Auf allen Kanälen: Der Knebel der Justiz

Nr. 16 –

Warum man in der Entführungsgeschichte Christoph Berger den Namen des Impfchefs nennen soll – und was diese Debatte mit der Pressefreiheit in der Schweiz zu tun hat.

Am 6. April erschossen Zürcher Polizist:innen einen Mann, der unter Verdacht stand, eine Woche zuvor den Präsidenten der Eidgenössischen Kommission für Impf‌fragen, Christoph Berger, entführt zu haben. Publik machte das der «Tages-Anzeiger» – allerdings nur für wenige Stunden. Kaum war der Text veröffentlicht, erwirkte Berger beim Zürcher Bezirksgericht eine superprovisorische Verfügung, die die Nennung seines Namens untersagte.

Mittlerweile bestehen keine juristischen Hürden mehr für die Namensnennung. Berger zog seinen Antrag zurück, nachdem Medien wie die «NZZ am Sonntag» oder «Watson» seine Person in ihrer Berichterstattung kenntlich machten. Es war von Anfang an ein hilfloser Versuch, eine Katze einzufangen, die längst aus dem Sack war. Berger begründete seinen Wunsch später damit, er wolle sich und seine Familie schützen: Würde sein Name publik, könne das Nachahmer:innen auf den Plan rufen. Zudem habe der Täter rein wirtschaftliche Motive geltend gemacht, ein politischer Zusammenhang mit seiner Arbeit als Impfpräsident sei also nicht gegeben.

Wo blieb der adäquate Schutz?

Alles nachvollziehbare Argumente. So erklärt sich auch, dass die «Republik» in einer medienethischen Abwägung zum Schluss kommt, es sei «besonders heikel», den Namen des Entführungsopfers zu veröffentlichen, auch wenn es unbestritten eine Person des öffentlichen Interesses sei. Damit irrt das Onlinemagazin aber – oder hat es sich ein bisschen zu gemütlich gemacht in der Pose des Klassenstrebers.

Wäre nicht bekannt geworden, dass das Entführungsopfer der nationale Impfchef war, wären wichtige Fragen nie aufgeworfen worden. Eine davon: Warum wurde Berger, obwohl er in den vergangenen zwei Jahren massiven Anfeindungen ausgesetzt war, von den Behörden nicht adäquat geschützt? Ob der mutmassliche Täter dabei selbst der Verschwörungsspinner:innen-Szene zuzuordnen war, wie es zunächst vorschnell hiess, oder von dieser bloss beeinflusst war (sein Geschäftspartner glaubt, die Erde sei in Wahrheit flach), ist nebensächlich. Es spielt auch keine Rolle, ob Berger bloss erpresst wurde, weil er oft im Fernsehen war: Seine Prominenz macht ihn – und viele weitere Persönlichkeiten, die während der Pandemie besonders exponiert waren – zur Zielscheibe.

Wenn selbst über den Entführungsfall Christoph Berger, der die Impfkampagne wesentlich prägte, nicht berichtet werden darf, dann kann man gleich aufhören mit Journalismus. Dann muss das Interesse der Öffentlichkeit an Aufklärung in einer ethischen Abwägung immer verlieren.

Aber die medienethischen Bedenken und vor allem die vom Gericht ausgesprochene superprovisorische Verfügung passen zu einer Entwicklung, in der es Journalist:innen immer schwieriger gemacht wird, ihre Aufgabe zu erfüllen. Eine Aufgabe, die übrigens nicht darin besteht, Ermittlungen nicht zu gefährden oder den Personenschutz durch die Polizei zu erleichtern – und auch nicht darin, politisch relevanten Persönlichkeiten ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen, selbst wenn das wenig sympathisch klingt.

Grenze der Handlungsfähigkeit

Schon heute setzt die superprovisorische Verfügung als Knebel der Justiz der unabhängigen Presse zu. Das Genfer Enthüllungsportal «Gotham City» etwa, spezialisiert auf Wirtschaftskriminalität, wird von den Kosten, die solche Verfahren mit sich bringen, an die Grenze der Handlungsfähigkeit getrieben. Wer es sich leisten kann und über genügend Einfluss verfügt, findet in der Schweiz schnell einen Weg, die Arbeit der Medien zumindest eine Weile lang zu behindern.

Im Mai könnte die Pressefreiheit einen weiteren Schlag erleiden. Dann stimmt der Nationalrat über eine Anpassung der Zivilprozessordnung ab. Dabei soll jener Artikel aufgeweicht werden, der Journalist:innen vor dem Zugriff durch Reiche und Mächtige schützt. Bislang dürfen Gerichte eine superprovisorische Verfügung nur dann erlassen, wenn die Berichterstattung einen «besonders schweren Nachteil» für die klagende Partei verursacht.

Das Wörtchen «besonders» will der Ständerat nun gestrichen haben. Journalist:innen und Medienunternehmen sollten sich gegen diesen und alle weiteren Versuche, ihre Arbeit zu behindern, wehren.