James Blake: Schön für dich

Nr. 6 –

Auf seinem neuen Album «Assume Form» besingt James Blake sein Liebesglück. Er wirkt dabei so selbstbezogen wie nie zuvor.

«Ich dachte, ich sei tot besser dran, aber ich lag falsch»: James Blake huldigt in einem Song seiner Partnerin Jameela Jamil. Foto: Amanda Charchian

Ist das Popgenie James Blake ein neuer Mensch geworden? Oder ist sein neues Album «Assume Form» vielmehr ein fünfzigminütiger Versuch, die seelische Transformation herbeizusingen? Im Gegensatz zu seinen verstrickten Texturen aus Synthesizern, Klavier, R-’n’-B-Einflüssen, Samples und virtuosen Melodien waren Blakes Lyrics noch nie besonders subtil. Auch diesmal sagt er uns direkt ins Gesicht, wie es ihm geht: Er ist verliebt und glücklich. Weil er endlich beziehungsfähig geworden ist. So glücklich, dass er es fast nicht wahrhaben kann.

Autosuggestion schwingt in den simpler gewordenen Melodien, aber besonders in den Texten mit. Blake eröffnet das Album mit dem Vorsatz, endlich eine menschliche Gestalt anzunehmen, ein körperliches Wesen zu werden, das für ein Gegenüber erreichbar geworden ist: «I will be touchable», endlich kannst du mich berühren. Solche Sätze klingen eher wie Mantras als wie Gewissheiten. In «Can’t Believe the Way We Flow» scheint Blake sich dann trotzdem selbst aus dem Äther zu beobachten. In dieser Hymne auf das mondäne Alltagsglück zu zweit wird man das Gefühl nicht los, dass er mit einer Drohne dieses Paar verfolgt, das gut essen geht, im Club eng umschlungen tanzt, zu Hause Serien schaut und perfekt Liebe macht. Aber er «flowt», und alleine definitiv besser als in den Kollaborationen des Albums.

Leider angenehm

Eigentlich hatte er dieses neue Leben nicht geplant. Er habe hier nicht lange verweilen wollen, singt er in «Tell Them», einer Zusammenarbeit mit dem Produzenten Metro Boomin und dem Singer-Songwriter Moses Sumney: Wie eine Backstreet-Boys-Reminiszenz mit Falsettgesängen, auch Violinen jaulen mit. Trap Drums und die trockenen Flamencoklatscher hieven das Ganze in eine schmalzige Popgegenwart. Als wären sie an einer ihrer nicht würdigen Party gelandet. Aber irgendetwas finden sie daran leider ziemlich angenehm, und sie können sich nicht losreissen. So kann es einem auch mit diesem Album gehen.

Die echte Flaute liegt allerdings woanders: Zu offensichtlich lukrative Feature-Politik steckt hinter dem Song «Mile High» mit dem Rapper Travis Scott. Da haben die beiden kurz noch einen Cloudrap gedropt, diese sphärische, melancholisch gedämpfte Spielart des Hip-Hop. Im Tiefdruckgebiet schweben die beiden ohne Kraftanstrengung in das Heilige Land, das klischeehafterweise danach klingt, als wäre es Venice Beach, Los Angeles, zur blauen Stunde, und zwar mit fast schon abgedroschen wirkendem Autotune auf der Stimme – eigentlich eine Spezialität Blakes, der seine Spuren längst auch als erfolgreicher Produzent von Grössen wie Kendrick Lamar oder Beyoncé hinterlassen hat.

Dabei war es der junge James Blake, der schon zu Beginn seiner Karriere wie fast kein anderer etwas davon verstand, was wirklich fliessende Amalgame aus Pop und Rap sein können. «Life Round Here» mit Chance the Rapper war eine solche Glanznummer. Lange vor Cloudrap brachte Blake die melodiöse Schwermut in den Hip-Hop. Der Track war ein Baby des digitalen Zeitalters, das zugleich eine vormoderne Wärme mit dem für Blake typischen Minnesang ausstrahlt.

Monumental affirmativ

Weil die Liebe 2019 nicht mehr unerfüllt oder unglücklich ist, versucht Blake sich nun im optimistischen Tonfall. Mit dem Track «Power On» kommt er nahe an die Grenze peinlicher Überaffirmation, aber irgendwie wünscht man dem von Depressionen gezeichneten Londoner, dass diese neu geschöpfte Energie aus seiner Beziehung zur Schauspielerin Jameela Jamil wirklich so tief schürft, wie er ihr huldigt. «Ich dachte, ich sei tot besser dran, aber ich lag falsch», beginnt er dieses Lied für sie, die ihm gezeigt habe, was es heisse, ein Zuhause zu haben in der Koexistenz. Als müsste er ein Monument für diese Erfahrung meisseln, verpackt er die unverblümten Lyrics in eine repetitive Melodie und Akkordkaskaden ganz in Dur und unterlegt sie mit unaufdringlichen Beats. Die Ehrlichkeit wirkt, die simple Komposition trägt. Hier beginnt man, Blakes Glauben zu glauben.

Rundherum rechnet er derweil mit sich selbst und seinem egozentrischen Weltbild ab, das er bisher aufrechterhalten hat. Das tut er mit fast zu vielen unterschiedlichen musikalischen Versatzstücken und Ideen. Ironischerweise ist dieses Album über sein Beziehungsglück wohl das selbstbezogenste von allen, das Wort «ich» kommt inflationär oft vor. So in «Don’t Miss It», das sein Kompositionstalent hervorkehrt: Die fast unmerklichen Sprünge in der rauschenden Textur, Spiegelungen der Lyrics in den Klaviersequenzen, eine Stimme, die zwischen Mensch und Maschine morpht, und schnell phrasierte, getunte Worte, die manchmal fast in einen Rap übergehen, geben der süsslichen Ballade das blakesche Etwas.

Einen Fang hat er zumindest im Feature mit Ex-OutKast-Rapper André 3000 gemacht. André legt in «Where’s the Catch?» verspielt los, reimt doppelbödig über seine eigenen vergangenen Depressionen. Den endlosen Chorus über sein rosa Leben zerschnippelt Blake, weil – so ganz glatt kann es dann doch nicht sein. Er sucht unablässig nach dem Haken: «There must be a catch.» Vielleicht ja nicht. Die Liebe mag einfach da sein und gut sein, und wir bezeugen gern sein Glück. Dafür hat Blakes frühere befreiende Virtuosität den Fisch gemacht.

James Blake: Assume Form. Polydor. 2019