Auf allen Kanälen: Das Westeros-Kribbeln

Nr. 22 –

Eine Milliarde Menschen sollen sich die letzte Folge der erfolgreichsten TV-Serie aller Zeiten angeschaut haben. Die deutschsprachige Presse hielt sich «Game of Thrones» als Spiegel vor.

«Alles brennt die zornige Blondine nieder. In den Strassen muss sich ihre eigene Armee vor dem Feuersturm der Chefin retten.» So führt uns der Chefredaktor der SVP in der «Weltwoche» direkt ins Herz der finalen Schlacht von «Game of Thrones» – und mitten hinein in den Geschlechterkampf, der in seiner eigenen Brust tobt. Nach einem Tatzenhieb Richtung liberale Traumfabrik – «Hollywood krankt an politischer Korrektheit. Seit Trump im Weissen Haus sitzt, sind die Filme schlechter geworden» – erklärt uns Roger Köppel, warum ihn dagegen das Menschenbild der von ihm bewunderten Serie derart tief bewegt: Der Mensch komme in «Game of Thrones» nicht vor, «wie ihn sich Sozialtherapeuten vorstellen, sondern so, wie er ist, gut und böse wild durchmischt, ein abgründiges Raubtier, das zu Grausamkeiten, aber eben auch zu Liebe, Zärtlichkeit und Heldentum fähig ist. Es fehlt der pädagogische Kram.» Das Finale von Köppels Artikel fällt dann um einiges pathetischer aus als das von «Game of Thrones» – und es klingt, als würde ers sich selber zurufen: «Selbst die Helden sind nur Ameisen, die jederzeit zerquetscht werden können. Der Sinn des Lebens? Zähne zusammenbeissen und weiterkämpfen.»

«Einmal ist Schluss»

Auch die deutsche Wochenzeitung «Die Zeit» ertrinkt fast in «Blut, Schweiss und Pferdescheisse» und will auf dem fiktionalen Schlachtfeld einen Schlüssel zu den letzten Menschheitsfragen finden. Es wird endzeitphilosophisch: «‹Ich will es zerbrechen.› Klarer konnte eine Figur ihren geschichtsphilosophischen Anspruch nicht formulieren, den man spätestens von diesem Moment an auch der Serie unterstellen musste.» Die Hoffnung auf eine Zukunft, die «mehr wäre als nur das ewige Drehen am Rad der traurigen Gegenwart», habe sich nun endgültig zerschlagen.

Selbst Walter Benjamins «Engel der Geschichte» ist dem Kritiker nicht zu schade, um herbeizitiert zu werden, allerdings mehr als Lamento über die Tatsache, dass sich die Menschheit wohl gerade zum letzten Mal vor den Bildschirmen wie vor einem Herdfeuer einträchtig versammelt habe: «Es wird bald eher Ausnahme als Regel sein, dass zwei gleichzeitig dasselbe Kulturprodukt konsumieren – und sie wenigstens miteinander über die Trümmer sprechen, die sich vor ihnen aufhäufen.»

Die NZZ versucht derweil, dem fantasierten Mittelalterspektakel mit schier übermenschlicher Pragmatik etwas gutschweizerische Alltagsweisheit abzutrotzen: «Politik ist eben immer ein Kompromiss, nie ein Spiel um Leben und Tod. Und so gibt es bis zum Schluss keinen wirklichen Helden. (…) Abriss und Neubau werden gefordert. Fordern kann man immer, es kostet ja nichts. (…) Einmal ist Schluss. Und es ist gut, so wie es ist.»

Dumm und dümmer

Grosser Unmut über die Lichtverhältnisse herrscht im «Boten der Urschweiz»: «Leider ist die ganze Schlacht derart dunkel gedreht, dass man kaum etwas erkennt.» Trotzdem befällt den Kritiker der «NZZ am Sonntag» beim Gedanken an Westeros, den Eiskönig und die Drachen immer noch ein Kribbeln: «Es ist wie mit einer erloschenen Liebe, die man noch einmal auf einen schnellen Kaffee trifft. Man ist sich prinzipiell gewogen, hat sich aber auseinandergelebt. Trotzdem ist man neugierig. Geht da vielleicht noch etwas?»

Die «Coopzeitung» wiederum hat sich auf den Gemeindeämtern der Schweiz umgehört und präsentiert unter dem Titel «Arya, Jon – S Znacht isch parat!» ihre Erkenntnisse: Immer mehr Babys würden nach Figuren aus der Erfolgsserie benannt. Insgesamt 49 Jons und 39 Aryas bevölkerten heute die Spielplätze des Landes.

Und auch wenn die KritikerInnen fast unisono betonen, eine Serie sei kein Wunschkonzert und man habe gefälligst zu schlucken, was die Drehbuchautoren uns vorsetzten, melden sich in unser aller Pendlerzeitung auch die Fans nochmals zu Wort: «Die Daenerys, die ich heute gesehen habe, war nicht meine Daenerys. (…) Ihr Macher seid dumm und dümmer und ihr habt meine liebste Figur abgemurkst, ohne sie wirklich sterben zu lassen – ich hoffe, ihr seid jetzt glücklich.» Schimpft der eine. Und der andere: «Wie ich das sehe, hätte auch ich diese Staffel von ‹Game of Thrones› schreiben können – mit demselben Ergebnis.»