Schnellertollermeier: Zum Schreien schön

Nr. 50 –

Wie kann mechanische Präzision so lebendig klingen? Die Luzerner Band Schnellertollermeier tastet sich auf ihrem neuen Album «5» noch näher an die zeitlose Sinnlichkeit heran.

Musik mit komplexer Logik, die alles ganz einfach erscheinen lässt: Manuel Troller, Andi Schnellmann und David Meier sind Schnellertollermeier. Foto: Simon Habegger

Wir haben uns warm angezogen, doch aufwärmen müssen wir uns dann kaum. Eine Art Checkpoint führt durch den kleinen Schutzwall aus Blumentöpfen und anderem Gerät, der die Konsumationszone von der Aussenwelt trennt. Das Garagentor zum Konzertraum steht offen, damit die Luft zirkuliert. Drinnen stehen ein paar Zerstreute mit Mundschutz und Mänteln, ohne Bierglas, an dem sie sich festhalten könnten. Es ist ein kalter Herbstabend, das Zürcher «Helsinki» ist massnahmenkonform gerüstet, und dieses garstige Setting bewirkt vielleicht gerade, dass die Magie dieser Band nur umso klarer erstrahlt. Schnellertollermeier, so scheint es an diesem Abend, kann man irgendwo erleben, man landet sowieso an einem ganz anderen Ort.

Nie einfältig und kalt

Eigentlich ist es tragisch: Schnellertollermeier haben gerade ihre fünfte Platte, «5», veröffentlicht und würden damit nun um die Welt touren. Das Trio aus Luzern, das seit dem gemeinsamen Studium an der Jazzschule zusammen spielt, hat mit seiner anspruchsvollen Musik längst einen Platz in einer global ausstrahlenden Nische besetzt. Das Publikum, das sich an seinen Konzerten versammelt, ist überschaubar, aber eben in Japan, Indien oder Kanada. Für eine Band, die für weit verteilte KennerInnen spielt, kann die nun von manchen propagierte Rückbesinnung der Kultur aufs Lokale kein Ausweg sein.

Allerdings beschreibt «anspruchsvoll» die Musik von Schnellertollermeier nur oberflächlich. Was diese fordert, ist im Grunde einzig die Bereitschaft, sich in ihre immer wieder neu kalibrierte Zeitlichkeit zu versenken. Es gibt keinen Gesang, der dramaturgische Marken setzt, und auch keine Melodieführung, die Verbindlichkeit schafft. Dafür Grooves, Fragmente von Rhythmen, Patterns – für sich genommen oftmals schlichte Elemente, die Zeit organisieren und von Bass, Gitarre und Schlagzeug gereiht, geschichtet, verzahnt, variiert werden. Dass Schnellertollermeier mit einem Uhrwerk verglichen werden, hat nicht nur mit der stupenden Präzision der drei Musiker zu tun, sondern auch mit der komplexen Logik, mit der sie einzelne Teilchen so miteinander arbeiten lassen, dass auf der Oberfläche alles ganz einfach erscheint.

Doch die Metapher vom Uhrwerk ist ohnehin falsch. Denn Mechanik und Technik sind vielleicht das unabdingbare Fundament dieser Band, doch brillant ist sie gerade deshalb, weil sie in keinem Moment so einfältig und kalt wie eine Maschine klingt. Es ist, als würde sie die entscheidenden Zwischenstufen treffen oder geschehen lassen, die die mechanische Struktur in ihrer Wirkung gerade ins Gegenteil verwandeln, sie verschlungen, tastend, expressiv, ja emotional wirken lassen. In ihrem Verzicht auf konventionelle Songstrukturen ist diese Musik abstrakt, in ihrer unmittelbaren Wirkung aber total sinnlich.

Im «Helsinki» beginnen Schnellertollermeier mit «Before and After», dem elfminütigen Herzstück von «5». Der Sound ist knochentrocken in diesem kleinen Raum, die Abweichung von der Platte verblüffend gering. Das ist bei dieser Band keine Beleidigung, denn schon in konservierter Form klingen die einzelnen Sounds ungemein lebendig. Der Bass beginnt alleine, spielt die immer gleiche Note, deutet mit wechselnden Obertönen ein einfaches Muster an. Dann formt die Gitarre mit ein paar hektischen, gedämpften Sounds den Groove, der das Grundgerüst des Songs bleiben wird, das Schlagzeug umspielt ihn mit losen Ornamenten. Nun beginnt das transformative Spiel, in dem immer wieder ein anderes Instrument die Leitung übernimmt. Die Gitarre reisst mit scharfen Sounds Risse ins filigrane Gewebe, das Schlagzeug tastet sich an einen tragenden Beat. Richtig dramatisch wird es, als der Bass im letzten Drittel in einen eindeutigen Groove einbiegt, das Flattern der Saiten in den Magen fährt. Darüber hebt die Gitarre plötzlich ab, verliert sich in versonnenen Bögen und rabiatem Geschrammel – es ist zum Schreien schön.

Wie beim Jazztrio

Wenn Schnellertollermeier sich auf prägnante Formen einlassen, können sie schon einmal an eine Rockband erinnern, in den konsequenten Wiederholungen auch an Minimal Music. Hingegen klingen die assoziativen Flächen von «A.o.E.i.n.E.o.A» eher wie freie Improvisation oder zeitgenössische Klassik. Doch man kann dieser Band mit solchen Genres nicht gerecht werden, weil sie nicht klingt, als würde sie Hergebrachtes neu zusammensetzen. Obwohl die Stücke bis in kleinste Details ausgeschrieben sind, scheint es so, als würden sie gleich an Ort und Stelle wachsen, völlig frei von Tradition oder den klanglichen Beschränkungen der einzelnen Instrumente.

Schon der Name dieser Band ist ja ein Witz auf solche Erwartungen. Schnellertollermeier – die Bedeutung dieser Wortschöpfung ist so augenfällig wie clever. Sie geht von drei aneinandergereihten Nachnamen aus: Andi Schnellmann (Bass), Manuel Troller (Gitarre), David Meier (Schlagzeug) – wie bei einem Jazztrio. Doch in der Verbindung zu einem neuen Ganzen verändern sich die Namen, gehen auf in einem klingenden Flow – wie es auch mit den drei Individuen in dieser Band geschieht. Doch da schwingt, wie im Spiel der Band, auch Humor mit: Immer schneller, immer toller? Nichts begriffen!

Schnellertollermeier: 5. Cuneiform / Broken Silence. 2020