Ein Traum der Welt: Da war noch was

Nr. 39 –

Annette Hug müsste sich besser informieren

Was läuft eigentlich in Myanmar? Seit dem Aufruf zum koordinierten Aufstand gegen die Militärregierung von Mitte September habe ich nichts mehr gelesen. Da müsste ich Zeit investieren, um nachzuforschen. Aus meinen Zeitungen verschwinden Themen sehr schnell.

Zum Beispiel der Krieg im äthiopischen Tigray: der Friedensnobelpreisträger Abyi Ahmed, der jetzt ein Massenmörder geworden sein könnte. Im Oktober 2018 hörte ich in einem Hotel in Seoul dem Dichter Chehem Watta aus Dschibuti zu. Er sprach begeistert von Ahmeds Wahl zum Ministerpräsidenten Äthiopiens, die damals erst ein halbes Jahr zurücklag. Nun gebe es endlich Hoffnung auf Frieden am ganzen Horn von Afrika, war der Dichter überzeugt. In Korea wurde er an literarischen Veranstaltungen zum Jemen befragt. 500 Menschen aus dem kriegsversehrten Land waren in Malaysia in See gestochen und auf der koreanischen Insel Jeju gelandet. Ob Südkorea in grösserem Stil arabische und afrikanische Asylbewerber:innen aufnehmen solle, wurde heftig diskutiert. Chehem Watta sang ein Loblied auf den jemenitischen Unternehmungsgeist. Korea könne sich glücklich schätzen über diesen Zuzug.

Ob die Geflüchteten inzwischen ihr Lager verlassen durften, weiss ich nicht. Und was hat sich im Jemen selbst verschoben? Wie viele Geflüchtete sitzen noch in Malaysia ohne geregelten Aufenthaltsstatus fest? Wie viele weitere Fluchtrouten übers Meer habe ich nicht im Blick? Wie geht es Schwester Patricia Fox? Sie wurde 2018 aus den Philippinen ausgewiesen, nachdem sie 27 Jahre lang dort gewohnt und gearbeitet hatte. Ihr Engagement in einer Kampagne von Bauernfamilien für eigenes Land war ihr zum Verhängnis geworden. Beziehungsweise die Tatsache, dass sie als Ausländerin der Willkür der Regierung Rodrigo Dutertes in besonderem Masse ausgeliefert war. Die letzten Nachrichten, die ich über sie finde, stammen aus Melbourne. Da sei sie nach ihrer Ausweisung gelandet, um im Mutterhaus des Ordens der Schwestern von Zion zu wohnen.

Als ich sie 1992 zwei- oder dreimal traf, wirkte sie nicht so, wie ich mir eine Nonne vorgestellt hatte. Sie sprach als Juristin. Und brachte mein Weltbild auch anderweitig durcheinander. «Partizipation» war damals ein heisser Begriff. Entwicklungsprojekte sollten von unten nach oben gestaltet werden. Absurderweise schien das in versteckten Winkeln der katholischen Kirche besser zu funktionieren als in linken Bewegungen oder gut finanzierten NGOs. Die meisten westlichen Geldgeber:innen wollten sehr genaue Pläne in fixen Formaten sehen, bevor überhaupt jemand mit der Arbeit beginnen konnte. Die meisten linken Aktivist:innen wussten bereits, was die Interessen des Volkes waren, bevor sie mit jemandem gesprochen hatten; da dienten Konsultationen eher der Selbstbestätigung.

Nur in jenen geheimnisvoll subversiven Winkeln der Kirche war Geld da, um Leute mit offenem Auftrag loszuschicken: Finde heraus, was nötig ist, und machs dann. Sister Pat fand heraus, dass Bauernfamilien um ihre Obstgärten fürchteten, weil ein japanisches Kohlekraftwerk daneben gebaut werden sollte. Also half sie bei den Einsprachen und der Vernetzung mit Umweltbewegten in Japan. So habe ich das in Erinnerung.

Was wohl aus jenen Obstgärten geworden ist?

Annette Hug ist Autorin in Zürich und seit dem Niedergang der NZZ etwas heimatlos, was die tägliche Orientierung im Weltgeschehen betrifft.