Mikis Theodorakis (1925–2021): Die Welt als Kommunist verlassen

Nr. 36 –

Seine Musik war ein Politikum und lange verboten: Der grosse griechische Komponist, Politiker und Widerstandskämpfer Mikis Theodorakis ist 96-jährig gestorben.

Über die Grenzen zwischen hoher Kunst und Volksmusik hinweg: Mikis Theodorakis dirigiert 1970 in London sein Oratorium «Marsch des Geistes». Foto: Aliki Sapountzi, Alamy

Die Flagge auf der Akropolis weht auf halbmast. «Heute haben wir einen Teil von Griechenlands Seele verloren», sagte die griechische Kulturministerin Lina Mendoni. Am vergangenen Donnerstag ist Mikis Theodorakis – Komponist, Dirigent, Politiker, Widerständler und Freiheitsfanatiker – im Alter von 96 Jahren in Athen gestorben.

Theodorakis gilt als musikalischer Volksheld und ist weit über die Grenzen des Landes hinaus als Freiheitskämpfer bekannt. Im Zweiten Weltkrieg schloss er sich dem Widerstand gegen die deutsche Besatzung an, im anschliessenden griechischen Bürgerkrieg und in Zeiten der Militärdiktatur Ende der sechziger Jahre kämpfte Theodorakis aufseiten der Linken. Sein starker Freiheitssinn und seine fehlende Angst vor Grenzüberschreitungen – beides spiegelt sich in seinem gesamten musikalischen Repertoire wider: Theodorakis komponierte Sinfonien, Kammermusik, Oratorien, Ballettmusik und Opern, aber auch Filmmusik und über tausend Lieder.

Lyrik mit Populärmusik vertont

Die Musik begleitete den am 29. Juli 1925 auf der Insel Chios Geborenen von klein auf. Seine Eltern mussten zu der Zeit in ganz Griechenland umherziehen, weil der Vater – als Präfekt im Staatsdienst – immer wieder woanders stationiert wurde. Der kleine Mikis musste sich stets umgewöhnen, neue FreundInnen suchen. Er fand Halt in der Musik, zog sich oft zurück und komponierte.

Als junger Erwachsener studierte er tagsüber in Athen Komposition und kämpfte nachts gegen die deutsche Besatzung. Mitte der fünfziger Jahre bekam er ein Stipendium für das Pariser Konservatorium – er war überwältigt von den Freiheiten, die er als linker Widerständler in Griechenland nicht kannte. Doch 1960 zog es ihn – trotz erlittener Folter und Unterdrückung im Heimatland – nach Athen zurück.

Dort angekommen, löste er fast eine kleine Kulturrevolution aus: Er vertonte Texte grosser griechischer Lyriker mit der Bouzouki – einer Langhalslaute – und überliess einem nicht klassisch ausgebildeten Sänger den Text. Das bauchige Saiteninstrument galt zu jener Zeit als vulgär, wurde dem Nachtleben und der Unterschicht zugeordnet. Doch Theodorakis kümmerte sich nicht um die Anfeindungen aus Kulturkreisen; er sah keinen Widerspruch darin, Lyrik mit Populärmusik zu verknüpfen – und die GriechInnen liebten ihn dafür. Die Lieder wurden in rasender Geschwindigkeit zum allgemeinen griechischen Kulturgut – noch heute kennen praktisch alle im Land die Texte dieser grossen Dichter auswendig.

1964 erreicht der 1,90 Meter grosse Mann mit den wallenden Locken durch seinen Soundtrack zu Michael Cacoyannis’ «Zorba the Greek» Weltruhm: Anthony Quinn spielt darin den Klischeegriechen und tanzt am Strand den Sirtaki, einen Tanz, der eigens für den Film erfunden wurde. Mittlerweile gilt er jedoch als Inbegriff des griechischen Tanzes – selbst GriechInnen glauben mitunter, der Sirtaki sei schon immer Teil ihrer Kultur gewesen.

Hochpolitisch wurde Theodorakis’ Schaffen, als er 1968 den brisanten Inhalt des Politthrillers «Z» von Costa-Gavras mit seiner Filmmusik untermalte. Der Film zeigt die Errichtung einer Militärdiktatur und bezieht sich direkt auf die bereits seit 1967 herrschende Junta in Griechenland. Immer stärker wurde Theodorakis’ Musik zum Politikum. Die kämpferischen und sozialkritischen Texte, die Theodorakis durch seine Musik in jeden Winkel des Landes brachte und die JuntagegnerInnen weit über die Grenze des Landes mit LinksaktivistInnen verband, waren dem Regime ein Dorn im Auge. Das Hören oder Aufführen und gar das blosse Pfeifen seiner Musik wurden unter Gefängnisstrafe verboten.

Politik und Musik waren nun untrennbar mit seiner Person verknüpft. Theodorakis tauchte unter, wurde gefunden, kam mehrmals ins Gefängnis, wurde gefoltert. Ein internationales Komitee, initiiert unter anderem von Harry Belafonte, Dmitri Schostakowitsch und Leonard Bernstein, forderte seine Freilassung. Auf Druck der Öffentlichkeit schaffte es der französische Politiker Jean-Jacques Servan-Schreiber schliesslich, den Komponisten 1970 ins Exil nach Paris zu holen, wo er bei seiner Ankunft begeistert gefeiert wurde.

Nur das grosse Ganze bleibt

Bis zum Fall der Junta 1974 gilt Theodorakis als eine Art Vorzeigekommunist. In der zurückgewonnenen Demokratie engagierte er sich für die Sozialdemokratische Partei und später auch für die konservative Nea Dimokratia. Unter deren Regierung trat er Anfang der neunziger Jahre sogar ein Ministeramt (ohne Geschäftsbereich) an. Das machte den einstigen Kämpfer der Linken für viele zum Opportunisten. Im Streit um den Namen «Mazedonien», den sowohl Griechenland als auch die heutige Republik Nordmazedonien führten, zeigte er eine ausgeprägte nationalistische Seite, sprach auf einem Podium vor zahlreichen RechtspopulistInnen und stand von linker Seite immer mehr unter Kritik.

In den vergangenen Jahren trat Mikis Theodorakis nicht mehr in der Öffentlichkeit auf. Im Oktober 2020 schickte er an Dimitris Koutsoumbas, Generalsekretär der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE), einen persönlichen Brief: «Jetzt, am Ende meines Lebens, zum Zeitpunkt der Abrechnung, verblassen die Details aus meinem Gedächtnis, und nur das ‹grosse Ganze› bleibt», schreibt er; «ich sehe also, dass ich meine nützlichsten, stärksten und reifsten Jahre unter der Fahne der KKE verbracht habe. Deshalb möchte ich diese Welt als Kommunist verlassen.»