Geschichte der NZZ: Die Geister, die sie riefen

Nr. 25 –

Ein neues Buch porträtiert die «Neue Zürcher Zeitung» kritisch als kauzigen Männerbund. In unterhaltsamen Anekdoten wird aber auch manches weichgezeichnet – etwa der aktuelle Rechtskurs der Zeitung.

Blick in die Redaktion, 1982: Bis die erste Frau einen NZZ-Leitartikel schreiben würde, sollten noch drei Jahre ins Land ziehen. Foto: Keystone

Und dann zitiert der langjährige NZZ-Mitarbeiter den Bürgerschreck Niklaus Meienberg als spöttischen Gewährsmann. Genauer: Meienbergs «Jagdgespräch unter Tieren», in dem das Wildschwein Fridolin und das Reh Mirza darüber witzeln, ob sich NZZ-Chefredaktor Fred Luchsinger wohl wieder lächerlich machen werde hinter seinem Jagdgewehr.

«Umbruch» heisst Friedemann Bartus durchaus auch kritisches Porträt der neueren NZZ-Geschichte. Es lebt vom Insiderwissen des Autors, der 35 Jahre lang selber für die NZZ geschrieben hat und bemüht ist, die Idee der Zeitung als freisinniges Weltblatt hochzuhalten. Kleingeist wird in dem Buch aber nicht verschwiegen, etwa dass man eine zentrale Publikation des vormaligen NZZ-Autors Max Frisch wegen ideologischer Grabenkämpfe einfach ignorierte.

Freundlich zu den Fröntlern

Neben Frisch hatten auch alle Frauen in der NZZ einen schweren Stand. Eine frühe Frankreichkorrespondentin versteckte man hinter einem Männernamen, der erste Leitartikel einer Frau – über die Revision des Sexualstrafrechts – erschien 1985. Die Grenzen dieser liberalen Welt sind eng, politische Kommentare schreiben in der NZZ bis heute vornehmlich die Männer. Doch statt sich lange bei der Frauenfrage aufzuhalten, gibt Bartu Einblicke in die Männerwelten des Kalten Kriegs, der Korrespondenten, der FDP-Connection, des Aktionariats, der Rotarier, der gescheiterten Ernennung von Markus Somm zum Chefredaktor. Er berichtet über die NZZ-Aktie als «Ertragsperle» und die Ernüchterung nach der Jahrtausendwende mit Rekordverlusten und Fehlinvestitionen. Über Identitätskrisen, weil alte Elitebegriffe und Sicherheiten zerbröselten.

Bartu liefert viel Atmosphärisches über einen zuweilen schon vormittags alkoholisierten Männerbund auf seinem hohen Ross. Allerdings verschwimmt im unterhaltsamen Allerlei der Anekdoten zuweilen die analytische Präzision. Enttäuscht wird vor allem, wer sich eine pointierte Einordnung der aktuellen Ära unter Eric Gujer ins historische Gefüge der Zeitung erhofft hatte. Dem seit 2014 amtierenden Chefredaktor bescheinigt Bartu eine Schärfung des Profils. Das ist freundlich formuliert, steht doch Gujer – flankiert vom AfD-nahen Berlinbüro und von Teilen des Feuilletons unter René Scheu – für einen rechtslibertären, punktuell noch schärferen Kurs, wie ihn die Zeitung womöglich schon einmal gesehen hatte. Doch ausgerechnet jene historische Episode, als NZZ-Autoren mit der Fröntlerbewegung sympathisierten, gibt Bartu auf ihr Happy End verkürzt wieder.

Man muss in der NZZ-Geschichte des Historikers Thomas Maissen nachlesen, wie die nazifreundlichen Schweizer Fröntler im freisinnigen Blatt verharmlost wurden, Hauptsache es ging gegen die Bolschewisten. Erst nach 1933 positionierte sich die NZZ unter Chefredaktor Willy Bretscher klar gegen Hitler, standhafter noch als der lavierende Bundesrat. Berlin erklärte die Schweizer Zeitung 1938 zur einzigen «Kriegspartei Europas mit Ausnahme der Kommunisten». Doch gerade wer wie Bartu diesen historischen Widerstandsgeist rühmt, müsste den lauten Applaus, den das Blatt heute von rechts aussen empfängt, ernster nehmen. Wenn etwa der Faschist Björn Höcke in einer Brandrede das «Trockenlegen» der Zivilgesellschaft androht und dann die NZZ in den höchsten Tönen lobt. Oder wenn sich der hauseigene Community-Manager erstaunt zeigt über die Flut an Kommentaren, in denen der Rechtsextremismus verharmlost werde.

Dabei tummeln sich hier bloss die Geister, die man selber gerufen hat: auf der Frontseite – wo Merkels Politik schon mal mit einer Seuche verglichen wird –, aber vor allem in der noch schärfer getexteten Parallelwelt online. Mordet ein deutscher Rechtsextremer, weist Gujer persönlich ein paar Tage später ausführlich auf die Gefahren von islamistischem Terror und «ungesteuerter Migration» hin. Sicher ist: Bei dieser Deutschlandstrategie mit Digitalabo zum Dumpingpreis gehts nicht nur um Klicks. Gerade im Zusammenhang mit Aktionen der AfD liefert das Berlinbüro der NZZ gern verharmlosende Interpretationen, die keine deutsche Zeitung drucken würde.

Penetranter Antifeminismus

Wofür sich Bartu ebenfalls kaum interessiert: den Kulturteil unter René Scheu. Obwohl doch das Feuilleton bei der NZZ traditionell einen viel höheren Stellenwert hat als anderswo. Hier wird das weltanschauliche Programm intellektuell abgerundet. Unter Scheu bedeutet das seit 2016: eine Fixierung aufs Silicon Valley, auf neoliberale Philosophien und einen penetranten Antifeminismus und Anti-PC-Kurs: «Das Patriarchat ist ein Pappkamerad.» Dazu wird mit rassistischen Theorien geflirtet: «Warum die Menschen nicht gleich sind».

Nun sind extrem rechte IdeologInnen seit jeher von möglichst undurchlässigen Geschlechter- und Gesellschaftsordnungen besessen. Doch Bartu kümmern derlei Fragen wenig. Eine verpasste Chance. Denn würde man die Geschichte der NZZ zum Analysewerkzeug schärfen, könnte man Eric Gujer als König eines irregeleiteten Interregnums und somit als Fehlbesetzung erkennen. Und sich wieder auf den radikal antifaschistischen Geist zurückbesinnen, den Bartu zu Recht feiert.

Friedemann Bartu: Umbruch. Die Neue Zürcher Zeitung. Ein kritisches Porträt. Orell Füssli Verlag. Zürich 2020. 285 Seiten. 35 Franken