Nahostkonflikt: Kein Mehl, kein Salz, keine Medikamente

Nr. 38 –

Die Budgetkürzungen innerhalb des Uno-Hilfswerks für Palästinaflüchtlinge (UNRWA) haben schlimme Folgen für die BeduinInnen in Hebron. Ein Bewohner des Dorfs Umm al-Khair erzählt.

Seit zwei Wochen sind keine Hilfsleistungen im Beduinendorf Umm al-Khair in den Anhöhen südlich von Hebron mehr eingetroffen. Bereits auf Ende August wurde der Betrieb der mobilen Kliniken eingestellt, die von Ort zu Ort fahren und ärztliche Untersuchungen durchführen. Auch die Lieferung von Mehl, Öl, Zucker und Salz wurde laut Bewohner Asis Hathalin gestoppt. «Vor zwei Monaten kamen Mitarbeiter des UNRWA und erklärten uns, dass kein Geld mehr da sei», sagt Hathalin am Telefon. Zuvor hatte das Hilfswerk die rund 150 EinwohnerInnen mit Lebensmitteln und Bargeldzahlungen unterstützt. Einmal die Woche gab es eine ärztliche Visite, von der hauptsächlich Kleinkinder und ältere Menschen profitierten. Die UNRWA habe Medikamente ausserdem kostenlos abgegeben und im Fall von Operationen 75 Prozent der Behandlungskosten übernommen, erzählt Asis Hathalin.

Die USA verkündete Ende August, ihre Zahlungen an das UNRWA komplett einzustellen. Der «endlose» Anstieg der Fürsorgeberechtigten halte den Israel-Palästina-Konflikt künstlich am Leben, sagte Nikki Haley, US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen; damit kritisierte Haley die Ausweitung des Flüchtlingsstatus auch auf die vierte und fünfte Generation von PalästinenserInnen. Diese ist auch FDP-Bundesrat Ignazio Cassis ein Dorn im Auge: Nach einem Besuch in Jordanien im Mai bezeichnete er deswegen das Hilfswerk als «Teil des Flüchtlingsproblems», dessen «perverse Logik» perpetuiere den Konflikt und verhindere die Integration von PalästinenserInnen im Libanon und in Jordanien – dabei könnte man ja auch meinen, dass vor allem die militärische Besetzung der palästinensischen Gebiete die Lösung des Konflikts verhindere.

Auswirkungen über Palästina hinaus

Klar ist jedenfalls: Das Ausscheiden der USA aus dem Kreis der UNRWA-Geldgeber hat Folgen für PalästinenserInnen im Westjordanland und in Gaza sowie die Menschen in den Flüchtlingslagern in Jordanien, im Libanon und in Syrien. Laut Pressesprecher Christopher Gunness betreffen die Kürzungen in Gaza und dem Westjordanland vornehmlich die medizinische Versorgung und die Vergabe von Grundnahrungsmitteln, in den Flüchtlingslagern ausserhalb die Bargeldzahlungen.

Ins Spital kommt man nur im Auto

Die Dörfer in der Region rund um Südhebron, in der viele BeduinInnen leben, befinden sich in sogenanntem C-Gebiet, also unter kompletter israelischer Verwaltung. Die völkerrechtlich illegale israelische Siedlung Karmel befindet sich wenige Meter von Umm al-Khair entfernt. Das israelische Militär demoliert immer wieder Häuser in Umm al-Khair mit dem Ziel, die Siedlung zu vergrössern.

Laut Hamed Qawasmeh von der Organisation Hebron International Resource Network, die vor Ort ebenfalls Nothilfe leistet, reichen die Konsequenzen über das Sistieren der Hilfeleistungen hinaus: «Das nächstgelegene Krankenhaus ist bloss mit dem Auto zu erreichen, und diejenigen, die eines besitzen, haben oft keine ordentlichen Fahrzeugpapiere. Sie laufen daher Gefahr, von der israelischen Polizei verhaftet zu werden.»

Die Ungewissheit, wann und ob überhaupt die nächste Hilfeleistung eintrifft, ist laut Asis Hathalin nur schwer zu ertragen. Er und seine Familie stehen jedoch in Kontakt mit den MitarbeiterInnen des UNRWA und hoffen, dass die Unterstützung nicht komplett eingestellt wird. Sollte das doch geschehen, wäre es nicht das erste Mal: Die psychologische Betreuung der BewohnerInnen fiel bereits vor einem Jahr den Budgetkürzungen zum Opfer. Die AnwohnerInnen werden seit zwei Jahren auch nicht mehr bei der Arbeitssuche unterstützt, wovon hauptsächlich Jugendliche betroffen sind.

Auf die Kritik der USA, dass das UNRWA den Flüchtlingsstatus exponentiell ausweite, nur um sich selbst als Organisation am Leben zu halten, erwidert Gunness: «Der Konflikt hält den Konflikt am Leben und sicher nicht das UNRWA.» Das Mandat werde fortgeführt, bis ein Friedensabkommen gefunden sei, das das Recht der palästinensischen Flüchtlinge auf Rückkehr garantiere.

Nachtrag vom 18. Oktober 2018: Das Ende der «Flüchtlingslüge»

Nir Barkat, Bürgermeister von Jerusalem, hat angekündigt, dass er die Aktivitäten des Uno-Hilfswerks für Palästinaflüchtlinge (UNRWA) in Ostjerusalem einstellen will – davon wären rund 100 000 Personen betroffen. Die geplanten Schliessungen betreffen vom UNRWA betriebene Kliniken, Fürsorgeorganisationen sowie fünf Schulen. Letztere will der Bürgermeister noch bis Ende des laufenden Schuljahres dichtmachen und die Gebäude in den Besitz der Stadt bringen. Barkat plant, die rund 1800 palästinensischen SchülerInnen ins israelische Schulsystem zu integrieren. «Wir bieten Dienstleistungen für alle Bewohner gleichermassen – in unserer Stadt gibt es keine Flüchtlinge», begründete Barkat den Schritt.

Bis anhin hat die Stadtverwaltung Ostjerusalem grösstenteils sich selbst überlassen. Prinzipiell wäre es also zu begrüssen, wenn sie tatsächlich die Verantwortung für die rund 340 000 PalästinenserInnen in Ostjerusalem übernähme – aus palästinensischer Sicht zählen dazu nämlich auch die BewohnerInnen des angrenzenden Flüchtlingscamps Schuafat. Denn dann könnten diese ebenfalls von der staatlichen Unterstützung profitieren. Jedoch befürchten viele PalästinenserInnen, dass die Massnahmen allein darauf abzielen, die BewohnerInnen von Ostjerusalem zu «israelisieren». Die Tatsache, dass der Bürgermeister Schuafat nicht als Teil von Israel anerkennt, spricht für diese Befürchtung.

Barkats Plan dient laut eigener Aussage dazu, endlich mit der von der UNRWA perpetuierten «Flüchtlingslüge» aufzuräumen. Das Hilfswerk fordert, dass die im Krieg von 1948 vertriebenen PalästinenserInnen im Fall eines Friedensschlusses ins heutige Staatsgebiet von Israel zurückkehren können. Die USA hatten im August verkündet, ihre Unterstützung für das UNRWA gänzlich zu sistieren. Dadurch sollte die palästinensische Führung gezwungen werden, ihre Forderung nach einer Rückkehr der Flüchtlinge fallen zu lassen. Barkat sah in dieser Entscheidung eine Chance, wie er selbst sagte, die Organisation gänzlich aus Jerusalem zu verbannen.
Julia Wartmann