«Game of Thrones»: Der Plot des bisherigen 21. Jahrhunderts

Nr. 18 –

Warum soll man sich das antun? Die phänomenal erfolgreiche Fantasy-Serie «Game of Thrones» reizt mit blutigen Gewaltorgien, viel nackter Haut, himmelschreienden Ungerechtigkeiten und politischen Willkürregimes. Deshalb ist sie ein realistisches Abbild unserer Zeit – und eine dystopische Schocktherapie.

Nicht mal die Gastfreundschaft ist heilig: Catelyn Stark fällt in der dritten Staffel dem Gemetzel durch die Freys zum Opfer. Foto: Alamy

Mittlerweile hat man das Gefühl, dass George R. R. Martin, Autor der «Game of Thrones»-Bücher, sadistischer Erzähler und Zerstörer von allem Schönen und Guten, neu auch als Drehbuchautor für die täglichen News arbeitet. Das ist keine neue Erkenntnis. Martin hat sich einen Namen gemacht, weil er alle unsere Lieblingsfiguren ermordet und seine Geschichten in pechschwarze Abgründe voll düsterer Ungewissheit manövriert – und zwar genau dann, wenn man gerade dachte, dass alles doch noch gut herauskommen könnte. Spätestens seit mit Prince schon wieder ein allseits geliebter Star das Zeitliche gesegnet hat, scheint es mir absolut klar zu sein, dass das Leben «Game of Thrones» imitiert. Und uns bleibt dabei nichts anderes übrig, als zwischen den Fingern, die wir vors Gesicht pressen, auf die Fortsetzung der Geschichte zu schielen und möglichst allen Spoilern aus dem Weg zu gehen.

Gerade ist die sechste Staffel der unfassbar populären HBO-Serie nach dem Vorbild von Martins Büchern angelaufen. Es ist wilder, wunderbarer Trash. Das ist ein Kompliment. Ich liebe diese furchtbare und furchtbar problematische Serie mehr, als dass ich es je rechtfertigen könnte, deshalb versuche ich es auch gar nicht mehr. Selbstverständlich ist «Game of Thrones» nicht gerade der Wunschtraum einer Kämpferin für soziale Gerechtigkeit. Stattdessen wird man das Gefühl nicht los, dass sich die MacherInnen ständig selber zu überbieten suchen, um immer noch mehr weibliche Figuren pro 45-minütige Folge sexuell zu demütigen.

Völlig entgleister Plot

Gerechtfertigt wird diese endlose Gewalt gegen Frauen damit, dass man sie zeigen müsse. Nicht etwa, um die ZuschauerInnen damit zu reizen – auf keinen Fall! –, sondern weil es damals, in diesem vergangenen finsteren Mittelalter, schlicht so zu- und hergegangen sei. Das wäre eine adäquate Entschuldigung, wenn sexuelle Gewalt wirklich der Vergangenheit angehörte. Oder – da wir schon dabei sind – wenn «Game of Thrones» tatsächlich in einer realen Vergangenheit spielen würde und nicht in einer fiktionalen Fantasiewelt mit Zombies, Drachen und Wechselwesen.

In einem Punkt darf «Game of Thrones» allerdings zu Recht behaupten, die realistischste TV-Serie überhaupt zu sein. Martins «Westeros»-Welt wirkt auf uns unheimlich vertraut: trotz der Zauberer, Wichtelmänner – und obwohl die Frisuren dieser zu Mythen geronnenen Figuren stets makellos sitzen, sogar wenn sie gerade sinnlos zu Tode gefoltert werden. Das Spezielle an dieser Serie sind nicht die Monster, die vielen Nacktszenen oder das fässerweise vor sich hin stinkende, willkürlich vergossene Blut, sondern das erdrückende Gefühl, dass der Plot schon vor drei Jahren völlig entgleist ist und von einer Gruppe sich zankender, machttrunkener Wahnsinniger auf einen schrecklichen Abgrund zugesteuert wird. Zufällig ist das auch der Plot des gesamten bisherigen 21. Jahrhunderts.

Vielleicht werden die ZuschauerInnen von den «Titten und Drachen» angelockt, wie der Schauspieler Ian McShane vermutet, aber es ist der unablässige Schrecken, der sie süchtig macht. Martin trampelt fröhlich über all die bekannten Figuren der konventionellen Schwerter-und-Hexen-Literatur hinweg. Hier gibt es weder erhabenes Streben noch Helden auf Reisen. Stattdessen müssen gute Menschen schreckliche Dinge über sich ergehen lassen. Heldenmut wird so was von nicht belohnt. Wenn Ungerechtigkeiten tatsächlich bestraft werden, was selten genug vorkommt, geschieht dies zufällig. Schöne Jungfrauen werden nicht gerettet, Hauptfiguren werden willkürlich abgeschlachtet, und Krieg ist immer eine dumme Idee. Trotzdem versuchen die überlebenden Charaktere weiterhin, alle ihre Probleme kriegerisch zu lösen.

Blutopfer für den Feuergott

Die meisten Fans der Serie haben sich schon gefragt, welcher dieser sich bekriegenden noblen Familien sie gern angehören würden. Bist du unerschrocken und aufrecht wie die Starks oder arrogant aristokratisch wie die Lannisters oder ein verrückter Piratenbastard wie die Greyjoys? Ich selber bilde mir ja ein, dass ich in Dorne ganz gut aufgehoben wäre, wo Messerkämpfe und aggressive Bisexualität zu den Begrüssungsritualen gehören. Aber in Tat und Wahrheit wären ich und du jetzt bereits seit mindestens zwei Staffeln tot. Und wir wären nicht einmal auf aufsehenerregende Weise gestorben: Weder hätte uns ein König geköpft, noch wären wir von unserem eigenen Vater als Blutopfer für den Feuergott verbrannt worden. Statistisch gesehen wären wir Bauern und Bäuerinnen. Vermutlich hätten wir nicht einmal einen Namen. Wir würden bloss Dreck essen und darauf warten, dass der Krieg zu Ende geht. Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln.

Die moralischen Lektionen sind düster, aber vernünftig. Drachen sind grossartig. Menschen sind ausnahmslos schrecklich. Religiösen EiferInnen ins Schlachtgetümmel zu folgen, ist eine schlechte Entscheidung fürs Leben. Ehre ist ein frei erfundenes Konzept, das dich ziemlich sicher den Kopf kosten wird. Die wichtigste Erkenntnis ist, dass es nur sehr wenige wirklich böse Menschen gibt in der Welt. Stattdessen gibt es dumme Menschen, verängstigte Menschen und kleinliche, nachtragende Menschen. Manchmal werden solche Menschen an die Spitzen von Armeen oder Nationen gestellt, und dann sind wir alle am Arsch. Darum geht es in «Game of Thrones».

Ich mache mir nicht mal mehr Hoffnungen auf ein Happy End. Ich habe mich mit der Tatsache abgefunden, dass meine Lieblingsfiguren höchstwahrscheinlich nicht überleben werden. Sogar wenn sie es schaffen würden, hätte das nicht viel zu bedeuten, denn eine riesige Eiszombie-Armee wird kommen und die ganze Welt auffressen.

Und genau deshalb ist «Game of Thrones» so grossartig. Es gibt viele schreckliche und heisse Sachen auf unseren Bildschirmen zu sehen, und in unseren verängstigten Zeiten versuchen sich SchriftstellerInnen, die ihren Vorschuss wert sind, an grausamen dystopischen Fiktionen. Aber das Problem mit den meisten Dystopien ist, dass sie viel zu vorhersehbar sind. Sie servieren uns Fantasiewelten, in denen immerhin jemand die Verantwortung trägt, egal in welche schreckliche Richtung sich alles entwickelt. Deshalb haben diese Geschichten trotz allem eine beruhigende Wirkung. Auf dieselbe Art, wie Verschwörungstheorien beruhigend wirken. Es ist weniger erschreckend zu glauben, dass ein geheimes Geschlecht von Eidechsenmenschen das Schicksal der Welt regiert, als zu glauben, dass überhaupt niemand regiert.

Monster und viel Rumgevögel

Geschichten helfen uns, seelische Verletzungen «durchzuspielen». Sie helfen, uns auf sie vorzubereiten. Man setzt sich hin, um dabei zuzuschauen, wie erfundenen Menschen schreckliche Dinge widerfahren. Man stellt sich vor, wie man damit zurechtkommen würde, wenn man selber betroffen wäre oder jemand, den man liebt. Und sogar wenn die Antwort lautet: «Das würde ich überhaupt nicht aushalten», fühlt man sich ein bisschen besser. Im Moment ist das wirklich Besorgniserregende, dass die Welt von bösartigen Idioten regiert wird, die kaum einen Plan haben. Und weil sie so damit beschäftigt sind, sich gegenseitig zu bekriegen, ignorieren sie das Klima, was uns schliesslich alle umbringen wird.

Deshalb und natürlich wegen der monumentalen Titelmelodie liebe ich «Game of Thrones» immer noch. Die Serie ist wie eine Aversionstherapie für die brutale Willkür der aktuellen Politik – und als Beilage gibt es computeranimierte Monster und ganz viel Rumgevögel. Voilà. Ich hoffe, das ist alles Vorwand genug, um auch die sechste Staffel zu schauen. Ich habe mich bemüht, euch zu überzeugen. Solltet ihr mich suchen, findet ihr mich hinter dem Sofa.

Aus dem Englischen von Daniela Janser.
© «New Statesman» 2016

Laurie Penny, Thronspiele

Laurie Penny (28) ist feministische Aktivistin («Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution», 2015), Journalistin beim «New Statesman» und Schriftstellerin («Babys machen und andere Storys», 2016). Bereits vor vier Jahren hat sie sich als grosser Fan der Fantasy-Serie «Game of Thrones» des US-Fernsehsenders HBO geoutet.

«Game of Thrones» wird seit 2011 ausgestrahlt und hat Rekordeinschaltquoten. Die unverblümte Darstellung von Gewalt, nicht zuletzt gegen Frauen, löste immer wieder Kontroversen aus. Die Staffeln eins bis fünf sind auf DVD erhältlich, die sechste Staffel ist im Westschweizer Fernsehen zu sehen.