft: Die Zucht einer neuen Sorte dauert zehn, fünfzehn Jahre. «Wenn sich nach einigen Jahren eine genveränderte Pflanze einkreuzt, ist alle Arbeit futsch.»

«Verheerend» findet es Bernadette Oehen vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in Frick, dass die EU die Frage den Einzelstaaten zur Regelung überlassen will, weil sie sich nicht auf eine einheitliche Regelung habe einigen können. In der Frage der Haftung bedeutet dies: Die Haftpflicht macht an der Grenze halt.

Kann ein landwirtschaftlicher Betrieb in der Schweiz, der durch Pollenflug aus Deutschland geschädigt wird, nach deutschem Recht Schadenersatz verlangen? Das Bundesamt für Landwirtschaft bezeichnet den Fall als «sehr hypothetisch» und ist nicht in der Lage, Auskunft zu geben. Im deutschen Bundesministerium für Verbraucherschutz heisst es, die Frage sei nicht einmal EU-intern geklärt. «Ich weiss nicht, ob das überhaupt jemand im Blick hat», sagt eine Sprecherin des Ministeriums auf Anfrage.

Bernadette Oehen hat offensichtlich Recht, wenn sie sagt, das Thema sei bisher vernachlässigt worden.