Pressefreiheit: Recherchieren unerwünscht

Nr. 49 –

Die Schweiz ist in der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf Rang 14 platziert – deutlich schlechter als im Vorjahr. Bundesrat und Parlament setzen in der angeblichen Vorzeigedemokratie Journalist:innen zunehmend unter Druck.

Nach der Chemiekatastophe von 1986 hindert der Sandoz-Sicherheitsdienst einen Fotografen an der Arbeit
Heute ist die Pressefreiheit noch bedrohter: Nach der Chemiekatastophe von 1986 hindert der Sandoz-Sicherheitsdienst einen Fotografen an der Arbeit. Foto: Michael Kupferschmidt, Keystone

Global verschlechtert sich der Zustand der Pressefreiheit. Dass sich autoritäre oder diktatorische Regierungen wie jene Russlands oder Chinas die Medien gefügig gemacht und diese in Propagandaapparate verwandelt haben, ist offensichtlich. Aber selbst in gefestigten Demokratien ist dieser Trend erkennbar. Auch in der Schweiz. Sie ist im Ranking von Reporter ohne Grenzen vom 10. auf den 14. Platz abgerutscht. Der Zustand der Pressefreiheit gilt demnach als «zufriedenstellend». Angeführt wird dieses Ranking übrigens von den skandinavischen Ländern, wo das Öffentlichkeitsprinzip ausgeprägt ist. In Skandinavien wie etwa auch in Portugal oder Costa Rica gilt die Pressefreiheit als «gut». Schaut man sich die Auswertung genauer an, sind es in der Schweiz vor allem wirtschaftliche Lobbygruppen, die Recherchen erschweren oder verhindern möchten.

Bankengesetz gegen Pressefreiheit

Ihren Interessen dient auch das Parlament zu. In diesem Jahr griff die Parlamentsmehrheit die Medienfreiheit frontal an. Sie senkte die Hürden für superprovisorische Verfügungen. Damit können von Recherchen betroffene Personen und Unternehmen die Publikation von Artikeln vorläufig verhindern oder hinauszögern und damit die Wirkung von Berichterstattung einschränken. Das gelang bereits vorher ohne Weiteres, denn die Gerichte sind oft journalist:innenfeindlich eingestellt. Die Senkung der Hürde ist nun aber erst recht eine Einladung für finanzkräftige Akteur:innen, recherchierende Medien zu gängeln.

Es ist nicht die einzige recherchefeindliche Gesetzesbestimmung. Artikel 47 des Bankengesetzes schränkt die Auswertung geheimer Bankdaten, die von öffentlichem Interesse sind (Steuerhinterziehung, Drogengelder et cetera), stark ein. Wer es dennoch tut, muss mit harten Strafen rechnen. Faktisch kommt diese 2015 eingeführte Bestimmung einem Rechercheverbot gleich. Als ein Verbund internationaler Medien Bankdaten der Credit Suisse auswertete, verzichteten Schweizer Medien deswegen auf eine Beteiligung. Daraufhin kritisierte die Uno-Berichterstatterin für Meinungsfreiheit, Irene Khan: «Journalisten strafrechtlich zu verfolgen, weil sie Bankdaten veröffentlichen, die von öffentlichem Interesse sind, würde gegen internationale Menschenrechtsvorschriften verstossen.»

Die geplante Revision des Nachrichtendiensts liefert ein weiteres Beispiel für die Geringschätzung der Pressefreiheit. Gemäss dem Vorschlag des Bundesrats könnte der Nachrichtendienst künftig Journalist:innen als Drittpersonen überwachen und so den Quellenschutz ad absurdum führen. Betroffen wäre auch das Berufsgeheimnis von Ärzt:innen oder Anwält:innen.

Schwaches Öffentlichkeitsprinzip

Während eines Jahrhunderts konnten Schweizer Behörden nach eigenem Gutdünken alles unter dem Deckmantel des Amtsgeheimnisses vor der Öffentlichkeit verstecken. Das änderte sich erst 2006 mit dem Bundesgesetz über die Öffentlichkeit in der Verwaltung (BGÖ). Es kehrte den Grundsatz der Geheimhaltung um. Jede Person hat seither ein Recht auf Zugang zu amtlichen Dokumenten – mit Einschränkungen. Die Behörden tun sich bis heute aber mit dem Systemwechsel schwer. Marc Meschenmoser, Koredaktionsleiter von «K-Tipp» und «Saldo» sowie Präsident des Recherchenetzwerks investigativ.ch, sagt: «BGÖ-Gesuche gehören zu unserem täglichen Brot. Wir machen mit Bundesämtern und Kantonsverwaltungen sehr unterschiedliche Erfahrungen. Oft müssen wir monatelang auf eine Antwort warten. Es gibt aber auch die anderen: Als ich beim Eidgenössischen Finanzdepartement Dokumente über die Vergabe von Coronakrediten anforderte, bekam ich drei Wochen später dazu 300 Seiten Dokumente.»

Schlechte Erfahrungen machte seine Redaktion allerdings mit der Arzneimittelbehörde Swissmedic, dort wird mittlerweile der Preisbildungsprozess von rund dreissig Prozent der Medikamente im Geheimen zwischen der Pharmaindustrie und der Behörde ausgehandelt. Der Bundesrat möchte nun sogar diesen Preisbildungsprozess aus dem Öffentlichkeitsgesetz nehmen. Immerhin: Die nationalrätliche Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit lehnt das Ansinnen des Bundesrats ab. Auch beim Maulkorbartikel im Bankengesetz gibt es einen Silberstreifen am Horizont: Die Wirtschaftskommission des Nationalrats verlangt vom Bundesrat, er solle prüfen, «ob die aktuelle Gesetzgebung geändert werden soll, um die Pressefreiheit in Finanzplatzfragen zu gewährleisten».

Die erwähnten Beispiele sind nicht abschliessend. Stephanie Vonarburg von der Mediengewerkschaft Syndicom sagt: «Die Pressefreiheit in der Schweiz ergibt ein gemischtes Bild. Harte Kritik an Behörden und Politiker:innen ist möglich. Aber besonders bei der Recherchefreiheit müssen wir aufpassen. Hier gibt es ganz klar Handlungsbedarf.» Vonarburg verweist noch auf ein anderes Problemfeld: Fälle, in denen Medienschaffende von Polizei und Behörden an der Berichterstattung gehindert werden, werden Syndicom immer öfter gemeldet. Es brauche eine Anerkennung der Rechte von Journalist:innen, sich selbst ein Bild vor Ort zu machen, auch bei Demonstrationen oder Hausbesetzungen.