Minenkatastrophe in Brasilien: Schon wieder

Nr. 5 –

War es Behördenversagen, Korruption, Schlamperei? Fest steht, dass der Dammbruch von Brumadinho ein Unglück mit Ankündigung war. Denn das verantwortliche Unternehmen, das auch Niederlassungen in der Schweiz hat, stand schon seit Jahren in der Kritik.

In einer Mine des Konzerns Vale, in der Nähe des Örtchens Brumadinho im Bundesstaat Minas Gerais, ist am Freitag ein Becken mit Rückständen aus dem Eisenerzabbau geborsten. Es war 86 Meter hoch und fasste rund zwölf Millionen Kubikmeter Schlacke, die nach ihrem Austritt weitere Rückhaltebecken der Mine Córrego de Feijão zum Kollaps brachten.

Auf ihrem Weg zerstörte die Schlammlawine die Verwaltungsgebäude des Vale-Konzerns, wo ein Grossteil der Angestellten gerade in der Kantine sass. Sie riss Betonpfeiler einer Eisenbahntrasse fort, überflutete Wohnhäuser und begrub besetzte Busse unter sich. Dann ergoss sie sich in den Fluss Paraopeba, dessen Ufer verwüstet wurden. An einigen Stellen türmt sich der rotbraune Schlamm fünfzehn Meter hoch.

Es ist die wohl folgenschwerste Katastrophe der jüngeren Geschichte Brasiliens. Rechnet man die Zahl der noch immer vermissten Personen zu den geborgenen Leichen, so dürften rund 360 Menschen in den Schlammmassen umgekommen sein. Nichts hatte sie vor der Schlackewalze gewarnt. Die Notfallsirenen blieben stumm.

Parallelen zu Mariana

In Brasilien ist man geschockt, wütend und perplex darüber, dass ein solches Unglück erneut passieren konnte. Schon Ende 2015 hatte der Bruch eines Staubeckens in Mariana, ebenfalls in Minas Gerais, eine Katastrophe ausgelöst, die als bislang grösstes Umweltdesaster Brasiliens gilt. Auch damals war Vale als Mitbesitzerin der Firma Samarco massgeblich involviert.

Neunzehn Menschen kamen in Mariana ums Leben, und der Fluss Rio Doce wurde verseucht. Tonnen von Fischen verendeten, die Trinkwasserversorgung von Millionen Menschen war gefährdet. Verantwortlich für den Bruch des Damms war mutmasslich eine Überfüllung aus Profitgründen: Je mehr Eisenerz abgebaut wird, desto mehr Schlacke fällt an – für die aber nicht immer Platz vorhanden ist. Also füllte Vale die Becken einfach immer weiter auf. Dafür hatte der Konzern die Genehmigung von staatlichen Stellen erhalten, die entweder schlampig arbeiteten oder korrupt waren.

Nach der Katastrophe von Mariana versprach Vale, dass sämtliche Minen überprüft und strengere Sicherheitsstandards eingeführt würden. CEO Fabio Schvartsman, der vor zwei Jahren seine Position antrat, rief das Motto aus: «Nie wieder Mariana!» Heute ist klar: Es war bloss ein Marketingspruch. Denn Vale setzte seine dubiosen Praktiken fort.

«Verantwortung» scheint für den Konzern ein leerer Begriff zu sein. Das wird schon daran deutlich, dass Samarco – neben Vale gehört die Firma dem anglo-australischen Minengiganten BHP Billiton – bis heute keinen Centavo der umgerechnet 93 Millionen Franken Strafe an die Umweltbehörde Ibama bezahlt hat. Ebenso tut der Konzern alles, um einer Verurteilung und Schadenersatzzahlungen an die Opfer zu entgehen. Seine Anwälte verschleppen den Prozess und bremsen die ohnehin schon langsame brasilianische Justiz weiter aus. So kommt es, dass drei Jahre nach dem Unglück noch kein einziger der Verantwortlichen verurteilt worden ist. Die Opfer von Mariana warten bis heute auf eine Entschädigung und neue Häuser.

Das alles spricht nicht dafür, dass Vale seine soziale Verantwortung anerkennt – genauso wenig wie die Tatsache, dass die Tochterfirma Vale International seit 2006 in Saint-Prex im Kanton Waadt ansässig ist, um von hiesigen Steuerprivilegien zu profitieren.

Streit um die Ausweitung

Der brasilianische Anwalt Diego Pereira, der ein Buch über Mariana geschrieben hat, sagt: «Wir haben nicht gelernt, grosse Unternehmen zu bestrafen; wir haben nicht gelernt, staatliche Behörden zur Verantwortung zu ziehen; wir haben nicht gelernt, Rechte einzufordern.» So ist zu vermuten, dass die Straflosigkeit im Fall Mariana letztlich die Katastrophe von Brumadinho begünstigt hat. «Es war logisch, dass wieder ein Desaster passieren würde», liess der Leiter des Anwaltsteams, das Mariana untersuchte, mittlerweile verlauten. Nichts sei gelernt worden, und nichts sei geschehen.

Die genauen Ursachen der Katastrophe von Brumadinho sind noch ungeklärt. Fakt ist aber, dass UmweltschützerInnen schon 2011 vor dem Bruch eines Rückhaltebeckens warnten. Dennoch genehmigten die Behörden von Minas Gerais im Dezember 2018 die Ausweitung der Mine. In den entsprechenden Sitzungen kam es zu heftigen Streits, wie Sitzungsprotokolle belegen: Demnach hat Vale auf eine Erweiterung gedrängt, obwohl der Vertreter der Umweltbehörde Ibama nachdrücklich vor einem Dammbruch warnte.

Nun unternimmt Vale erneut viel, um die Schuld für das Unglück von Brumadinho von sich zu weisen. Das Unternehmen zeigt etwa auf den deutschen Zertifizierer Tüv Süd, der den am Freitag geborstenen Staudamm noch im Juni und im September 2018 als sicher einstufte. Tüv Süd mit Hauptsitz in München beschäftigt in Brasilien 500 Angestellte, seine beiden für die Mine von Brumadinho verantwortlichen Ingenieure wurden mittlerweile festgenommen. Die Frage steht im Raum, ob sie kriminell nachlässig handelten oder ob Vale Druck auf sie ausübte.

Verstärkte Kritik gibt es nun auch an Brasiliens neuem Präsidenten Jair Bolsonaro, der vor dem Unglück angekündigt hatte, Umweltauflagen zu senken und Ibama zu entmachten, weil diese dem wirtschaftlichen Fortschritt im Weg stehe. Vale, das grösste Bergbauunternehmen Lateinamerikas, begrüsste Bolsonaros Ankündigungen: Es riet seinen Angestellten, für den Rechtsextremen zu stimmen.