EU-Rahmenabkommen: Die verstellte Debatte

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Nach diversen Interviews, Ansagen und Stellungnahmen, die das Rahmenabkommen mit der EU gepriesen hatten, war es am Wochenende so weit: Die FDP bekannte sich zum umstrittenen Vertrag, als bisher einzige Regierungspartei. Wohl nicht zuletzt, weil die «klimapolitische Wende» von FDP-Chefin Petra Gössi nirgendwo richtig glaubhaft ankam, hat die Partei schnell wieder ein anderes Wahlkampfthema gesucht. Aus einem «Ja, aber» war praktisch über Nacht ein «Ja aus Vernunft» geworden.

Nach einer für sie ungünstigen Wahlumfrage ist auch ein Teil der SP nervös geworden und findet am Rahmenabkommen vorsichtig Gefallen. Die frühere Nationalrätin Chantal Galladé hat nun sogar zur GLP gewechselt – auch wegen der Europapolitik ihrer Partei, wie sie sagt. Was in diesem opportunistischen Unbehagen untergeht: dass die SP gerade in ihrer Kritik am Rahmenvertrag eine proeuropäische Partei ist. Der Kampf um einen starken Lohnschutz und damit für ein sozialeres Europa wird auch in der Schweiz entschieden. Die SP hat es bloss versäumt, das deutlich zu machen.

Die Situation in die Sackgasse manövriert hatten aber ohnehin jene, die jetzt das Ergebnis hochjubeln: FDP-Aussenminister Ignazio Cassis und sein Chefdiplomat, als sie bei den Verhandlungen mit der EU den Lohnschutz zur Disposition stellten. Dass sie sich nun hinter den Forderungen der Gegenseite verstecken, ist nichts als scheinheilig. Nicht nur die EU stellt den Marktzugang über die ArbeiterInnenrechte, gleich tun es ihr auch manche Bürgerliche in der Schweiz. Wie sagt Cassis doch immer: «Aussenpolitik ist Innenpolitik.»

Wie verstellt die Debatte ist, zeigt sich auch am Zwist um die sogenannte Unionsbürgerrichtlinie. Zwar wird sie im Rahmenvertrag mit keinem Wort erwähnt, aber eben auch nicht explizit ausgeschlossen. Weil jedoch die EU ihre Einführung seit Jahren fordert, befürchten viele eine Annahme durch die Hintertür. Um hier einmal ein Tabu zu brechen: Die Richtlinie ist eine fortschrittliche Sache. Die Übernahme von EU-Verordnungen würde den 1,4 Millionen UnionsbürgerInnen in der Schweiz deutlich mehr Rechte bringen. Statt wie heute nach zehn bekämen sie nach fünf Jahren ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht, und im Bedarfsfall hätten sie einen einfacheren Zugang zur Sozialhilfe. Zudem würden die Hürden für eine Ausweisung steigen.

Warum die SVP die Richtlinie vehement bekämpft, ist klar: Sie sieht die Ziele ihrer Ausschaffungsinitiative in Gefahr. Auch die Kampagne der bürgerlichen Parteien soll lediglich Ängste schüren. Für die Behauptung, bei einer Übernahme würden «Massen in die Sozialwerke einwandern», gibt es keinen Beleg. Im Durchschnitt ist die Sozialhilfequote bei MigrantInnen aus der EU sogar geringer als bei SchweizerInnen, wie der letzte Bericht des Observatoriums zum Freizügigkeitsabkommen zeigt.

Weil sich die SVP in der Europadebatte ohnehin in Fundamentalopposition befindet, ist eine Mehrheit für das Rahmenabkommen für die Bürgerlichen nur mit der Linken möglich. Dass diese den Lohnschutz nicht schwächen wird, sollte ihnen bewusst sein. Warum in dieser Situation nicht etwas Mut zeigen und die Unionsbürgerrichtlinie bei Nachverhandlungen zum Thema machen?

Wie mutige Verhandlungen aussehen könnten, haben am Wochenende die Grünen vorgeführt: Weil sie den Lohnschutz ebenfalls nicht zum Abschuss freigeben wollen, schlagen sie unter anderem vor, die Amtshilfe in Steuerfragen zu stärken. Und zeigen damit auf, wie man prinzipientreu bleiben und dennoch dezidiert proeuropäisch sein kann.

Auch wenn das jetzige Rahmenabkommen in der Konsultation voraussichtlich abgelehnt wird – auf der Agenda bleiben wird die Europadiskussion ohnehin. Im Mai steht die Abstimmung über die Waffenrichtlinie der EU an, im kommenden Jahr dürfte über die «Kündigungsinitiative» der SVP entschieden werden, die zum Ziel hat, den bilateralen Weg zu beenden. Abwarten, bis der Sturm vorüberzieht, ist deshalb keine Option.