Auf allen Kanälen: Adieu, Pressefreiheit

Nr. 17 –

Fotografen dürfen nicht fotografieren, die Polizei betreibt Zensur. JournalistInnenverbände wehren sich, doch Medienministerin Simonetta Sommaruga stellt sich taub.

Fabian Biasio hat oft an schwierigen Orten fotografiert. Im Hochsicherheitstrakt eines US-Gefängnisses, im Irakkrieg oder in der radioaktiv verseuchten Sperrzone von Fukushima. Jetzt findet der Ausnahmezustand vor der eigenen Tür statt.

Das müsse man doch dokumentieren, findet er. Jeden Tag geht er raus und versucht, die Orte zu finden, wo Corona sichtbar wird. Er wollte etwa den Aufbau eines Notspitals fotografieren. Es war noch leer, niemand wäre gefährdet worden. Doch Biasio wurde nicht hineingelassen.

Dann wollte er die Swiss begleiten, wie sie mit einem Sonderflug Masken in die Schweiz bringt. Auch da durfte er nicht mit. Er berichtet noch von diversen anderen Beispielen. Stets läuft er an Sicherheitsleuten oder Pressesprecherinnen auf.

Es sei zurzeit unmöglich, Bilder zu machen, die mit unabhängigem Blick dokumentieren würden: Das war die Pandemie im Frühling 2020. Es gibt zwar Bilder vom Notspital oder vom Flug der Swiss – aber sie wurden von gewöhnlichen MitarbeiterInnen oder der PR-Abteilung geschossen. Es sind Bilder, die nichts mit unabhängigem Journalismus zu tun haben.

Ein Coronakriegsrecht?

Vielleicht hänge er einem antiquierten Verständnis von Journalismus nach, sinniert Biasio. Er erwähnt Dorothea Lange. Sie fotografierte in den USA während der grossen Depression. Die Mutter zum Beispiel, die mit einem Kind im Arm in eine ungewisse Zukunft blickt. Das Bild steht ikonografisch für das Elend aller WanderarbeiterInnen, die in den dreissiger Jahren verzweifelt und hungrig umherzogen.

Es brauche doch auch von der Coronakrise Bilder, die professionell dokumentierten, was da gerade passiere. «Oder nicht? Die Postkutscher sind auch ausgestorben. Vielleicht gehöre ich einer aussterbenden Gattung an und kann mit dem drohenden Bedeutungsverlust einfach schlecht umgehen», sagt Biasio und meint es nicht ironisch.

Er ist aber nicht der Einzige, der sich ärgert, dass er in Zeiten von Corona daran gehindert wird, Journalismus zu machen. Impressum, der grösste Berufsverband für Medienschaffende, hat eine Umfrage gemacht. Über 130 Journalistinnen und Fotografen haben sich beteiligt. Ein Drittel davon spricht über gravierende Schwierigkeiten: Die Bewegungsfreiheit auf öffentlichem Grund wurde eingeschränkt, Zugang zu Gebäuden oder Behörden verweigert. Bei Videokonferenzen wurden die Fragen von kritischen JournalistInnen einfach ignoriert. In einem Fall war der Pfleger eines Kantonsspitals bereit, namentlich auszusagen, «die Kantonspolizei hat interveniert, und ich musste meinen Artikel ändern», steht in der Zusammenfassung der Umfrage.

Beschwerden kommen aus allen Landesteilen. Jemand schrieb noch: «Ich fände es wichtig, dass im Falle einer Ausgangssperre der Presseausweis als Legitimation gilt, sich ungehindert im öffentlichen Raum aufzuhalten.» Nicht einmal das ist gewährleistet. Es herrscht eine Art Coronakriegsrecht.

Auf Gedeih und Verderb

Schon im März hat Impressum zusammen mit der Mediengewerkschaft Syndicom und dem Schweizer Syndikat Medienschaffender einen Brief an Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga geschrieben. Sie weisen darin auf die Empfehlung des Europarats hin, der die Regierungen auffordert, die Bewegungsfreiheit von JournalistInnen mit Presseausweis zu garantieren. Die Mediengewerkschaften verlangten von Sommaruga, diese Garantie ebenfalls abzugeben. Sommaruga reagierte nicht.

Danach hat Impressum noch zweimal bei der Bundesrätin nachgehakt. Passiert ist nichts. «Das ist empörend!», sagt Urs Thalmann, Geschäftsführer von Impressum. «Es ist unverständlich, dass der Bundesrat das offensichtlich unwichtig findet.»

Das Departement Sommaruga sagt auf Anfrage, die erwähnten Briefe seien in Bearbeitung. Es sei nachvollziehbar, dass Medienschaffende eine Empfehlung des Bundes an die Behörden zur Einhaltung der Transparenz anregten. «Das UVEK wird in seiner Antwort zu diesem Anliegen Stellung nehmen.» Das Notrecht werde ja aber bald gelockert.

Doch so geht Pressefreiheit nicht. Die Medien müssen berichten, wenn das Haus in Flammen steht. Sind die Trümmer weggeräumt, gibt es nichts mehr zu dokumentieren.