Gesundheitspolitik: Raus aus dem Teufelskreis

Nr. 48 –

Impf-, Bildungs-, Ausbildungsoffensive: Überall ist von Offensive die Rede. Doch irgendwo steckt doch immer ein defensiver Geist dahinter.

Und wenn es tatsächlich um eine Offensive geht, fehlt es an Realitätssinn. Zum Beispiel die «Ausbildungsoffensive», die der Bundesrat der Pflegeinitiative gegenüberstellte: Was bringt eine solche Investition, deren Wirkung sich erst nach Jahren zeigt? Jetzt, wo es sofort mehr Personal braucht, reicht das nie. Dasselbe gilt für die Pflegeinitiative, die zusätzlich eine markante Verbesserung der Arbeitsbedingungen fordert. Solange sich der Bund auf die Position stellt, dass es nicht in seiner Kompetenz liege, Vorgaben dazu zu machen, wird es auch hier nicht so schnell zu einer klaren Verbesserung kommen. Und solange dem rechtsbürgerlich dominierten Parlament für die Umsetzung ganze vier Jahre bleiben, schon gar nicht.

Heisst das, dass sich die Pflegefachleute nochmals jahrelang in Geduld üben müssen und noch mehr von ihnen abspringen? Das kann sich eine zivilisierte Gesellschaft schlicht nicht leisten. Zumal es ja auch um die Patient:innen geht.

Was tun? Den Spiess umdrehen! Nicht gleich die ganze Milliarde, die der Bundesrat in seinem Gegenvorschlag in Aussicht stellt, in eine Ausbildungsoffensive werfen – sondern die Hälfte des Geldes gleich jetzt in bessere Arbeitsbedingungen investieren. Nur so lassen sich zahlreiche Pflegeprofis zurückholen, die in den letzten Jahren abgesprungen sind. Und weil es sich dabei um öffentliche Gelder handelte, hätten die Spitäler auch nicht die Ausrede, das sei zu teuer.

Und wie das legitimieren? In einer Güterabwägung (auch so ein Begriff, der Hochkonjunktur feiert). Wenn wir schon über Notmassnahmen diskutieren: Warum dann nicht schleunigst Geld für mehr und besser entlöhnte Pflegefachleute sprechen – statt Tausende von Fachkräften krank zu machen, die wiederum Hunderte von Schwerstkranken nicht mehr vor dem Tod retten können? Statt noch mehr «Freiheitseinschränkungen» durchzusetzen, die noch mehr Menschen krank machen – und das auch noch auf die Gefahr hin, dass sich ein Teil der Menschen von der Gesellschaft verabschiedet?

Der Bund sei nicht zuständig für Löhne, heisst es. Man könnte es auch anders formulieren: Es geht in der Pandemiebekämpfung insbesondere auch um eine gewisse Anzahl Intensivbetten, dringend notwendige, hochkomplexe medizinische Geräte also, die aber leider nur mithilfe von entsprechend ausgebildetem Personal ihren Zweck erfüllen. Würde man nur schon 100 Intensivpflegefachleute für einen Monatslohn von 10 000 Franken reaktivieren, so wäre das eine Investition von 50 Millionen Franken über vier Jahre. Und ausgehend davon, dass derzeit über sämtliche Pflegebereiche mehr als 10 000 Fachpersonen fehlen, würde die Reaktivierung von 10 000 Profis für einen Monatslohn von 10 000 Franken etwa die erwähnte halbe Milliarde Franken für vier Jahre kosten. So würde man rasch bestens ausgebildete Fachleute finden – und parallel dazu, mit der anderen halben Milliarde, künftige ausbilden können.

Falls das Parlament dem nicht zustimmen sollte, könnte man einen zusätzlichen Artikel ins Covid-19-Gesetz schreiben. Etwa so: Der Bund ist befugt, alles Mögliche zu unternehmen, damit das zur Eindämmung der Pandemie notwendige Personal innert nötiger Frist um so und so viel ausgebaut wird – und kann hierfür, bei gleichzeitigem Verbot von unnötigen medizinischen Eingriffen, die notwendigen Mittel sprechen. Je mehr Pflegefachpersonal, desto mehr funktionierende Intensivbetten, desto weniger Tote, desto weniger «Freiheitseinschränkungen» – statt einer immer noch weiteren Verschärfung von Massnahmen, die am Ende vor allem radikale Massnahmengegner:innen zu noch mehr «Diktatur»-Geschrei verführt.

Not mache erfinderisch, heisst es. Hoffentlich tut sie das wirklich! Also: in einer ersten Phase eine Rückholungsoffensive lancieren – und gleichzeitig mit der Umsetzung der Pflegeinitiative eine langfristige Lösung entwickeln.