Schweizer Hilfe in Palästina: NGOs zählen mit der NZZ

Nr. 40 –

Mehrere Vorstösse stellen das Engagement der Schweiz im Nahostkonflikt infrage – mit teilweise falschen Zahlen aus der NZZ.

Das Verhältnis der Schweiz zu Palästina und Israel beschäftigt ParlamentarierInnen aller Bundesratsparteien. Gleich sieben Vorstösse sind in der aktuellen Session des National- und Ständerats dazu eingereicht worden. Bei allen geht es um die Frage, welche nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) dort vom Aussendepartement (EDA) finanziell unterstützt werden und weshalb. Auffallend an der Eingabeflut ist die Rolle der «Neuen Zürcher Zeitung». Mehrere der Vorstösse beziehen sich explizit auf Artikel eines NZZ-Redaktors, der die angebliche Parteinahme der Schweiz für Palästina kritisiert.

Gleich drei Falschaussagen

FDP-Nationalrat Hans-Ulrich Bigler verlangt einen Tätigkeitsbericht über die vom EDA unterstützten palästinensischen und israelischen NGOs. SVP-Nationalrat Maximilian Reimann stört, dass drei Organisationen auf der EDA-Empfängerliste eingeschwärzt sind. Wenn der Bundesrat nicht offenlege, an welche NGOs die Subventionen gingen, müsse man annehmen, dass deren Tätigkeit «zum Himmel stinke». Corina Eichenberger-Walther, FDP-Nationalrätin und Zentralpräsidentin der Gesellschaft Schweiz-Israel, fordert mehr Transparenz bei der Finanzierung des Uno-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA). Insbesondere seien Vorwürfe des Antisemitismus innerhalb der UNRWA abzuklären. SP-Ständerat Daniel Jositsch will wissen, weshalb sich die Schweiz ausgerechnet für palästinensische NGOs derart stark engagiere. Und SVP-Nationalrat Erich von Siebenthal verlangt die Überprüfung palästinensischer NGOs auf deren tatsächliche Wirkung. Damit wolle er Bundesrat Ignazio Cassis «Unterstützung leisten», sagt er auf Anfrage.

Sowohl Reimann als auch Bigler und Jositsch berufen sich ausdrücklich auf Zahlen, die aus einem NZZ-Artikel von Marcel Gyr stammen. Dieser hatte am 2. Juli behauptet, dass über 70 palästinensische NGOs und Einzelprojekte vom EDA finanziell unterstützt würden. Gyrs Quelle waren dabei zwei Listen des EDA, auf denen alle Fördergelder an israelische und palästinensische Organisationen aufgeführt sind.

Ein von der Schweizerischen Friedensstiftung (Swisspeace) erstellter Faktencheck widerlegt Gyr allerdings auf der ganzen Linie. Denn tatsächlich unterstützt die Schweiz 25 israelische und 33 palästinensische NGOs. Weiter zählt Gyr fünf Organisationen doppelt und rechnet sechs internationale NGOs – wie beispielsweise den Norwegian Refugee Council – als palästinensische Organisationen. Somit vermittelt er das Bild einer allzu palästinafreundlichen Schweizer Regierung.

Marcel Gyr sagt, dass er die Formulierung «70 palästinensische NGO» in einem darauffolgenden Artikel am 17. September so nicht mehr wiederholt habe. Tatsächlich steht in dem Text: «Im Fall von Palästina sind die Zahlen bekannt: Insgesamt mehr als 70 Positionen umfasst die Liste mit Organisationen und Projekten, die von Bern mitfinanziert werden.»

Im selben Artikel schrieb Gyr: «Die neutrale Schweiz unterstützt vor allem palästinensische NGO, die Israels Politik kritisieren.» Doch auch das ist laut Swisspeace-Mitarbeiter Roland Dittli falsch: «Die Listen enthalten einige der grössten palästinensischen Menschenrechtsorganisationen, die für Kritik an der Autonomiebehörde in der Westbank sowie der De-facto-Regierung der Hamas in Gaza bekannt sind.» Er stehe weiterhin zu dieser Aussage, entgegnet Gyr: «Die Organisationen sind weitestgehend kritisch gegenüber der israelischen Regierung, kaum aber bezüglich der innerpalästinensischen Menschenrechts- oder Demokratiedefizite.» Dabei handelt es sich um NGOs wie etwa die Independent Commission of Human Rights. Diese kritisiert den fehlenden Willen beider Parteien, den innerpalästinensischen Konflikt beizulegen, und macht auf Menschenrechtsverletzungen innerhalb der Autonomiegebiete aufmerksam.

Neuer Wind im Aussendepartement

Da die Listen des EDA öffentlich zugänglich sind, sind die Zahlen und Aussagen der NZZ für alle nachprüfbar. So auch die Aussage Gyrs, «dass einzelne palästinensische NGO zum Teil doppelt oder dreifach aus der Schweiz alimentiert werden». Roland Dittli stellt richtig: «Die einzige palästinensische NGO, die 2017 sowohl vom EDA als auch vom Schweizer Vertretungsbüro in Ramallah unterstützt wurde, ist die Organisation Nawa for Culture and Arts Association, mit insgesamt 56 700 Franken.» Diese ermöglicht Kindern im Gazastreifen Zugang zu musischen Aktivitäten.

Kritik an der Nahostpolitik des Bundesrats ist derzeit populär. Sowohl CVP-Präsident Gerhard Pfister als auch SVP-Nationalrat Christian Imark hinterfragen in zwei weiteren Vorstössen die Wirkung der sogenannten Genfer Initiative. Diese wurde während der zweiten Intifada von 2000 bis 2005 von der damaligen Aussenministerin Micheline Calmy-Rey ins Leben gerufen und setzt sich für eine Zweistaatenlösung ein. Während Pfister lediglich fordert, die Beiträge des Bundes an die Genfer Initiative zu überprüfen, verlangt Imark gleich deren «Beerdigung». Imark rechnet sich gute Chancen aus, denn die Initiative sei in Vergessenheit geraten und wirkungslos. «Die Motion wird im EDA offene Türen einrennen», sagt er.

Tatsächlich scheint mit Ignazio Cassis als Aussenminister die Nahostpolitik der Schweiz eine neue Richtung einzuschlagen. Bereits im Mai kritisierte der FDP-Bundesrat die schweizerische Unterstützung für die UNRWA: «Indem wir die UNRWA unterstützen, halten wir den Konflikt am Leben», sagte er in einem Interview mit der Zeitung «Nordwestschweiz». Daraufhin wurde er von Bundespräsident Alain Berset daran erinnert, dass die offizielle Schweiz sich stets hinter das Hilfswerk gestellt habe und dies auch weiterhin tun werde. Davon offenbar unbeeindruckt, insistierte Cassis in einem Gespräch mit dem Westschweizer Radio RTS, dass seine Aussagen lediglich eine Debatte über die Schweizer Position in der UNRWA anzetteln sollten.