Gentechnologie: Wer die Saat hat, macht den Preis

Nr. 11 –

Was passiert, wenn Gentechpflanzen im grossen Stil angebaut werden? Ein spanischer und ein kanadischer Bauer kamen in die Schweiz, um von ihren Erfahrungen zu berichten.


Es ist kalt und nass in Rheinau. Aber sogar bei grauem Wetter ist der Ort im Zürcher Weinland schön: die ehemalige Klosteranlage, die Kirche auf der Insel, der Rhein, der in einer weiten Schlaufe den Ort umfliesst. Das andere Ufer ist bewaldet und gehört zu Deutschland.

Auf dieser Seite des Rheins gibt es bisher keine Gentechnik in der Landwirtschaft. Das Moratorium, das im November 2005 an der Urne angenommen wurde, gilt noch bis Herbst 2010. Der Bundesrat, linke Parteien, Bauernverband und Umweltverbände wollen es bis 2013 verlängern. In Deutschland dagegen soll ab April «MON810» ausgesät werden dürfen, genmanipulierter Mais des Agrokonzerns Monsanto, sogenannter Bt-Mais, der ein Insektengift produziert (vgl. «Und sie ist doch schuld »).

Der Verein GenAu Rheinau engagiert sich grenzüberschreitend gegen Gentechnik – bereits haben sich alle LandwirtInnen im angrenzenden deutschen Kreis Waldshut verpflichtet, auf Gentechnik zu verzichten. Denn die Sativa Rheinau AG züchtet und vermehrt biologisches Saatgut. Da dürfen keine Gentechfelder in der Nähe sein. Sonst würde der Sativa womöglich das Gleiche passieren wie Juan Carlos Simón. Der 51-jährige Bauer aus der spanischen Region Aragón musste letztes Jahr feststellen, dass seine Biomaisernte mit Gentechmais verunreinigt war.

Konfusion auf dem Feld

Greenpeace hat Simón in die Schweiz eingeladen, damit er hier von seinen Erfahrungen erzählen kann. Heute steht ein Ausflug nach Rheinau auf dem Programm. Denn auch Simón beschäftigt sich mit Züchtung. Jahre hat er investiert, um eine eigene Maissorte zu entwickeln – jetzt ist sie kontaminiert. Laut Greenpeace wächst auf einem Fünftel der spanischen Maisfelder Gentechmais, in Aragón ist der Anteil viel höher. Über die genauen Zahlen herrsche Konfusion, sagt Simón: «In meinem Dorf weiss niemand mehr, was auf den Maisfeldern gentechnologisch verändert ist und was nicht.» Viele Biobauern hörten auf, Mais anzubauen, weil sie Angst vor Verunreinigungen hätten.

In der EU ist immerhin erst eine gentechnisch veränderte Nutzpflanze zugelassen. In Kanada hingegen werden neben Mais auch Gentechraps, -soja und -zuckerrüben angebaut. «Gentechweizen und Gentechflachs wollten sie auch noch einführen – aber da haben wir uns rechtzeitig gewehrt», sagt Terry Boehm, der zweite Gast von Greenpeace. Der Fünfzigjährige ist Vizepräsident der kanadischen National Farmers Union und bewirtschaftet eine Farm, die mit 1600 Hektaren fast hundertmal grösser ist als ein Schweizer Durchschnittsbetrieb.

Amadeus Zschunke, Geschäftsführer der Sativa Rheinau, zeigt den Gästen die Saatgutreinigung, die Sortieranlagen und den Verpackungsbetrieb. Dort werden Hunderte von verschiedenen Samensorten abgepackt und verschickt – in Papiersäcke für Bäuerinnen, in kleine Briefchen für Hobbygärtner. Beim Blättern im Sativa-Katalog kommen GärtnerInnen ins Schwärmen: Pro-Specie-Rara-Gemüse wie Haferwurzel und Wädenswiler Weisskohl, fünfzig verschiedene Tomatensorten, Mais und Getreide und Blumen ... Bald sind Zschunke und die Gäste in Diskussionen vertieft.

«Ich bin der Letzte in Kanada, der gentechfreien Raps anbaut – weil nur noch ich gentechfreies Saatgut an Lager habe», erzählt Terry Boehm. Am Anfang waren das Gentechsaatgut und das passende Unkrautvertilgungsmittel billig in Kanada. «Dann haben die Agrokonzerne angefangen, kleine Züchterfirmen aufzukaufen und stillzulegen – bis fast nur noch genmanipuliertes Rapssaatgut erhältlich war. Und dann erhöhten sie die Preise. Heute ist das Saatgut fünf- bis sechsmal teurer als früher.» Auch Boehms gentechfreier Raps landet im Gentechtopf, denn es gibt gar keinen anderen Vertriebskanal mehr. «Dabei ist der internationale Markt für Gentechraps schlecht. Aber wir haben keine Wahl mehr.»

Schnüffler im Acker

«Wer Gentechraps anbaut, muss vertraglich versprechen, kein Saatgut an Dritte weiterzugeben und nicht mit Journalisten zu sprechen. Und muss akzeptieren, dass die Saatgutfirma auf den Feldern herumschnüffelt», so Boehm. «Die kanadische Landwirtschaft ist seit zwanzig Jahren in der Krise. Die meisten Farmer kommen nur noch über die Runden, weil die Maschinen- und Saatgutfirmen ihnen Kredit geben. Sie sind gefangen in diesem System.»

Gentechnik sei nur ein weiteres Mittel, um BäuerInnen abhängig zu machen. Das Problem habe schon vorher begonnen: mit den Hybridsorten. Hybridsorten sind Hochleistungssorten, die nicht stabil sind. Die Mutterpflanze vererbt ihre guten Eigenschaften nicht an die nächste Generation. Eine sichere Garantie für die Saatgutfirmen, dass die Bäuerin nicht selber Saatgut von der letzten Ernte aufbewahrt, sondern neues kauft.

Friedemann Ebner, Züchter der Sativa Rheinau, stimmt Boehm zu: «Die Entwicklung der Agrogentechnik wurde zur Hälfte mit Einnahmen aus dem Hybridmaisgeschäft finanziert.» Den BäuerInnen vermehrungsfähiges Saatgut zu liefern, ist ein Anliegen der Sativa-MitarbeiterInnen. Darum konzentrieren sie sich bei der Züchtung auf Sorten, von denen nur noch Hybride auf dem Markt sind. «Wir haben mit Süssmais angefangen», sagt Ebner. «Fast auf der ganzen Welt werden nur noch US-Hybridsorten angebaut, auch Bioproduzenten haben keine Alternative.» Er weist auf eine Dose Coop-Biosüssmais aus Ungarn. «Fast das gesamte Saatgut stammt aus einem Tal in Idaho, wo das Klima besonders geeignet ist. Wenn dort einmal gentechnische Verunreinigungen auftreten, haben wir sie sofort weltweit.»

2004 begann die Sativa, Süssmais-Hybridsorten weiterzuzüchten. Mit Erfolg, sagt Friedemann Ebner: «In wenigen Jahren haben wir eine Sorte hingekriegt, die fast neunzig Prozent des Hybridertrages erreicht – aber anders als Hybridmais wieder ausgesät werden kann.» Die «Dehybridisierung» ist also möglich. Juan Carlos Simón will seine Zuchtversuche noch nicht aufgeben. Leute aus seinem Dorf unterstützen ihn. Sie bauen in der Region eine neue Saatgutbank auf. Auch in Kanada gibt es Lichtblicke: «Junge Leute beginnen am Rand der Städte Gemüse anzubauen und Saatgut auszutauschen», erzählt Terry Boehm. «Das gibt mir Hoffnung. Es gibt keine Ernährungssouveränität ohne Saatgutsouveränität.»

Zum Abschied überreicht der Züchter Friedemann Ebner dem Bauern Juan Carlos Simón einen Sack «dehybridisiertes» Maissaatgut. Simón hat ein Feld, auf dem er noch nie Mais angebaut hat. Dort will er es noch einmal versuchen.

www.sativa-rheinau.ch

www.gen-au-rheinau.ch